Nürnberg:Die Bürde des Propaganda-Ortes

Nürnberg: Sprengung der Pfeilerreihen auf der Zeppelintribüne 1967. Frei zur Veröffentlichung nur mit dem Vermerk: Bildnachweis: Stadtarchiv Nürnberg

Sprengung der Pfeilerreihen auf der Zeppelintribüne 1967. Frei zur Veröffentlichung nur mit dem Vermerk: Bildnachweis: Stadtarchiv Nürnberg

(Foto: Stadtarchiv Nürnberg)
  • Eine Ausstellung im Nürnberger Doku-Zentrum zeigt, wie unterschiedlich die Stadt das Reichsparteitagsgelände in den vergangenen siebzig Jahren genutzt hat.
  • Aus Teilen des Geländes wurde ein beliebter Freizeitpark.
  • Andere Bestandteile des alten NS-Areals, wie die Zeppelintribüne werden heute auch für merkwürdige Autorennen genutzt.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Man muss nur einen Blick in die Nürnberger Abendzeitung des Jahres 1987 werfen, um zu ahnen, wie sehr sich die Dinge am ehemaligen Reichsparteitagsgelände zum Guten entwickelt haben. Der Imbissbudenbetreiber Walter Dirnsberger mit seinem Stand in der Nähe der Zeppelintribüne konnte damals glaubhaft darstellen, dass der Würstchenverkauf für ihn immer mehr zu einer Art Zweitbeschäftigung werde.

Nebenher nämlich erkläre er täglich Hunderten Touristen, "wo der Hitler stand, wo der Eingang zur NS-Ausstellung ist", dass diese aber nur von 14 Uhr an geöffnet habe, und dies auch nur im Sommer und montags und dienstags gar nicht.

Wie Nürnberg mit seinem NS-Erbe hadert

NS-Geschichtsaufklärung aus der Bratwurstbude, das ist noch keine 30 Jahre her. Entsprechend informiert lasen sich damals auch die Einlassungen der Besucher auf dem Gelände. Eine 29 Jahre alte Stuttgarterin zeigte sich überrascht, dass es "außer in Berlin auch noch in Nürnberg einen Reichstag gab".

Den gab es dort nie, die Frau meinte offenbar die Ruine der NS-Kongresshalle. Aber womöglich hatte der Würstchenverkäufer gerade keine Sprechstunde oder war mit anderem beschäftigt.

Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände jedenfalls wurde erst 14 Jahre später eröffnet, dort ist gerade die Ausstellung "Das Gelände" zu sehen. Sie zeigt eindrucksvoll, wie unterschiedlich die Stadt das Areal in den vergangenen sieben Jahrzehnten genutzt hat und bis heute nutzt. Und wie schwer sie sich tut, mit dem NS-Erbe angemessen umzugehen.

Lagerhalle, Volkspark - oder einfach wegsprengen?

Schon nach 1945 gab es kein einheitliches Konzept für den wichtigsten Propaganda-Ort der Nazis. Einen Teil des Geländes räumte die Stadt frei, etwa die Baustelle des Deutschen Stadions, wo nach dem Willen der Nazis die Olympischen Spiele eine Heimat hätten finden sollen.

Dort entstand der Volkspark Dutzendteich, bis heute eines der beliebtesten Freizeitareale der Nürnberger, während im Süden des Geländes ein neuer Stadtteil namens Langwasser auf dem Reißbrett entworfen wurde.

Es gab Gebäude, die intensiv genutzt wurden und bis heute werden - die Kongresshalle etwa, eines der größten Lager der Stadt. Es gab aber auch Bauwerke, die wie die Große Straße komplett saniert wurden. Und solche, die man massiv veränderte.

Die Zeppelintribüne ist eines davon. Auf Anordnung des damaligen SPD-Oberbürgermeisters Andreas Urschlechter ließ die Stadt die porösen Säulengalerien der Hitler-Tribüne 1967 kurzerhand wegsprengen. Die offizielle Begründung lautete Gefahr in Verzug.

