Notfallmedizin in Bayern:Vor dem Kollaps

Notaufnahme

Dieser Tage sollte man sich in Bayern besser nicht verletzen. Einige Krankenhäuser sind so voll, dass sie keine Patienten mehr annehmen.

(Foto: Armin Weigel/dpa)
  • Der Patientenansturm ist in manchen bayerischen Kliniken so groß, dass die Notaufnahmen völlig überlastet sind.
  • Das hat vor allem für die Patienten Konsequenzen, die länger warten oder in andere Krankenhäuser gefahren werden müssen.
  • Ein Hauptgrund für die Überlastung sind sogenannte "Selbsteinweiser", die eigentlich gar nicht in die Notaufnahme müssten.

Von Dietrich Mittler

Alarmstimmung in Bayerns Kliniken: Der Patientenansturm ist so groß, dass die Notaufnahmen an vielen Häusern aktuell völlig überlastet sind. "Momentan ist die Situation - auch durch die Grippewelle - extrem angespannt, wir stehen mit dem Rücken zur Wand", sagt Günter Niklewski, der Ärztliche Direktor des Klinikums Nürnberg. "Voll, voll, alles voll", sagt er bei seiner Rückkehr aus der Notaufnahme, "wir kommen derzeit an die Kante von dem, was noch geht." Niklewski steht mit diesem Problem nicht alleine, selbst in der Landeshauptstadt München, die über mehr Versorgungsangebote verfügt, geraten immer mehr Häuser an ihre Kapazitätsgrenze und melden sich in der Rettungsdienstleitstelle ab - Botschaft: "Wir haben kein Notfallbett mehr."

Für Patienten hat das unangenehme Folgen. Rettungskräfte müssen derzeit häufig andere Häuser anfahren, und das kostet Zeit. Leonhard Stärk, der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes, hatte am Freitag eine Rundfrage bei seinen Rettungsteams gestartet, das Ergebnis macht ihn fast sprachlos: innerhalb kürzester Zeit gut 40 Rückmeldungen aus allen Landesteilen. Aus dem Oberland etwa meldete ein Team: "Im letzten Dienst wurde ein internistischer Patient von Lenggries nach Murnau gefahren, da Tölz, Agatharied und Penzberg voll waren." Aus dem Raum Miltenberg-Obernburg-Aschaffenburg meldeten die BRK-Mitarbeiter, "dass man ewig weit fahren muss - 50 Kilometer plus . . . - oder lange warten muss, bis man einen Notfallpatienten unterbringen kann".

Das Problem ist hausgemacht

Stärk hat das, wie er sagt, "schockiert". "Wir stehen nahe am Kollaps des Systems", sagt er. Verschärft werde das Problem zwar durch die vielen Grippekranken und die witterungsbedingt höhere Verletztenzahl. Letztlich aber sei das Problem hausgemacht: "Nun erleben wir die Folgen der Ausdünnung der Kliniklandschaft in Bayern und der ständigen Reduzierungen im öffentlich-rechtlichen Krankentransport", sagt er. Der Sparkurs - vorangetrieben durch die Politik und die Krankenkassen - führe zu kaum mehr hinnehmbaren Situationen. "Und jetzt fahren wir die Patienten von Pontius zu Pilatus. Das kann doch wohl nicht wahr sein."

Siegfried Hasenbein, der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, kann die derzeitige Situation nur bestätigen: "Immer mehr Krankenhäuser müssen sich auch bei den Rettungsdienstleitstellen abmelden, weil sie bereits voll sind." Dass viele Kliniken derzeit an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit geraten, darauf hat Hasenbein eine klare Antwort: "Der Hauptgrund ist, dass die Notfall-Aufnahmen in den Krankenhäusern verstopft sind mit Patienten, die da eigentlich nicht hinmüssten." Immer mehr Menschen wendeten sich nicht mehr an den ärztlichen Bereitschaftsdienst, sondern gingen gleich ins Krankenhaus: "Dieses Phänomen hat sich in den letzten Jahren verstärkt", sagt Hasenbein.

Personalmangel in den Metropol-Kliniken

Die "Selbsteinweiser", wie diese Patienten im Krankenhaus-Jargon genannt werden, sind aber nicht das einzige Problem: Die Kliniken in den Metropolen haben immense Schwierigkeiten, ihr Personal aufzustocken - sie finden keines. "Ich kann natürlich nur so viele Intensivbetten betreiben, wie ich auch personell besetzen kann", sagt Hasenbein. Und wenn eine Klinik mit ihren Kapazitäten ausgelastet sei, dann müsse sie sich eben in der Rettungszentrale abmelden.

Die Würzburger haben seit 20 Jahren ein Modell, um genau das zu vermeiden. Wenn alle drei Häuser belegt sind, werden die Patienten nach einem Verteilungsschlüssel untergebracht: Die Uniklinik nimmt dann trotz Vollbelegung noch zwei Patienten auf, die kleineren Häuser einen. "In einer Situation, wo man ja eigentlich schon nicht mehr kann, ist das schwer zu managen", sagt Christoph Reiners, der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Würzburg. In Ingolstadt, wo das Klinikum das einzige große in der Region ist, gilt die Devise: "Wir können uns gar nicht erlauben, Patienten nicht aufzunehmen", sagt Florian Demetz, der Direktor der dortigen Notfallklinik. In Ingolstadt gilt derzeit wie andernorts: "Die Notaufnahme ist stark gefordert." Augsburg meldet ebenfalls hohes Patientenaufkommen - verbunden mit einer politischen Anklage: "Die notfallmedizinische Versorgung ist deutschlandweit unterfinanziert."

Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml sagt, hier werde es bald mehr Geld geben. Sie appelliert an die Patienten: "Wer Symptome einer Grippe verspürt, sollte sich zunächst an seinen Hausarzt oder den Bereitschaftsdienst wenden." Siegfried Hasenbein glaubt indes, dass viele dennoch eher ins Krankenhaus gehen. Die Patienten schätzten die Gewissheit, in einer Klinik jederzeit den passenden Facharzt anzutreffen. Beim ärztlichen Bereitschaftsdienst könne es auch passieren, dass bei Magenproblemen ein Hals-Nasen-Ohrenarzt an der Tür stehe.

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