Neues Gesetz:Eltern behinderter Kinder sollen Schulgeld zahlen

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Ein Platz in einer der 36 staatlich genehmigten Förderschulen Bayerns könnte für Eltern künftig teuer werden. (Foto: Lukas Barth)

Bis zu einem Richterspruch war es in Bayern üblich, dass Familien mit behinderten Kindern das Schulgeld für den Besuch einer privaten Förderschule erstattet bekommen - als Eingliederungshilfe. Nun sollen die Eltern zur Kasse gebeten werden.

Von Tina Baier, München

Ende der Pfingstferien bekam Renate Eggersberger Post von der Schule ihrer Stieftochter Laura, die sie immer noch fassungslos macht. Vom ersten August an müsse die Familie das Schulgeld von monatlich fast 300 Euro selbst bezahlen, hieß es in dem Schreiben der ParzivâlSchule, einer privaten Förderschule in München. Etwa 30 Familien hätten diesen Brief bekommen, sagt Andreas Loichinger, Geschäftsführer des Schulträgers. Die Eltern seien "entsetzt, empört und verzweifelt". Nicht wegen des Briefs, sondern wegen der Pläne des Freistaats Bayern, die diesen Brief erzwungen haben.

Die bayerische Staatsregierung will nämlich im Herbst rückwirkend zum ersten August ein Gesetz verabschieden, das für viele private Förderschulen dramatische Folgen hätte. Nach Informationen aus dem Kultusministerium gibt es in Bayern 233 private und 169 staatliche Förderschulen; betroffen sind also mehr als die Hälfte aller Förderschulen im Freistaat. Hintergrund ist ein Gerichtsurteil vom 15. November 2012, wonach es keine kommunale Aufgabe ist, Familien mit behinderten Kindern das Schulgeld für den Besuch einer privaten Förderschule zu erstatten. Bis dahin war es üblich, dass die Bezirke das Schulgeld als so genannte Eingliederungshilfe übernommen haben. Bis das neue Gesetz in Kraft tritt, hat der Freistaat die Zahlungen übergangsweise übernommen. Doch bald soll Schluss damit sein.

Besonders hart trifft es die 36 staatlich genehmigten Förderschulen in Bayern

Besonders hart trifft es die 36 staatlich genehmigten Förderschulen in Bayern, zu denen die Parzivâl-Schule gehört. Viele dieser Schulen arbeiten nach der Walldorf- oder Montessori-Pädagogik. "Wenn der Gesetzentwurf so verabschiedet wird, wie er jetzt ist, müssen Eltern mit Kindern auf staatlich genehmigten Förderschulen das Schulgeld künftig selbst bezahlen", bestätigt ein Sprecher des Kultusministeriums.

Die betroffenen Familien haben zwei Möglichkeiten: Entweder sie bezahlen das Schulgeld selbst. "Das können wir uns auf Dauer nicht leisten", sagt Eggersberger. Oder sie suchen einen Platz in einer staatlichen Förderschule, die kein Schulgeld verlangt. Das wäre "wirklich entsetzlich und völlig inakzeptabel", schreiben die Eltern in einem gemeinsamen Brief, mit dem sie sich an die Politik wenden wollen. "Ich empfinde das als Ungerechtigkeit gegenüber unserem Kind", sagt Eggersberger. Laura fühle sich wohl in der Parzivâl-Schule und habe sich dort sehr gut entwickelt. "Das Kind hat dort sogar Rechnen gelernt!", sagt sie. Dass Laura das schaffen könnte, hat lange Zeit niemand für möglich gehalten. Wie die Achtjährige auf einen Schulwechsel reagieren würde, sei nicht vorhersehbar.

Die Eltern werfen dem Ministerium "pädagogische Flurbereinigung" vor

Theoretisch hätte die Parzivâl-Schule - wie andere staatlich genehmigte Förderschulen in Bayern auch - die Möglichkeit, die staatliche Anerkennung zu beantragen. Dann könnte sie dem Gesetzentwurf zufolge in Zukunft mehr Geld als bisher vom Staat bekommen. "Im Gegenzug dürfte sie kein Schulgeld mehr von den Eltern verlangen", heißt es aus dem Kultusministerium. Das klingt nach einer guten Lösung, hat aber aus Sicht der Schule und auch der Eltern einen Haken. "Wir müssten dann auch den staatlichen Lehrplan übernehmen", sagt Loichinger. Waldorfspezifische Bildungsinhalte wie Eurythmie oder die Schwerpunktsetzung im künstlerisch-musischen und handwerklichen Bereich wären dann nicht mehr möglich. "Unsere Schule würde ihre pädagogische Identität verlieren."

Die Eltern werfen dem Kultusministerium in ihrem Brief "pädagogische Flurbereinigung" vor. Bis Mittwoch dürfen die Verbände zu dem Gesetzentwurf noch Stellung nehmen. Ob die Kritik angenommen und der Gesetzentwurf nachgebessert wird, ist aber fraglich. "Wir Eltern haben kein Mitspracherecht", sagt Eggersberger. "Wir werden vor vollendete Tatsachen gestellt.

© SZ vom 07.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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