Nürnberg:"Es blinkt, surrt und klappert immer mehr in bayerischen Städten"

Spielsucht in Australien - Spielautomat

Es blinkt, surrt und klappert: In Bayern hat sich die Zahl der in Spielhallen aufgestellten Automaten in den vergangenen gut eineinhalb Jahrzehnten vervierfacht: auf 22.000 Exemplare.

(Foto: Peter Roggenthin/dpa)

Die Zahl der Spielsüchtigen steigt, gleichzeitig haben Spielhallen negative Folgen auf die Stadtviertel. Ein Gesetz sollte die Anzahl senken - aber geändert hat sich nichts.

Von Johann Osel, Nürnberg

In der leicht abgedunkelten Welt mit dem blauen Teppichboden glänzt jetzt das alte Ägypten. Goldene Pharaonenköpfe, ein Skarabäus, ein Archäologe mit Hut und bunte Buchstaben sind auf dem Spielautomaten zu sehen, fünf Walzen mit drei Reihen drehen sich. Eine Frau, wohl Ende 50 und mit osteuropäischem Akzent, wie der Smalltalk zeigt, sitzt in einer Spielothek an der Nürnberger Wölckernstraße, wirft immer wieder Münzen ein, drückt, lässt später einen Zwanziger hineinfahren, hämmert zuweilen auf den Knopf, lässt es rollen und rattern. Mal kommt nichts, mal der Einsatz von 40 Cent pro sekundenschneller Runde zurück, mal ein paar Euro Gewinn. Es gäbe noch das Buch-Symbol, bei dreien und mehr davon winken Freispiele, inklusive magischer Supersymbole. Kommen die Freispiele und kommen diese Symbole, dann können aus 40 Cent schnell 40 Euro werden. Sie kommen nicht.

Die Dame wirkt genervt, geht zum Rauchen vor die Tür, lässt das Gerät weiterlaufen mit der Automatiktaste, 40 Cent, 40 Cent, 40 Cent. Ebenso den zweiten Automaten, den sie belegt, ein Spiel mit Obst auf den Walzen, das die ganze Zeit automatisch nebenbei durchläuft. Nur ab und zu verkündet der Automat "Tüdüüü". Montagmittag, die Szenerie unterscheidet sich kaum von der Spielhalle ein paar Schritte die Straße links hinunter oder rechts, von der gegenüber oder von denen in den Querstraßen. Die Straßenzüge um die Wölckernstraße sind Nürnbergs Las Vegas, nur ohne Glamour, ohne Siegfried und Roy. Gelegenheit macht Spieler - es ist eine Ballung, wie sie nach dem Gedanken eines Staatsvertrags eigentlich abgeschafft sein sollte.

Seit der Jahrtausendwende hat sich in Bayern die Zahl der in solchen Hallen aufgestellten Spielautomaten fast vervierfacht, auf 22 000. Im Freistaat gibt es überhaupt nur 17 Prozent spielhallenfreie Kommunen. Nürnberg zählt zu den Städten mit dem dichtesten Netz, der Kasseninhalt der Geräte in der Stadt hat sich in den anderthalb Jahrzehnten ebenfalls vervierfacht: 2016 verzockten die Nürnberger 41 Millionen Euro. Die Fallzahlen im Suchthilfezentrum der Stadtmission, wo freilich nur ein Bruchteil der pathologischen Spieler Hilfe sucht, haben sich verfünffacht in dem Zeitraum. 35 000 Menschen im Freistaat gelten nach Expertenschätzung als pathologische Spieler, ebenso vielen wird "problematisches Spielverhalten" zugeschrieben.

Und da wäre eine weitere Sorge. "Es blinkt, surrt und klappert immer mehr in bayerischen Städten. Die Städte verändern ihr Gesicht in manchen Straßen und die Lebensqualität sinkt in der Nachbarschaft der Spielhallen", hat mal Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly, damals als Städtetagschef, in der Bayerischen Staatszeitung beklagt. In einer Antwort des Innenministeriums auf Anfrage der SPD im Landtag hieß es neulich: Eine Häufung von Spielhallen sei "nicht selten Folge eines schon im Gange befindlichen Trading-Down-Effekts", der durch Spielhallen verstärkt werde. Ein Abwärtssog also, Zeichen dafür sei das Verschwinden hochwertiger Freizeitangebote, wodurch sich "aus städtebaulicher Sicht unerwünschte Nutzungen wie zum Beispiel Spielhallen ausbreiten können".

