NS-Anhänger nach dem Zweiten Weltkrieg:Das Lager der Unverbesserlichen

  • Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 600 SS-Schergen aus dem KZ Dachau und die Ehefrauen Heß und Göring in einem Lager der US-Armee in Augsburg interniert.
  • Die Insassen hielten an ihrer Ideologie fest. Sie sangen NS-Lieder, verherrlichten Adolf Hitler. Und sie wurden besser versorgt als die normale Bevölkerung.
  • Im Mai 1948 wurde das Lager geschlossen, die Insassen kamen frei.

Von Stefan Mayr, Augsburg

Es ist vielleicht eines der bizarrsten Stücke bayerischer Zeitgeschichte: Während die deutsche Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg hungerte, und heilfroh sein musste, wenn sie ein Dach über dem Kopf hatte, herrschten in einem Internierungslager für bekennende Nationalsozialisten bis 1948 fröhliche Urständ.

Die US-Army hatte in einem ehemaligen Lager für Zwangsarbeiter in Augsburg-Göggingen ein Camp für bis zu 1500 Nazis eingerichtet. Darunter waren 600 SS-Schergen, auch aus dem KZ Dachau, sowie viele Ehefrauen und Witwen ehemaliger NS-Bonzen wie Ilse Heß, Emmy Göring, Henriette von Schirach und Brigitte Frank.

"Zu 1700 Kalorien verurteilt"

Über die Zustände in den Baracken kursierte damals in Augsburg ein Witz: "Die Insassen wurden nicht zu Arbeitslager verurteilt, sondern zu 1700 Kalorien." Die übrige Bevölkerung musste zur selben Zeit mit deutlich weniger auskommen: In der amerikanischen Besatzungszone galt für Erwachsene ein Tagesbedarf von 1550 Kalorien.

Tatsächlich erhielten viele Bürger lange Zeit für ihre Lebensmittelmarken aber nur Essbares für knapp mehr als 1000 Kalorien. Als die SPD-Abgeordnete Lisa Albrecht das Lager besuchte, schlug sie fassungslos vor, der Zivilbevölkerung davon nichts zu erzählen. "Denn die deutsche Hausfrau würde das Verhätscheln der ehemaligen Nationalsozialisten nicht verstehen."

Den verstörenden Einblick in das Internierungslager verdanken wir dem 300-seitigen Sammelband "Augsburg und Amerika", der im Wißner-Verlag erschienen ist. Das Kapitel über das Lager beruht auf internen Berichten der US-Army (Weekly Security Reports) und auf Artikeln der Schwäbischen Landeszeitung.

Eine der Frauen ging nie ohne ihr Hitler-Foto ins Bett

Angesichts der Berichte aus Göggingen verschlägt es dem Leser von heute gleich mehrmals die Sprache: Eine der Frauen ging nie ohne ihr Hitler-Foto ins Bett. Sie begründete ihr Nähebedürfnis zu ihrem Ex-Führer so: Sie habe ihm als Mädchen Blumen überreichen dürfen und glaube die schlimmen Dinge, die über ihn erzählt werden, nicht.

Obwohl die Insassen des Lagers unschuldige Menschen in den Konzentrationslagern zu Tode gequält oder gleich ermordet hatten, wurden sie von den US-Soldaten mit Menschlichkeit behandelt. Mehr noch: In den Nazi-Baracken gab es im Gegensatz zu den meisten Städten und Dörfern mehr als genug zu essen. In den Bibliotheken standen reihenweise nationalistische Bücher bereit. Noch 1947 sangen die Internierten bei einer Sonnwendfeier inbrünstig NS-Lieder und rezitierten germanische Heldensagen.

Die Entnazifizierung scheiterte in diesem Lager völlig

In manchen Räumen wurden Hakenkreuze an die Wände gemalt und Hitler- und Göring-Bilder aufgestellt. Die Herrschaften fabrizierten Flugblätter und Poster, in denen sie die Alliierten und die Demokratie schmähten. Kurzum: Die Entnazifizierung scheiterte in diesem Lager auf ganzer Linie. Während ringsherum die Demokratie allmählich Wurzeln schlug, entwickelte sich dieses Camp zum letzten Reservat des Dritten Reiches.

1948 durften die Insassen eine Lager-Vertretung wählen. Als Kandidaten traten an: Ilse Heß und der ehemalige NSDAP-Oberbürgermeister Josef Mayr. Manchem Internierten waren diese Personen offenbar zu gemäßigt, sie schrieben auf ihren Wahlzettel einen anderen Namen: "Hitler".

Die Notizen der US-Soldaten sind stellenweise voller Entsetzen und Ratlosigkeit. "Alle Versuche, das Verbrechen des Konzentrationslager-Systems aufzuzeigen, sind bei diesen Personen gescheitert", heißt es. "Die meisten Amerikaner geben zu, dass dieses Camp bald zur Brutstätte eines neuen Typs des Nationalsozialismus werden würde, wenn keine US-Bewacher und Geheimdienste präsent wären." Die Army ging davon aus, dass die Internierten "eines Tages alle diese Dinge wieder heraufbeschwören, die wir in zwei Kriegen auszulöschen versuchten".

Am hartnäckigsten waren offenbar die Frauen. "Die Männer (...) haben in ihrer Enttäuschung realisiert, dass viele Dinge im Dritten Reich kriminell waren und dass sie dabei mitgewirkt haben", schreibt ein Soldat. Die Frauen dagegen werden als "Hauptproblem des Lagers" bezeichnet. "Diese Frauen werden den Nationalsozialismus bis zum Äußersten verteidigen." Es sei "unmöglich, eine Frau zu finden, die empfindet, dass ihr Tun falsch war."

Im Mai 1948 wurde das Lager geschlossen, die Insassen wurden in Freiheit entlassen.

Philipp Gassert, Günther Kronenbitter, Stefan Paulus, Wolfgang E. J. Weber (Hg.), Augsburg und Amerika. Aneignungen und globale Verflechtungen in einer Stadt , Wißner-Verlag, 24,90 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: