Neuer Forschungsstandort:Boeing stößt ins Hoheitsgebiet von Airbus vor

FILE - European Aviation Safety Agency Grounds All 787 Dreamliners

Im Heck jeder Boeing 787 Dreamliner ist bereits ein Bauteil installiert, das die Augsburger Airbus-Tochterfirma Premium Aerotec hergestellt hat.

(Foto: Christopher Furlong/Getty Images)
  • Hochrangige Manager des Flugzeugherstellers Boeing haben Bayern einen Besuch abgestattet.
  • Das Unternehmen sucht offenbar einen neuen Standort für ein Forschungszentrum.
  • Ist das ein Gegenangriff? Konkurrent Airbus hat gerade erst ein Montage-Werk in den USA eröffnet.

Von Stefan Mayr, Augsburg

Sie waren gleich mehrmals da, jeder Besuch war streng geheim und mit einem straffen Programm vollgepackt. Ein halbes Dutzend hochrangiger Manager des US-amerikanischen Flugzeugherstellers Boeing flog aus den USA und aus Spanien ein. In München, Augsburg und Bayreuth besichtigten sie jede Menge Unternehmen und Forschungsstätten. Grund der Geheim-Mission: Der Konzern plant, in Bayern einen Forschungs- und Entwicklungsstandort zu eröffnen.

Für den Freistaat ist diese Nachricht doppelt elektrisierend. Erstens: Es könnten zahlreiche Arbeitsplätze für Ingenieure und Wissenschaftler entstehen. Zweitens: Bayern ist Heimat des Hauptkonkurrenten Airbus, den einst Europas Politiker geformt hatten, um die US-amerikanische Vormacht im Flugzeugbau zu brechen.

Wenn Boeing sich hier niederlässt, dann ist das so, als würde die italienische Rennwagenschmiede Ferrari in München vor der Tür der BMW-Zentrale ein Werk eröffnen.

Entsprechend verschwiegen ist die Pressestelle von Boeing Deutschland in Berlin. Sie äußert sich weder zu den Besuchen noch zu den Ansiedlungsplänen. Wann und wo der Boeing-Standort in Betrieb gehen soll, ist noch offen. Denkbar sind München, Garching und Augsburg. Etwas gesprächiger ist Heinz Voggenreiter vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

"Zarter Keimling"

Er hat die mehrköpfige Boeing-Delegation schon durch seine Labore geführt. "Das wäre eine schöne Chance für Bayern, man könnte damit Wertschöpfung ins Land bringen", sagt der Leiter des Instituts für Werkstoff-Forschung.

Er geht davon aus, dass Boeing zunächst etwa zehn Forscher in Bayern ansiedeln wird - mit der Perspektive, allmählich zu wachsen. Voggenreiter spricht von einem "zarten Keimling", der sich im Laufe der Zeit bei guter Pflege zu einem Kraftprotz entwickeln könnte. Voggenreiter: "Vielleicht produziert Boeing hier irgendwann sogar."

Erst im September hat der europäische Konkurrent Airbus sein erstes Montage-Werk in den USA eröffnet, manche Beobachter werteten das als forsche Attacke auf Boeing in dessen Heimat. Kommt jetzt der Gegenangriff? Voggenreiter hätte nichts dagegen, obwohl das DLR bislang intensiv mit Airbus zusammenarbeitet.

Boeing kooperiert schon mit bayerischen Zulieferern

Es gibt auch schon Kooperationen zwischen Boeing und bayerischen Zulieferern: So stellt Premium Aerotec aus Augsburg für die Boeing 787 sogenannte Druckkalotten aus Carbon her - obwohl Premium Aerotec eine hundertprozentige Airbus-Tochter ist. Insofern hofft Voggenreiter, dass Boeing künftig noch mehr Aufträge nach Bayern vergeben wird.

"Dabei dürfen wir aber Airbus nicht vergraulen", betont Voggenreiter, "da muss man schon sehr sensibel sein." Als die Boeing-Leute bei ihm zu Gast waren, habe er etliche Objekte abgedeckt, um keine geheimen Neuentwicklungen seines Kunden Airbus zu entblößen. "Das war schon eine Herausforderung", schmunzelt der Professor, "allein wegen der Größe."

Was die US-Amerikaner ausgerechnet in die Heimat des langjährigen Airbus-Aufsichtsratsvorsitzenden Franz Josef Strauß zieht, ist klar: Es ist das hier ansässige Wissen über Leichtbau. Das Zauberwort lautet: Carbonfaserverbundstoff, kurz CFK. In Bayern wird an neuen Technologien für leichtere und damit effizientere Bauteile geforscht, diese sollen bald das schwerere Stahl und Aluminium ersetzen.

Wegweisende Spitzenforschung aus Bayern

International wegweisend in der Leichtbauforschung ist der bayerische Spitzencluster MAI Carbon. Die Buchstaben MAI stehen für München, Augsburg und Ingolstadt, in diesem Städtedreieck forschen Unternehmen und Universitäten an der Zukunft des Leichtbaus. Das Bundesforschungsministerium unterstützt MAI Carbon mit 40 Millionen Euro Zuschuss.

Vater von MAI Carbon ist der Interessensverband Carbon Composites e.V., in dem unter anderen Audi, BMW, Eurocopter und Voith mitmischen. Das jüngste Mitglied heißt: "The Boeing Company". Die US-Amerikaner wollten vor Jahren schon einmal beitreten. Doch der Antrag wurde damals abgelehnt - aus Angst, Boeing könnte wichtiges Knowhow abschöpfen und nach Übersee abziehen.

Nun aber empfängt der CC e.V. den US-Konzern mit offenen Armen. Nicht zuletzt, weil Boeing bereits einen ersten "Senior Manager" in München angesiedelt hat. Er heißt Phillip Crothers und gehört zur Boeing-Sparte "Forschung & Technologie Europa". Der Australier soll die Boeing-Aktivitäten in Bayern koordinieren. Mit der Presse spricht er nicht. Es bleibt spannend, wo die Geheimreise der Amerikaner endet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: