Nürnberg:Platzhirsch in Bratwurst-City

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Wurstküchen gibt es viele in Nürnberg, aber nur eine kann die älteste sein. Darüber ist schon viel gestritten worden. Historische Wirtshäuser gibt es dennoch zahlreiche, ein Buch vereint nun 50 besondere in ganz Mittelfranken

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Das letzte Mal vor Gericht sahen sich Werner Behringer und Martin Hilleprandt vor 13 Jahren, in einer Verhandlung, die so wohl nur in Bratwurst-City denkbar war. Im Kern ging es beim Streit der beiden profiliertesten Bratwurstwirte von Nürnberg um die Frage, wer sein Etablissement "historisch" nennen darf und wer eher weniger. Im Vorfeld des Prozesses beteuerten beide, sich gegenseitig keinesfalls zu "hassen". Die Wurst auf dem Teller aber wollte man sich offenbar auch nicht gönnen. Das Gericht sprach, wie oft in solchen Fällen, ein salomonisches Urteil, Freunde aber werden die beiden wohl nicht mehr. Dafür finden sie sich nun als Nachbarn in einem Buch wieder. Im Band "50 historische Wirtshäuser in Mittelfranken" wird Hilleprandts Lokal "Zum Gulden Stern" - das für sich in Anspruch nimmt, der älteste Platzhirsch unter Nürnbergs Bratwursthäusern zu sein - textlich eingerahmt von zwei historischen Häusern des Großkonkurrenten Behringer.

Das ist nicht ohne Reiz. Und dürfte beide in ihrer Auffassung, der wahre Wurstkönig von Nürnberg zu sein, zusätzlich bestärken. Behringer darf für sich in Anspruch nehmen, gleich mit zwei Wurstküchen in dem historisch fundierten Band vertreten zu sein: mit dem "Bratwurstglöcklein" am Waffenhof und dem "Goldenen Posthorn" in der Glöckleinsgasse. Hilleprandt wiederum darf sich an die Brust klopfen, dass sein "Gulden Stern" auch in dem Band mit dem Etikett "älteste Bratwurstküche der Welt" versehen ist. Und das berühmteste Haus des Konkurrenten, das "Bratwursthäusle", zwar erwähnt ist in dem Buch - allerdings keinen eigenen Artikel zugestanden bekommen hat. Genau darum war es Hilleprandt gegangen vor Gericht: Dass sich zwar Nürnbergs Stadtpolitik, Japaner, Amerikaner und andere Romantiker gerne um den Grill beim Rathaus versammeln mögen, sich diese Wurstküche aber nur im weitesten Sinn "historisch" nennen darf. Eine Großkrippe sei das Haus des Konkurrenten, kolportierte Hilleprandt damals gerne, gebaut aus Scheunenholz vom Schliersee, im Stil einer Tiroler Skihütte.

Das wiederum werden selbst Gehässige dem "Gulden Stern" nicht nachsagen können. 1419 erstmals urkundlich erwähnt, überstand das Haus in der Zirkelschmiedgasse alle Kriege unbeschadet, wäre aber 1982 beinahe trotzdem noch zum Opfer geworden. Beim Kauf des Hauses erwarb Hilleprandt die Abrissgenehmigung gleich mit. Er entschied sich aber fürs Gegenteil: Mithilfe der Altstadtfreunde machte er das Haus mit den unverputzen Wänden und original erhaltenen Holzdecken zu einer der sehenswertesten Gaststätten Nordbayerns. Zwar liegt es abgelegen von Touristenpfaden. Hilleprandt aber hält es im Gespräch, gern auch mit prozessualen Mitteln. So erregte die Verhandlung gegen die Historische Wurstkuchl an der Steinernen Brücke in Regensburg um den Titel "Älteste Bratwurstküche der Welt" mindestens so viel Aufsehen wie die innerstädtische Wurstschlacht gegen Behringer. Übrigens ebenfalls mit salomonischem Ende: Die älteste Konzession bekam die Konkurrenz aus Regensburg, urteilte das Gericht, die älteste original am Ursprungsplatz stehende Wurstküche findet sich in Nürnberg.

Das alles wird in dem Band kenntnisreich erzählt, nur die neueste Gerichts-Volte kommt etwas zu kurz. Erst im vergangenen März hatte Hilleprandt im Landgericht Nürnberg ausgesagt, ihm sei - als der "Gulden Stern" im Mai 2015 in Flammen stand - kurz der Verdacht durch den Kopf geschossen, "dass da irgendwas gesteuert war". Steckte etwa die Konkurrenz dahinter? Da loderte er wieder, der immerwährende Wurstkrieg von Nürnberg. Die Geschichte hinter der Verschwörungstheorie war dann aber deutlich banaler: Kein gesteuerter Strohmann sinisterer Bratwurstrivalen musste sich vor Gericht verantworten, sondern ein vorbestrafter Junkie, der das Haus bei einem Einbruch angezündet hatte. Und zwar aus Ärger darüber, dass dort nichts zu holen war. Zerstört wurde dabei ein Büro, die historische Substanz aber blieb glücklicherweise erhalten.

In einem Band, der sich historischen Wirtshäusern in Mittelfranken widmet, muss der Überblick über die klassischen Wurstküchen breiten Raum einnehmen. Aber auch weniger bekannte, dafür oft umso schönere Häuser werden ausführlich gewürdigt: der "Goldene Schwan" in Großgründlach etwa, das Paradebeispiel für ein historisches Wirtshaus, das behutsam und stilsicher in die Neuzeit geführt wurde. Und natürlich Entla's Keller in Erlangen, der einzige Bierkeller auf der Bergkirchweih, der auch dann ausschenkt, wenn der "Berch" gerade nicht tobt. Namensgebend soll dort der Stammtisch "endlich allaa" gewesen sein, fränkisch für "endlich alleine". Die Berch-Zeit können die Herren vom Stammtisch damit nicht gemeint haben. In der finden allein auf den fest installierten Sitzbänken 3000 Gäste vorm Keller Platz.

Frank Ebel (sowie fünf weitere Autoren), 50 historische Wirtshäuser in Mittelfranken. 192 Seiten. Eine Koproduktion der Verlage Friedrich Pustet und Dr. Peter Morsbach. Regensburg 2016.

© SZ vom 06.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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