Reglementierung ist zwar eine heikle Sache: Bei aller Sorge um Stadtbild und Suchtgefahr ist es Freiheit eines jeden Bürgers, ob, wie und wie oft er spielt. Dennoch hegten viele Kommunalpolitiker Hoffnungen, als vor gut fünf Jahren der neue Glücksspielstaatsvertrag der Länder in Kraft trat. Zentraler Punkt: Spielhallen müssen mindestens 250 Meter Abstand zur nächsten haben, nach einer Übergangsfrist, die jetzt im Sommer auslief. Bis zu zwei Drittel der bestehenden Hallen, dachte man lange im Ordnungsamt Nürnberg, werde schließen. Ändern wird sich nun nichts: Es greifen die Härtefall- und Befreiungsregeln, die das bayerische Ausführungsgesetz zum bundesweiten Vertrag vorsieht. Schon allein eine Investition in eine Halle kann den Betreiber retten.

80 von 144 Spielhallen in Nürnberg unterschreiten den Mindestabstand. Alle Betreiber haben einen Antrag auf Schonung gestellt. Sie dürfen erst mal bis Sommer 2021 bleiben - sie müssen allerdings qualitative "Anpassungskonzepte" vorlegen, "um die Gefährlichkeit der Spielhalle weiter zu vermindern", wie das Ministerium auf SZ-Anfrage mitteilt. Dazu zählt auch, dass maximal 48 Geräte pro Standort erlaubt sind; so große Spieltempel gibt es in Nürnberg jedoch nur zwei. Valide Zahlen, wie viele Hallen im Freistaat schließen müssten, lägen noch nicht vor, so das Ministerium. Tendenziell sei erkennbar, dass von Ausnahmen und Befreiungen "in großem Umfang Gebrauch gemacht wurde".

"Zugang zu erschweren ist das schärfste Schwert der Prävention", sagt Thomas Bauer. Er ist Sozialpädagoge bei der Stadtmission. Im dortigen Suchthilfezentrum geht es in jedem fünften Fall um Glücksspiel, Platz zwei hinter Alkohol. 86 Prozent der Klienten hängen am Automaten. Stühle, eine Tafel, eine Pflanze, mehr steht kaum in Bauers Büro - eine unaufgeregte Atmosphäre, der Gegensatz zum Leuchten und Läuten der Spielhallen. Hier soll geredet werden.

"Wie stark eine Sucht ist, kann man nicht am Betrag festmachen"

Wo das launige Spiel aus Zeitvertreib endet, wo die Sucht beginnt, das ist eine individuelle Grenze. Bauer zählt die Merkmale auf: starkes Verlangen, Kontrollverlust, Dosissteigerung - beim Spielen mehr Geld und mehr Zeit; Entzugserscheinungen wie Gereiztheit; Interessensverlust an anderen Dingen, Sozialkontakten, Hobbys. Und oft: Lügen - gegenüber dem Partner, der Familie, Freunden. Meist bringt eine Krise Betroffene zur Einsicht: die Feststellung des Süchtigen oder oft auch eines Angehörigen, dass da ein Problem ist, ein individueller Schaden in Zeit, Geld oder Lebensqualität. "Wie stark eine Sucht ist, kann man nicht am Betrag festmachen", weiß Bauer. Was beim Arbeitslosen 100 Euro Schmerzgrenze sind, können bei anderen 1000 sein.

Der Therapeut kann erzählen von Leuten mit guten und schlechten Jobs, von welchen, die kriminell wurden. "Spielen hat keine Grenzen. Jede Summe, die man hat, kann man verspielen - und das in kurzer Zeit." In den Unterlagen der Stadtmission steht: "Risikogruppe: Männer bis 25, niedriger Bildungsstatus, Migrationshintergrund". Aber es gibt auch Fallbeispiele wie Herrn B., 40, verheiratet, Kinder, sehr gutes Einkommen - und heimlicher Zocker. Oder Herrn M., 50, alleinstehend, seine Spielschulden wurden Mietschulden, die Wohnung ging verloren, er lebt vereinsamt in einer Pension. Herr B. und Herr M. scheinen heute nicht in der Spielothek mit dem Würfel an der Scheibe zu sein, in der die osteuropäische Dame vom Rauchen zurückkehrt. An den Geräten sitzt sonst nur die Risikogruppe, junge südländische Männer.

