Nürnberg:Hort der Kreativen

Bayernkreativ

Leiter Dirk Kiefer (2.v.r.) und die damalige Wirtschaftsministerin Ilse Aigner bei der Eröffnung.

(Foto: STMWI/OH)

Das Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft soll die Branche beraten und vernetzen. Das Wirtschaftsministerium richtete die Stelle ein, doch mancher zweifelt am Erfolg. Abgeordnete der Opposition fordern mehr Geld und kleine Büros in allen Regionen Bayerns

Von Claudia Henzler, Nürnberg

Michel Wacker ist Gründer und Geschäftsführer der Gentle Trolls, eines kleinen Unternehmens, das in Würzburg Computerspiele mit Lerninhalten entwickelt. In solchen serious games jagen Kinder zum Beispiel einen Dieb und erleben ganz nebenbei, vor welch alltäglichen Herausforderungen Menschen mit einer Behinderung stehen - und wie man sie mit vereinten Kräften lösen kann. In den vier Jahren ihres Bestehens haben die Gentle Trolls schon einige Projekte für namhafte Kunden verwirklicht. Trotzdem sieht man sich noch in der Gründungsphase. Und der Markt für solche Spiele mit ernsthaftem Anliegen sei in Deutschland noch recht überschaubar, sagt Wacker.

Deshalb hat der Firmengründer dankbar Unterstützung vom Bayerischen Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft (Bayernkreativ) angenommen. Diese Einrichtung wurde 2015 vom Wirtschaftsministerium geschaffen, um einzelnen Künstlern, aber auch Kleinunternehmen mit bis zu neun Mitarbeitern unter die Arme zu greifen. Den Gentle Trolls spendierte Bayernkreativ die Möglichkeit, ihre Produkte unter Aufsicht der Fraunhofer Gesellschaft einem kleinen Markttest zu unterziehen. "Das war eine super Gelegenheit, aus erster Hand gut sortiertes Feedback zu bekommen", sagt Wacker, er selbst hätte sich so einen Test nicht leisten können.

Das Bayernkreativ-Zentrum hat seinen Sitz in Nürnberg. Die repräsentativen Seminar-Räume in der Innenstadt stehen jedoch häufig leer. Die fünf Mitarbeiter sind von Freilassing bis Aschaffenburg im Einsatz. Ob Bayernkreativ sein Geld wert ist, war kürzlich Thema im Kulturausschuss des Landtags. Der Bericht, den das Wirtschaftsministerium dabei auf Antrag der SPD vorlegte, hat einige Abgeordnete gar nicht zufrieden gestellt. Von einer "teuren Irrelevanz" sprach die SPD-Abgeordnete Isabell Zacharias. Noch immer findet sie: "Die Zahlen sind enttäuschend."

Auf fünf Jahre ist das Projekt ausgelegt, von 2015 bis Ende 2019. Fünf Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Dem Bericht zufolge haben bis Ende September 2017 insgesamt 640 Menschen das Beratungsangebot von Bayernkreativ angenommen. Sie haben sich an 240 Beratungstagen in Einzelgesprächen Tipps für ihr Geschäftsmodell geholt oder an einem von 24 Seminaren oder Workshops teilgenommen, zu Themen wie Steuern, Versicherung oder der Frage, wie sie ihre Ideen am besten einem Unternehmen präsentieren können. Die meisten Teilnehmer kamen aus den Bereichen Kunst und Design, waren weiblich und zwischen 45 und 60 Jahre alt. Hinzu kamen einige Veranstaltungen mit unterschiedlich großen Zielgruppen (zwölf bis 140 Teilnehmer), für die keine Auswertung vorliegen.

Quantitativ gesehen ist Spieleentwickler Wacker also nicht der typische Klient von Bayernkreativ. Und das macht schon eine Schwierigkeit des Zentrums deutlich. Denn der Begriff Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst keine homogene Menge, sondern sehr unterschiedliche Berufe mit divergierenden Bedürfnissen: Freischaffende Künstler oder Bildhauer zählen genauso dazu wie Softwareentwickler, Werbeagenturen und Architekten.

