Neu-Ulm:Zu Stein gewordene Angst

Die Festung Ulm ist die größter ihrer Art in Deutschland. Einst auf bayerischem und württembergischen Gebiet als gemeinsame Anlage zur Verteidigung gegen die Franzosen gedacht, sind in Neu-Ulm einige Gebäude abgerissen worden. Ein Verein konnte aber Schlimmeres verhindern

Von Dietrich Mittler, Neu-Ulm

Genau so hört er sich an, der Aufschrei einer gequälten schwäbischen Seele: "Ha!!!", stößt Robert Grau hervor. Empört stemmt er beide Hände in die Hüften, senkt den Kopf wie ein kampfbereiter Stier und blickt eine tiefe Baugrube nahe dem Neu-Ulmer Bahnhof hinab. "Ha!!!", ertönt es nun neben Grau. Das ist sein Vereinskamerad Ludwig Schnitzbauer vom Förderkreis Bundesfestung Ulm. "Da dront isch no' elles he", kommentiert der das fleißige Schaffen der Bauarbeiter, das den Überresten von Festungsmauern aber auch gar keine Chance ließ. Alles hin, weggebaggert, einplaniert, aus.

Kurz darauf rasseln Schlüssel, ein schweres Tor gibt den Weg frei - Grau und Schnitzbauer atmen durch. Die Luft ist kühl und feucht. Gleißend strahlt die Sonne hinein in die massiv gemauerten Tonnengewölbe der Caponniere 4. Die hat eine wechselvolle Geschichte, wäre beinahe sogar abgerissen worden, nachdem die auf ihr errichtete Möbelfabrik zugemacht hatte und die Caponniere zu einer Sperrmüll-Deponie verkam. "Da hascht elles g'funde: tote Hund, Hausmüll, kaputte Autos", sagt Schnitzbauer. Also dachte man sich damals: Weg mit der Caponniere! Aber das wusste der 1974 gegründete Förderkreis Bundesfestung Ulm zu verhindern. Die Aktiven bestürmten Lokalpolitiker so lange, bis die Stadt Neu-Ulm das Gebäude für die Landesgartenschau 2008 sanieren ließ.

Neu-Ulm: Die Festungsanlage galt als uneinnehmbar.

Die Festungsanlage galt als uneinnehmbar.

(Foto: Dietrich Mittler)

Heute sind darüber alle froh. Der Festungsbau dient nun als Stützpunkt der Neu-Ulmer Kulturszene mit Kunstausstellungen in den Kasematten und Jazz-Matineen, Konzerten sowie Lesungen unter freiem Himmel. Einst aber ragte sie wie ein Schiff aus den Festungsmauern hervor. An der Spitze war sie mit zwei Mörser-Stellungen bewehrt, aus denen die Geschütze im hohen Bogen auf herannahende Feinde schießen sollten. Caponnieren spielten im Belagerungsfall eine entscheidende Rolle. Aus ihnen konnte der Festungsgraben links und rechts unter Beschuss genommen werden, um so gegnerischen Truppen verheerende Verluste zu bereiten. "Zum Glück isch hier nie kämpft worre", sagt Robert Grau, der selbst Berufssoldat war.

Mittlerweile lauern die Gefahren ganz woanders. Als die beiden Männer wieder vor der Caponniere stehen, und Grau sich gerade zu einem wilden Gewirr aus bunten Plastikteilen, Draht und verbogenen Hula-Hoop-Reifen herunterbeugt, ruft Schnitzbauer: "Vorsicht, des isch keu Sperrmüll. Des isch Kunscht. Bloß itt a'fasse!", was frei übersetzt heißt: Finger weg, sonst gibt es Ärger. So wie damals, als zwei übereifrige Frauen Joseph Beuys' Badewanne von Fett, Mullbinden, Heftpflaster und Kupferdrähten befreiten. "Kunscht? I verstand des itte", sagt Grau kopfschüttelnd, steht auf und geht.

Einige Zeit später hallt seine Stimme durch die gekalkten Kasematten der Bastion 5. An den Wänden lehnen Plakate der FDP, in der Ecke faulen Aktenordner vor sich hin, und ein Schild an der Tür verrät: Die Freien Wähler sind auch da. Schnitzbauer und Grau haben dafür kein Auge. Im Schein der Taschenlampe untersuchen sie ein Pulvermagazin. Hier durften die Soldaten nur in Filzschuhen umherlaufen, denn genagelte Stiefelsohlen hätten am Boden Funken stieben können - und bumm!

An einer Wandfront der Kasematten deutet Schnitzbauer auf die Schießscharten für Kanonen. "Des isch ebbes, was es sonscht nirgends gibt", sagt er: eine Geschützbatterie hinter der Mörser-Stellung. Hätte der Feind tatsächlich die fast vier Meter dicke Schildmauer der Bastion 5 zerschossen und die Mörser-Stellung eingenommen, so hätten die Verteidiger mit Kartätschen-Salven aus den Kanonen für ein Massaker gesorgt. Spätestens hier wird klar, dass dieses Festungswerk nichts anderes ist als zu Stein gewordene Angst.

Letztlich ist die Bundesfestung Ulm eine Antwort auf die Napoleonischen Kriege und deren Verheerungen. 1815 wurde beim Wiener Kongress die Gründung des Deutschen Bundes besiegelt. Der baute Festungswerke neuen Stils - und das sogar länderübergreifend: So entstand von 1842 bis 1859 in Ulm auf württembergischen Boden und in Neu-Ulm auf bayerischer Seite eine der größten Festungen Europas, wie Markus Theile als einer der Historiker des Förderkreises schreibt. "Die Franzosen hielten sie für uneinnehmbar", sagt Grau.

Vielleicht ist das auch der Tapferkeit der Verteidiger geschuldet. Als bayerische Soldaten 1913 den Angriff auf das in Ulm gelegene Fort Oberer Kuhberg übten, musste das Manöver abgebrochen werden. Es ging dabei gar zu heftig zu. Ein Augenzeuge notierte: "Nun gab es einen wüsten Kampf auf der hohen Mauer, auf der sich Bayern und Württemberger rittlings gegenübersaßen und sich gegenseitig im Boxkampf in den Graben zu werfen versuchten." Schiedsrichter erklärten den Angriff der Bayern als abgewehrt, was diese nur umso wütender machte. In der Nacht griffen sie erneut an. Den Bayern gelang es dieses Mal, in das Fort einzudringen. Und wieder begann ein wildes Hauen und Stechen. "Man schoss sich mit Platzpatronen auf nächste Entfernung Löcher in die Uniform", hielt der Augenzeuge fest.

Ganz unparteiisch ist Robert Grau bei dieser Geschichte nicht - ist der 71-Jährige, der mit der Familie in Senden lebt, doch in Immenstadt im Allgäu geboren. Ein Bayer also. Aber Ludwig Schnitzbauer, der aus dem württembergischen Kreis Ulm stammt, findet die Episode auch gut. "Mir Schwobe verstandet uns", sagt der 76-Jährige. Das gemeinsame Ziel eint ohnehin: "So a Feschtung muscht oifach erhalte, denn ohne die hätt's Neu-Ulm so nie gebe."

Für den Tipp bedanken wir uns bei Sigrun Grüninger aus Neu-Ulm.

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