Handwerker in Latzhosen kommen dazu, allerdings nicht zum Spielen. Ein neuer Teppichboden wird verlegt, zwei Geräte werden abtransportiert. Vielleicht ist das eine Investition. Die Frau mit dem Ägyptenspiel muss weichen, findet woanders Platz und wirft monoton ein. Unbeeindruckt davon, dass der Pling-surr-ploing-Geräuschteppich ergänzt wird von den Geräuschen eines echten Teppichs, den die Bauarbeiter aus dem Boden reißen, ratsch ratsch. Wäre es ihr zu laut, könnte sie umziehen zu einer anderen Spielothek, keine Gehminute. Zum Beispiel in der Halle mit den Joker-Köpfen auf der Scheibe hätte der Umzug keinen Erfolg. Kurz vor 14 Uhr werktags ist da kein Automat unbesetzt, die Espresso-Bar bleibt verwaist. Doch die nächste Gelegenheit, ein Lokal mit lachender Sonne an der Scheibe, wartet quasi nebenan.

Spielhallenbetreiber, auch aus Bayern, hatten vergebens gegen den Staatsvertrag geklagt, bis zum Bundesverfassungsgericht. Es werde zu einer radikalen Reduzierung legaler Spielhallen kommen, warnt seitdem der Verband der Automatenwirtschaft. "Wir befürchten, dass illegale Spielangebote im Internet oder in Hinterzimmern massiven Auftrieb erhalten werden" - was keine sinnvolle Glücksspielpolitik sei. Man selbst stehe für "verbraucherschützendes Spiel" und leiste "einen wichtigen Beitrag zur Lenkung der Spielbedürfnisse der Bevölkerung in geordnete Bahnen". Auch auf Arbeitsplätze verweist die Branche gern. Wohl ist das alles auf Parteitagen wie dem der CSU zu erfahren, wo der Bayerische Verband an seinem Stand laut Mitteilung eine "Plattform für Gespräche mit prominenten CSU-Größen" bietet und neben Weißwürsten "Hinweise" verteilt.

An der Wölckernstraße bleibt alles wie gehabt; los geht es an ihrem Beginn am Aufseßplatz, wo sogar im U-Bahn-Zwischengeschoss gespielt wird. Der Heimweg von der Arbeit, vielleicht um die Sucht so vor der Familie zu verbergen, ist klassisch, sagt Bauer. Ohnehin die Heimlichkeit: Ein Alkoholiker hat einen Rausch oder eine Fahne, ein Zocker kann leicht unentdeckt bleiben. Im Schnitt suchen Klienten nach acht Jahren Spielproblem Hilfe. Dann können sie mit Bauer Strategien suchen - Spielorte meiden, kein Bargeld mitnehmen, neue Hobbys. Es gibt keine Knopfdrucklösungen. Auch eine stationäre Reha ist möglich.

Es gibt viele Wege heraus aus der Sucht und viele hinein, sagt Bauer. Wobei Letzterer oft in der Kneipe beginne. An Einzelautomaten in der Gastronomie - sie werden so gut wie nicht erfasst, kaum überprüft - spielten Leute in der Regel zum ersten Mal, bierselig womöglich. Schritt zwei sei irgendwann die eigene Aura der Spielhalle, in die man sich erst mal wagen muss. Wobei es stets beim unbedenklichen Spiel bleiben kann - jeder hat es in der Hand.

Auch die Politik habe es in der Hand, meint Bauer. So seien in anderen Ländern, Beispiel Hessen, deutlich strengere Ausführungen erlassen worden. Der Therapeut sorgt sich derweil schon um "die nächste große Welle": Sportwetten. Neue Spielotheken sind an der Wölckernstraße in letzter Zeit zumindest nicht dazu gekommen, hier gilt die Abstandsregel. Jedoch sieht man zwischendrin viele kleine Wettbüros. Die Annahmestellen "schießen aus dem Boden bei uns", hört man aus dem städtischen Ordnungsamt. "Und wir warten dringend auf eine rechtliche Handhabe."

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