Was mit der Zeppelintribüne passieren soll

Nürnberg: Ein Plastikschwan gehört auch zum Inventar des früheren NS-Areals in Nürnberg. Im Hintergrund das ehemalige Reichsparteitagsgelände.

Ein Plastikschwan gehört auch zum Inventar des früheren NS-Areals in Nürnberg. Im Hintergrund das ehemalige Reichsparteitagsgelände.

(Foto: Museen der Stadt Nürnberg, Dokumentationszentrum.)

Die Debattenlage war damals mehr als verwirrend: Wegen der Sprengung bedrohten anonyme Briefschreiber den städtischen Baureferenten, die NPD im Stadtrat begehrte ebenso vehement auf wie die FDP und der Nürnberger Motorsportklub.

Zahlreiche Leserbriefschreiber äußerten den Verdacht, dass der Ärger mit der Bausubstanz der Stadt eine offenbar willkommene Gelegenheit gebe, unliebsame Relikte aus der NS-Zeit möglichst elegant loszuwerden. Ganz falsch dürften sie damit nicht gelegen haben.

Nürnberg: Schon damals sehr umstritten: die Sprengung der Pfeilerreihen auf der Zeppelintribüne 1967.

Schon damals sehr umstritten: die Sprengung der Pfeilerreihen auf der Zeppelintribüne 1967.

(Foto: Stadtarchiv Nürnberg)

Die Ausstellung verzichtet darauf, auch die aktuelle Debatte in der Causa Zeppelintribüne im Detail darzustellen. Tatsächlich ist diese mindestens so unübersichtlich wie die von 1967. Kürzlich erst hat die Stadt 16 Fachleute zu einem Symposium geladen, sie sollten vor allem über die Zukunft der Tribüne diskutieren. Einziger Konsens war am Ende, dass es da einen Konsens kaum geben wird.

Forderten mehrere Historiker am ersten Tag, doch wenigstens die seltsamen Autorennen auf einem früheren NS-Areal einzustellen, legten am zweiten Tag ebenso renommierte Experten dar, warum es gerade profane Freizeitnutzungen seien, die eine mystische Überhöhung des Areals zu verhindern helfen.

Zur Frage, wie man die Tribüne für kommende Generationen erhalten soll, fallen die Antworten von Fachleuten ebenso uneindeutig aus. Die Varianten reichen von kontrolliertem Verfall bis zur Instandsetzung für, vorsichtig geschätzte 70 Millionen Euro.

Früheres NS-Areal als Musikort

Profaner Freizeitort, ob mit oder ohne Autorennen, soll das Gelände aber auf jeden Fall bleiben. Spätestens seit Bob Dylan dort 1978 einen legendären Auftritt hinlegte, hat sich das frühere NS-Areal als Musikort bewährt, als Kontrast zum Marschgetöse der Nazis. "Es war mir ein Bedürfnis, dieses Gelände zu entweihen", sagte Dylan damals.

Nürnberg: Sudetendeutsche Tage gehören in Nürnberg längst der Vergangenheit an. Hier eine Veranstaltung 1955 an der Zeppelintribüne in Nürnberg.

Sudetendeutsche Tage gehören in Nürnberg längst der Vergangenheit an. Hier eine Veranstaltung 1955 an der Zeppelintribüne in Nürnberg.

(Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München)

Rock im Park gilt inzwischen ebenso als feste Größe im Kulturprogramm der Stadt wie das Klassik-Open-Air mit bis zu 90 000 Zuhörern im Luitpoldhain. Veranstaltungen wie der Sudetendeutsche Tag von 1955 gehören dagegen der Geschichte an.

Wohl aus gutem Grund: Deren Inszenierung zehn Jahre nach 1945 "ähnelte den Reichsparteitagen, vom Fahneneinmarsch bis zur Beflaggung der Türme", notiert einer der Ausstellungstexte nüchtern.

"Das Gelände: Dokumentation. Perspektiven. Diskussion", bis 13. März im Nürnberger Doku-Zentrum.

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