Nürnberg:Die 90-Jährige, die mit vier Buchstaben die Kunstwelt auf den Kopf stellte

Nürnberg: Eine Seniorin aus der Schreibwerkstatt deutet das Kunstwerk neu.

Eine Seniorin aus der Schreibwerkstatt deutet das Kunstwerk neu.

(Foto: Privat)
  • Hannelore K. hatte vergangenen Sommer im Neuen Museum in Nürnberg ein Kreuzworträtsel-Kunstwerk "ausgefüllt".
  • Auf der Suche nach neuer Inspiration ging die Seniorin zusammen mit ihrer Schreibgruppe in einer Ausstellung.
  • Doch plötzlich wurde gegen sie ermittelt wegen "gemeinschädlicher Sachbeschädigung".

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Zwei Dinge hat sich Hannelore K., 91, einmal geschworen. Erstens, dass sie nie wieder das Neue Museum in Nürnberg betreten wird, weil sie sich da irgendwie ungut behandelt gefühlt hat. Immerhin habe sie im Juli 2016 lediglich das gemacht, was ein moderner Künstler werkimmanent von ihr gefordert hatte: nämlich ein Kunstkreuzworträtsel unter Zuhilfenahme eines Kugelschreibers mit fehlenden Buchstaben ausgefüllt. Und zweitens wollte sie darüber, über diese doch irritierende Situation im Museum, niemals schreiben.

Dass da plötzlich Polizei anrückte; dass sie im Mittelpunkt eines Ermittlungsverfahrens stand; sie auf der Polizeidienststelle vernommen wurde zum Thema "gemeinschädliche Sachbeschädigung" und eine Versicherungssumme in Höhe einer Zweizimmerwohnung im Raum stand - das hat sie doch arg mitgenommen im vergangenen Sommer. Ihre Kolleginnen von der Schreibwerkstatt für Senioren, mit denen sie zu Besuch im Museum war, die sollten ruhig darüber schreiben, sagte sie damals. Aber sie selbst? Nein danke, kein Bedarf.

Nun ist das so eine Sache mit den Schwüren, manchmal muss man sie den Zeitläuften flexibel anpassen. Und so ist Frau K. zwar hart geblieben mit dem Museumsschwur: Auch als ihr dort eine Dauerfreikarte angeboten wurde für die vielen Umstände, hat sie sich nicht erweichen lassen, und bleibt dem Haus seither konsequent fern. Was aber das selbst auferlegte Schreibverbot betrifft, hat sie nun doch eine geschmeidigere Handhabe gewählt.

Alle ihre Kolleginnen duften sich schriftstellerisch animiert fühlen von einem Vorfall, der es in die Weltpresse geschafft hat - und ausgerechnet sie nicht? Sie habe es, nach langem Ringen, "dann doch nicht sein lassen" können, sagt Gerlinde Knopp, die Schreiblehrerin der 91-Jährigen. Und das sei auch gut so.

Knopp ist die Frau, die ihre Schreibgruppe - zwischen 65 und 91 Jahre alt - ins Neue Museum geschickt hat, auf der Suche nach einem Schreibanlass. Und sie zeichnet verantwortlich für das Bändchen namens "Sie schrieb Kunstgeschichte", das nun von der Schreibwerkstatt Studio "K" im Seniorenzentrum Tiergärtnertor Nürnberg erschienen ist.

Sogar unter Juristen ging eine lebhafte Debatte los

Den Titel könnte man für ein bisschen großsprecherisch halten, in Wahrheit beschreibt er lediglich einen Sachverhalt: Tatsächlich entspann sich über die spontane Kugelschreiberaktion von Frau K. nicht nur eine lebhafte Debatte in Justizkreisen, inwieweit eine ernst genommene Aufforderung auf einem Kunstwerk ("Insert words") strafbewehrt sein kann und inwieweit ein Werk, das zuvor höchstens eingeweihten Kreisen bekannt war und von dem plötzlich die BBC berichtet, einer Wertminderung unterliegt. Auch die Kunstszene diskutierte, ob Frau K. die Fluxuskunst des 1977 gestorbenen Künstlers Arthur Köpcke nicht eigentlich konsequent zu Ende gedacht und sich damit gar eine Mitautorenschaft am Werk erworben habe.

Zehn Beiträge sind in dem Bändchen erschienen, darunter der nachdenkliche Essay "Waagrecht oder senkrecht oder Die 90-Jährige, die mit vier Buchstaben das Neue Museum auf den Kopf stellte" und die selbstreflexive Betrachtung "Nur ein Kreuzworträtsel?", die sich als Dankesrede auf Frau K. entpuppt. "Danke, liebe Hannelore, Du Frohnatur aus dem schönen Köln am Rhein", heißt es da: "Du hast mein Bildungsniveau angehoben! Ohne Deine spontane Tat hätte ich wohl nie erfahren, dass es eine Fluxus-Bewegung gab, welche eine neue Aktionskunst fördern wollte."

Der kürzeste Text, ein Gedicht über sechs freie Verse, steht am Ende des Bändchens: "Diese Sorge war unbegründet / Muss ich jetzt einsitzen? / Wird mein Portemonnaie sehr beansprucht? / Nein, nichts - ich bin und bleibe ein freier Mensch, / bin nicht vorbestraft! / Es hätt noch immer jot jejange." Gezeichnet ist er von Hannelore K.

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