Pflegekräftemangel:Pflegeheime können sich Stellenanzeigen sparen

Qualifizierung: Viele Arbeitslose wollen in die Altenpflege

Pflegekräfte sind extreme Mangelware: Auf eine arbeitslos gemeldete Fachkraft kommen bis zu 68 offene Stellen.

(Foto: Oliver Berg/dpa)
  • Bayern braucht mehr Krankenpfleger und -pflegerinnen, wie eine aktuelle Studie erneut zeigt. Im Oktober 2016 kamen auf einen arbeitslosen Pfleger 64 freie Stellen.
  • Experten gehen davon aus, dass sich die Lage in Zukunft verschärfen wird.
  • Dabei muss Bayern auf regionale Konzepte setzen und verhindern, dass Pfleger nach der Ausbildung aufhören.

Von Dietrich Mittler

In Bayern werden ungefähr 75 Prozent aller alten Menschen zu Hause gepflegt. "Das Pflegesystem würde ohne pflegende Angehörige zusammenbrechen", ist sich Hermann Imhof, der Patienten- und Pflegebeauftragte der Staatsregierung, sicher. Doch die Entwicklung der zurückliegenden Jahre zeigt auch, dass angesichts sich verändernder Familienstrukturen die Pflege durch Angehörige abnehmen wird.

Zugleich nimmt der Anteil der Alten an der Gesamtbevölkerung stetig zu - viele von ihnen leiden zudem an Krankheiten. Um nur eine Zahl herauszugreifen: In Bayern leben nach Schätzung des Gesundheitsministeriums bereits mehr als 230 000 Menschen mit Demenz, und bis 2032 werden es 340 000 sein. Der Bedarf an professionellen Pflegekräften wächst stetig - doch woher nehmen?

Für das Kuratorium Wohnen im Alter hat nun Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung in Köln eine Studie angefertigt. Sie widmet sich dem Thema, wie sich in Bayern Fachkräfte für die Langzeitpflege sichern lassen. Isforts Analyse ließ die Zuhörer in München alles andere als beruhigt aufatmen. "Im Oktober 2016", so sagte er, "gab es in ganz Bayern gerade einmal 199 arbeitslose Altenpflege-Fachkräfte."

Da bereits horchten viele auf. Aber Isfort legte umgehend nach: "Auf eine arbeitslos gemeldete Altenpflegefachkraft kamen in Bayerns Arbeitsmarktbezirken bis zu 68 offen gemeldete Stellen." Und das seien nur die offiziell gemeldeten freien Stellen. Etliche Heime würden der Bundesagentur für Arbeit gar nicht mehr mitteilen, wenn sie nach Pflegefachkräften suchen.

"Hören Sie auf, Stellenanzeigen zu platzieren, spenden Sie das Geld lieber", rief Isfort den Führungskräften aus der Pflegebranche zu. Die freilich sind Hiobsbotschaften gewohnt. Zuletzt hatten die Freien Wähler im Landtag mit einer Interpellation auf die schwierigen Zukunftsaussichten für die Pflege aufmerksam gemacht. Dabei kam auch eine Prognose der Bertelsmann-Stiftung zur Sprache - und wenn sie Realität werden sollte, ist in Bayern in der ambulanten Pflege 2030 mit einer Versorgungslücke von 14 149 Vollzeitkräften zu rechnen. In der stationären Altenpflege fehlen dann gar 47 945 Fachkräfte.

"Wir brauchen deutlich mehr Personal in der Pflege. Das ist die nächste große Herausforderung, der wir uns stellen", verspricht Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). Dafür sei es wichtig, "die Strukturen vor Ort stärken zu können", sagt Huml, denn dort "kennt man die Bedürfnisse der Menschen und die vorhandenen Strukturen am besten". Diesem Ansatz folgt auch Pflegeforscher Isfort, wenn auch radikaler.

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Die Grafik zeigt, aus welchen gründen Menschen ihren erlernten Beruf später nicht aufnehmen. SZ Grafik; Quelle: dip

Er sagt, es helfe gar nichts, "bei der Analyse des Personalproblems in der Pflege nur auf landesweite Erhebungen zurückzugreifen". Für jede Region sei eigens zu erfassen, welche Herausforderungen auf sie zukommen - zum Beispiel: Wie viele Pflegebedürftige dort bis 2030 zu erwarten sind. Wie viele Pflegekräfte regional angeworben werden können. Und ob es dort überhaupt entsprechende Ausbildungskapazitäten für junge Leute gibt, die bereit wären, in die Pflege zu gehen.

Laut Isfort müssten die Fachschulen genau da entstehen, wo ein hoher Pflegebedarf zu erwarten ist. "Wir müssen uns das sehr viel engmaschiger anschauen", sagt er. Schließlich gehe es um die Versorgungssicherheit. "Es nutzt eben nichts, wenn man etwa in Bad Kissingen die Ausbildungskapazität um 50 Lehrstellen erhöht. Davon hat man im Kreis Miesbach oder im Kreis Rosenheim gar nichts", sagt Isfort.

Studien hätten ergeben, "dass der Radius, in dem Fachkräfte für eine Pflegeeinrichtung rekrutiert werden können, bei etwa 20 Kilometern liegt". Im Klartext heißt das: "Fachkräfte aus Unterfranken wird man in der Regel nicht in den Großraum München bringen. Noch nicht einmal die aus dem schwäbischen Raum", sagt Isfort.

17 Prozent der Pfleger in NRW hörten auf

Schon allein diese Erkenntnisse machten deutlich, dass eine lediglich auf landesweite Zahlen gestützte Vorausplanung nicht mehr weiterhelfe. "Wir steuern das System im Blindflug", sagt der Forscher. Auch sei es eine Illusion zu glauben, dass alle Pflegeschüler in Zukunft für Heime und ambulante Dienste zur Verfügung stünden.

Studien in Nordrhein-Westfalen hätten ergeben, dass nach der Ausbildung nur 83 Prozent der Absolventen den Pflegeberuf ergriffen haben. Als Grund hätten die jungen Leute oft "zu schlechte Arbeitsbedingungen" genannt. Viele hätten auch erklärt: "Das, was ich in der Ausbildung gelernt habe, kann ich im Pflegealltag gar nicht umsetzen."

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