Als wäre das nicht anspruchsvoll genug, sollen die fünf Mitarbeiter ganz Bayern bedienen, vor allem aber den ländlichen Raum. Immerhin können sie München, Augsburg und Regensburg aussparen. Dort gibt es kommunale Beratungszentren für die Kultur- und Kreativwirtschaft.

Große Fläche, diverse Zielgruppe: Bayernkreativ versucht, dieses Dilemma mit einem sehr breiten Angebot und vielen Autofahrten zu lösen, um möglichst alle irgendwie zu bedienen. Wer will, bekommt seine Einzelberatung. Dafür sitzt jeden Monat ein Mitarbeiter an einem von 20 Standorten bereit. Dirk Kiefer, der das Zentrum leitet, betont, dass man Bayernkreativ auf keinen Fall allein an dieser Beratungstätigkeit messen dürfe. Das sei nur eine von drei Säulen seiner Arbeit.

Säule Nummer zwei: "Wir wollen Kreative dazu animieren, sich zu vernetzen", sagt Kiefer. Erstens untereinander, indem sie regionale Plattformen bilden. Deshalb bekam etwa die schon etablierte Künstlerkolonie Fichtelgebirge Bayernkreativ-Geld für den Aufbau einer neuen Webseite. Das sei aber bitte nicht als Einzelförderung zu verstehen, betont Kiefer. Das Gerüst für die Webseite werde auch anderen Initiativen zur Verfügung stehen. Zweitens sollen die Kreativen mit den örtlichen Wirtschaftsförderern, Bildungseinrichtungen und Handelsverbänden in Kontakt treten, weshalb Bayernkreativ gemeinsame Veranstaltungen organisiert. Und Säule Nummer drei: Das Zentrum will ganz generell die Nachfrage nach kreativen Dienstleistungen steigern, indem zum Beispiel Kreative und Mittelständler zu gemeinsamen Workshops eingeladen werden.

In der Landtagsfraktion der Grünen beobachtet Sepp Dürr die Kreativ-Branche schon seit langem. 2012 hatte die Staatsregierung auf seinen Antrag hin einen ersten Bericht über die Lage der Kultur- und Kreativwirtschaft im Freistaat anfertigen lassen. Vor Kurzem wurde eine Fortschreibung beschlossen. Dürr hofft, dass die Ergebnisse neue Impulse für die Arbeit von Bayernkreativ liefern können. Grundsätzlich hält er Kiefers Vorhaben, die Leute in den Regionen zusammenzubringen, dabei für den richtigen Ansatz. "Wenn der Handwerker beim regionalen Grafiker etwas machen lässt, dann haben beide was davon." Insgesamt bewertet aber auch Dürr die Zwischenbilanz kritisch: "Das ist halt wieder so was Halbes und nichts Ganzes."

Weder ihm noch Zacharias geht es jedoch darum, Bayernkreativ abzuschaffen. Im Gegenteil. "Man muss mehr Geld reinstecken", fordert die SPD-Abgeordnete. Außerdem, da sind sich beide einig, müsse die Konstruktion geändert werden. Sinnvoller als ein Zentrum in Nürnberg, das ganz Bayern bedient, wären aus ihrer Sicht kleine, schlagkräftige Büros in allen Regierungsbezirken. Zacharias denkt an zwei bis drei Mitarbeiter pro Büro, mit genug Budget, um lokale Projekte zu unterstützen - indem sie etwa Veranstaltungen mitfinanzieren oder Wettbewerbe ausloben. Der Einsatz lohne sich, denn die Kultur- und Kreativwirtschaft sei ein großer Wirtschaftsfaktor. Und wenn es nach Dürr geht, müsste sich Bayernkreativ mehr mit anderen Ministerien vernetzen. Schließlich sei auch der öffentliche Sektor ein wichtiger Arbeit- und Auftraggeber für Künstler und Kreative. Außerdem, so Dürr, könne die Staatsregierung leicht etwas gegen den Mangel an günstigen Räumen tun: Die Schlösserverwaltung habe schließlich Immobilien, die sich auch als Atelier- oder Kulturzentren eigneten.

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