Neue Rote Listen:Die Artenvielfalt schwindet

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Die eher unscheinbare Berghexe (Chazara briseis) gehört zu den 59 Prozent der Tagfalterarten in Bayern, die derzeit vom Aussterben bedroht sind. (Foto: Adi Geyer/oh)

Verantwortlich für den enormen Rückgang ist die konventionelle Landwirtschaft

Von Christian Sebald, München

Naturschützer beklagen seit Langem den galoppierenden Artenschwund im Freistaat. Jetzt dürfen sie sich von Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) bestätigt fühlen. Wie aus einem Bericht der Ministerin an den Landtag hervorgeht, sind die Verluste in den Agrarlandschaften am dramatischsten. Außerdem betreffen sie immer öfter einst häufige Arten. Wörtlich heißt es in Scharfs Bericht: "Zahlreiche Arten sind aus den ,normalen Landschaften' weitgehend verschwunden." Stärker spezialisierte Arten kämen nur noch in Schutzgebieten vor. Teils verschwänden sie aber auch dort sukzessive. Der SPD-Abgeordnete Florian von Brunn, der den Bericht initiiert hat, spricht von einem "erschreckenden Bild", der Grünen-Abgeordnete und Chef des Umweltausschusses im Landtag, Christian Magerl, von einer "desaströsen Entwicklung".

Als Beispiele für den grassierenden Schwund führt Scharf bei den Brutvögeln den Baumpieper, den Bluthänfling und sogar die Feldlerche an. Bei den Tagfaltern hat die eher unscheinbare Berghexe einen dramatischen Rückgang in nur wenigen Jahren hinnehmen müssen, ebenso das Rotbraune Wiesenvögelchen. Der Buntbäuchige Grashüpfer wiederum ist in Nordbayern kaum noch anzutreffen, in Südbayern ist er stark auf dem Rückzug. Die Aussagen sind sehr aktuell. Sie sind den neuen Roten Listen entnommen, deren Erarbeitung derzeit läuft. Die ersten drei - für Brutvögel, für Heuschrecken und für Tagfalter - wurden kürzlich fertiggestellt und auf der Homepage des Landesamts für Umwelt veröffentlicht (http://www.lfu.bayern.de/natur/rote_liste_tiere/index.htm). Sie lösen die Roten Listen aus dem Jahr 2003 ab. Die neuen Roten Listen für Libellen, Reptilien, Amphibien, Säugetiere und Fische sollen noch im Lauf dieses Jahres veröffentlicht werden. Anders die neue Erfassung und Bewertung der Pflanzenwelt in Bayern: Sie zieht sich noch hin. Der Grund ist die sehr viel größere Vielfalt der Flora. Als erstes erwartet Scharf Anfang 2018 die neue Rote Liste für Moose.

Konkret sind derzeit 44 Prozent der Brutvögel in Bayern, 45 Prozent der Heuschrecken und 59 Prozent der Tagfalter gefährdet. Weitere neun Prozent der Brutvögel stehen auf der Vorwarnliste. Das heißt, sie befinden sich an der Schwelle zur Gefährdung. Bei den Heuschrecken sind dies 14 Prozent, bei den Tagfaltern zehn Prozent. Zwar sind die Quoten nominell etwas besser als die von 2003. Aber das liegt einzig daran, dass sich die Methodik geändert hat. "Eine direkte Vergleichsbilanz mit den Vorgängerlisten von 2003 ist nicht möglich", heißt es in Scharfs Bericht.

Was die Hauptursache des Artenschwunds anbelangt, spricht die Ministerin ebenfalls Klartext: Es ist die konventionelle Landwirtschaft mit ihren "flächendeckenden Stoffeinträgen". Die gespreizte Wortwahl meint die massenhafte Ausbringung von Gülle und Kunstdünger sowie den massiven Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Für den Grünen-Abgeordneten Magerl, der ein ausgezeichneter Vogelkenner ist, macht Scharfs Bericht "einmal mehr deutlich, dass wir eine völlig andere Landwirtschaft brauchen, wenn uns etwas am Artenschutz liegt". Und zwar nicht nur mehr Öko-Landwirtschaft, wie er sagt. "Sondern die konventionellen Bauern müssen den Einsatz von Gülle, Kunstdünger und Pestiziden deutlich runterfahren, mehr Hecken, Büsche und Bauminseln zulassen, und wir müssen mehr Bäche und Flüsse renaturieren." Für den SPD-Mann von Brunn sind außerdem "ernsthafte Maßnahmen gegen den Flächenfraß" überfällig. Ihm reichen auch die bisherigen Artenhilfsprogramme des Freistaats nicht aus, so wie ihm die Erhebungen für die ausstehenden Roten Listen deutlich zu lange dauern.

© SZ vom 02.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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