Nürnberg: Polizei in der Kritik

Ende April wurde ein 17-Jähriger in der U-Bahn brutal zusammengeschlagen - von einem stadtbekannten Neonazi. Die Informationspolitik der Polizei irritiert.

Olaf Przybilla

Es ging alles ganz schnell. Zwar sind die Bilder aus dem U-Bahnzug unscharf. Aber so viel ist zu sehen: Am Nürnberger Opernhaus steigt am Nachmittag des 28. April 2010 ein Jugendlicher in den Zug. Zunächst steht er noch unbeteiligt im Waggon. Dann sieht man, wie es zu einem Wortwechsel mit einem Pärchen kommt. Als die Tür kaum eine Minute später an der U-Bahnstation "Plärrer" aufgeht, tritt ein Mann mit dem Fuß auf den Kopf des nun am Boden liegenden Jugendlichen.

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(Foto: dpa)

Doch diese Gewalttat zeigen die Kamerabilder nicht. Vielmehr hat ein Zeuge den Ermittlern später diesen Vorfall geschildert. Demzufolge gelingt es dem 17-jährigen Opfer, sich vom Boden zu erheben. Doch wenige Sekunden später bricht der junge Mann zusammen. Er wird reanimiert, doch erst der zweite Versuch ist erfolgreich.

Der Jugendliche kam ins Krankenhaus und musste seither mehrmals operiert werden. Noch drei Wochen nach der Tat wird der Deutsch-Kurde auf der Intensivstation der Klinik versorgt. Beim Täter handelt es sich um den 24 Jahre alten Neonazi Peter R. aus Fürth. Er hat sich am Morgen nach der Tat gestellt.

Er gibt an, sein Opfer habe eine Bemerkung über ein Kleidungsstück seiner Begleiterin gemacht. Deren Bauchtasche zierte der Schriftzug "Thor Steinar" - eine Bekleidungsmarke, die auch in einem Laden in der Nürnberger Innenstadt verkauft wird. In der Szene gilt Kleidung dieser Marke als Erkennungszeichen von Rechtsextremisten.

Noch am Tag, an dem sich R. gestellt hatte, durchsuchten Ermittler die Fürther Wohnung, in der er gemeinsam mit seiner Begleiterin aus der U-Bahn lebt. Im Flur fanden sie ein Hitlerbild, im Wohnzimmer eine Kerze mit Hakenkreuz.

Dass R. zur ultrarechten Szene gehört, müssen die Ermittler gleichwohl vorher gewusst haben. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung trat der 24-Jährige schon 40 Mal als Aktivist der Ultrarechten in Erscheinung. So marschierte er in der fränkischen Kleinstadt Gräfenberg mit, die bis vor kurzem regelmäßig von Neonazis heimgesucht wurde. Er sympathisierte mit der mittlerweile verbotenen "Fränkischen Aktionsfront" und gründete die neonazistische "Kameradschaft Fürth-Land". Bei den Staatsschützern wird R. als "überzeugter Neonazi" geführt. Höchst aktiv sei er - und "sehr gewaltbereit".

Erst 2008 war R. zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Bei einer NPD-Kundgebung in Fürth hatte er zwei Teilnehmer einer Mahnwache verprügelt. Dass Polizisten die Szene beobachteten, hatte R. nicht von den Schlägen abgehalten. Die Beamten gaben an, die Opfer von R. hätte keine Gegenwehr geleistet. Sie hätten sich nur zu schützen versucht.

Liste der Gewalttaten

Es war nicht das erste Mal, dass R. zuschlug. In Forchheim hieb er einen Mann zu Boden, versetzte ihm Tritte und verletzte ihn schwer. Bei einer "Sonnenwendfeier" von Neonazis im fränkischen Uehlfeld malträtierte er eine Frau mit Faustschlägen und Stiefeltritten. Bei vier weiteren Delikten von Körperverletzung sei ein "rechtsextremistischer Hintergrund nicht hundertprozentig" feststellbar, heißt es bei der Kriminalpolizei.

Nürnbergs DGB-Chef Stephan Doll ist geschockt über die Liste der Gewalt. Und er zeigt sich "irritiert über die Informationspolitik der Polizei". Denn als er am 1. Mai auf der Kundgebung vor dem Gewerkschaftshaus sprach, wusste er nicht, dass der Deutsch-Kurde drei Tage zuvor Opfer eines Neonazis geworden war.

Offenbar habe man versucht, "dies nicht zum Thema der Kundgebung werden zu lassen", mutmaßt Doll. Erst wenige Minuten nach der Kundgebung veröffentlichte die Polizei eine Erklärung. An deren Ende war erstmals davon die Rede, der Täter könne "der rechtsextremistischen Szene zugerechnet" werden - 48Stunden, nachdem sich der Neonazi gestellt hatte und in Untersuchungshaft genommen wurde.

Nürnbergs OB Ulrich Maly (SPD) findet das fragwürdig. Auch er hat auf der Kundgebung geredet - und "von nichts gewusst", sagte Maly jetzt der SZ. Gleich im Anschluss an seine Rede habe ihm ein Beamter die Erklärung der Polizei in die Hand gedrückt. Nürnbergs Rathauschef hält "diese Zurückhaltung von Informationen für unklug". Besonders aus der linken Szene sehen sich die Ermittler nun heftigen Vorwürfen ausgesetzt.

Die Polizei versuche, die Tat "als einem Bandenkampf" zu bagatellisieren. Vor allem die Erklärung der Polizei, dass sich der 17-Jährige "in der linksextremistischen Szene" aufhalte, sorgt für empörte Reaktionen. Schließlich sei der 17-Jährige den Staatsschützern bislang nur dadurch aufgefallen, dass er einmal "in einer Gruppe von Punkern mit Leiterwagen durch die Fußgängerzone gezogen" war; und dass er an einer Kundgebung gegen jenen Nürnberger Laden teilgenommen hat, in dem die Marke "Thor Steinar" verkauft wird.

Haben die Ermittler Informationen zurückgehalten? Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft weist das entschieden zurück. Es sei nicht möglich, "den Inhalt von Vernehmungen umgehend der Öffentlichkeit mitzuteilen". Zumal sich die Aussagen von Zeugen über den Vorfall im Zug teilweise widersprächen. So sei bislang nicht klar, was genau der 17-Jährige über die Tasche mit dem "Thor Steinar"-Schriftzug gesagt habe - und ob die Begleiterin des Neonazis möglicherweise Grund hatte, sich bedroht zu fühlen.

Der Jugendliche konnte dazu bislang nicht vernommen werden. Er musste tagelang in ein künstliches Koma versetzt werden. Der Notarzt, der ihn noch in der U-Bahnstation reanimierte, erklärt, der 17-Jährige sei "eigentlich schon tot" gewesen. Sein Leben dürfe er einem 32-jährigen Bosnier verdanken, der beim Reinigungsdienst der Verkehrsbetriebe arbeitet. Der hatte den Zug in die Station einfahren sehen. Als die Tür aufging, habe er gesehen, wie ein Mann gegen den Kopf des Opfers trat. Da sei er "dazwischen gegangen" und habe den Schläger "weggeschubst". Dieser sei dann geflüchtet.

Der 17-Jährige erfährt derweil viel Solidarität. Kürzlich demonstrierten mehr als 1000 Menschen in Fürth und in Nürnberg gegen Rechtsextremismus.

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