Nürnberg:Das Schwarzwaldmädel und die Nazis

Nürnberg: Einmal pro Jahr, wie hier 1937, stand das Nürnberger Opernhaus im reichsweiten Fokus als fester Bestandteil der Reichsparteitagsdramaturgie. Hitler verfolgte dort in der "Führerloge" die "Meistersinger von Nürnberg".

Einmal pro Jahr, wie hier 1937, stand das Nürnberger Opernhaus im reichsweiten Fokus als fester Bestandteil der Reichsparteitagsdramaturgie. Hitler verfolgte dort in der "Führerloge" die "Meistersinger von Nürnberg".

(Foto: Stadtarchiv Nürnberg)

Hitler und seine Schergen lieferten sich in Nürnberg einen bizarren Streit über die Operette des jüdischen Komponisten Léon Jessel.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Die Operette "Das Schwarzwaldmädel" von Léon Jessel ist heute weithin in Vergessenheit geraten, sie gilt als idyllisierend und traditionalistisch. In den 1930er-Jahren aber beschäftigte das Werk um die mannstolle Malwine, Eifersucht und eine fesche Schwarzwaldhaushaltshilfe höchste NS-Kreise - und wie die Ausstellung "Hitler. Macht. Oper" im Nürnberger Doku-Zentrum nun nachweist: offenbar sogar Hitler. Im Januar lässt der Generalintendant der Städtischen Theater Nürnberg den Reichsdramaturgen wissen, dass dieses Werk des jüdischen Komponisten Jessel - erklärtermaßen ein Lieblingswerk des "Frankenführers" Julius Streicher - weiter auf dem Spielplan stehen dürfe.

Warum? Frankens NS-Gauleiter wünsche es so und habe den "Herrn Minister Dr. Goebbels" gebeten, das amouröse Drama aus dem fiktiven Schwarzwaldflecken Sankt Christoph auch künftig in Nürnberg sehen zu dürfen. Goebbels wiederum habe "die Frage mit dem Führer besprochen", gemeinsam sei man zum Ergebnis gekommen, dass das "Schwarzwaldmädel" überall dort weiterhin gezeigt werden dürfe, wo der "zuständige politische Amtsträger nichts dagegen einzuwenden" habe.

Damit, könnte man meinen, hätte die Causa ihr Bewenden haben können. Es ging aber um Nürnberg, die Stadt der NS-Reichsparteitage, und da gab es fürs Regime gerade in kulturellen Fragen keine Nebensächlichkeiten. Drei Tage nach Eingang des Schreibens aus Nürnberg, am 21. Januar 1936, wandte sich der Reichsdramaturg persönlich an Goebbels, um den "ruhigen und sehr sorgfältig abwägenden Standpunkt der Reichsdramaturgie" abermals darzulegen. Im Fall "Schwarzwaldmädel" lautete der: Das Werk sei "jüdisch, jederzeit ersetzbar und ganz und gar wertlos", müsse also vom Spielplan der Stadt der Reichsparteitage verschwinden. Andernorts ebenso.

Über Monate erstreckte sich dieser Kulturkampf im Kleinen, der Sieger war am Ende: Streicher. Er setzt sich mit dem Konstrukt durch, die Juden hätten "ohnehin alles gestohlen", mithin auch die musikalische Mär vom Schwarzwaldmädel, die folglich als "arisch" zu werten sei. Des Reiches übelster Hetzer und Antisemit durfte also weiter seine Lieblingsoperette sehen, bis 1937 wurde sie 45 Mal in Nürnberg gespielt. Léon Jessel starb 1942 nach Misshandlungen durch die Gestapo in Berlin.

Das Doku-Zentrum hat schon zahlreiche komplexe Ausstellungen beherbergt, dass die aktuelle zu den aufwendigsten gehört, zeigt bereits der Blick ins Impressum: Im demnächst erscheinenden Katalog sind dort etliche Dutzend Namen aufgeführt. Federführend beteiligt sind das Forschungsinstitut für Musiktheater der Uni Bayreuth, das Doku-Zentrum sowie das Staatstheater Nürnberg, das selbst die Initiative ergriffen hatte, die dunkelste Zeit des Hauses aufzuarbeiten. Das Theater zeichnet auch verantwortlich für die Kulissen im Doku-Zentrum, die einen Gang durchs historische Opernhaus suggerieren. Dass diesmal mehr als eine Institution beteiligt ist und mit enormem Forschungsaufwand gearbeitet wurde, ist unverkennbar. Wer allein sämtliche Texte und die schriftlichen, zum Teil schwer erkennbaren Quellen durchlesen wollte, bräuchte Stunden.

Dass der Aufwand lohnt, steht außer Frage. Zwar blieb das Haus in der NS-Zeit von massiven Säuberungen sogenannter entarteter Musik weithin verschont - das Haus hatte schon vor 1933 kaum die so gebrandmarkten Werke gespielt. Trotzdem ist die Historie des Hauses exemplarisch, immerhin stand es einmal jährlich als integraler Bestandteil der Reichsparteitagsdramaturgie im reichsweiten Fokus. Von der Loge aus verfolgte Hitler dann gemeinsam mit der NS-Führungsriege die "Meistersinger von Nürnberg" seines erklärten Lieblingskomponisten. Auf Hitlers Geheiß wurde das Haus 1935 auch umgebaut, im Innenraum wurden sämtliche Jugendstil-Ornamente beseitigt und eine "Führerloge" samt Vorzimmer und Schlafgelegenheit eingebaut. Geblieben ist nach dem Wiederaufbau des Opernhauses nichts davon. Beim Luftangriff auf Nürnberg am 2. Januar 1945 wurde das Haus schwer getroffen.

"Hitler. Macht. Oper. Propaganda und Musiktheater in Nürnberg", 14.6.18-3.2.19 im Doku-Zentrum.

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