Naturschutz:Die Steinböcke breiten sich wieder aus

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Auf 600 bis 800 wird die Zahl der Steinböcke in den bayerischen Alpen derzeit geschätzt.

  • Mitte des 19. Jahrhunderts war der Steinbock in den Alpen fast ausgerottet, jetzt breiten sie sich wieder in den bayerischen Bergen aus.
  • Wie groß die Bestände sind, wollen Bayerischer Jagdverband, Staatsforsten, Bund Bayerischer Berufsjäger und der LBV jetzt mit Hilfe von Bergsteigern und Naturfreunden ermitteln.

Von Christian Sebald, Oberstdorf

Die Schafalpenköpfe sind ein kleiner, felsiger Gebirgsstock im Oberallgäu und damit im südlichsten Zipfel Deutschlands. Steil ragen die drei um die 2300 Meter hohen Felsgipfel auf. Klettersteiggeher kennen die Schafalpenköpfe, weil über sie der Mindelheimer Klettersteig hinwegführt, eine mittelschwere Route, die so beliebt ist, dass es bisweilen zu regelrechten Staus kommt.

Doch auf den Schafalpenköpfen hausen auch echte Kletterer. Sie tragen weder Seil noch Helm oder Klettergurt, dennoch ist ihnen keine Wand zu steil, kein Grat zu schmal. Es sind Steinböcke, die Herrscher des Hochgebirges und wohl imposantesten Wesen im alpenländischen Tierreich, die hoch oben ihr Revier haben - sommers wie winters, in sengender Hitze wie in klirrendem Frost und zumeist unbeachtet von den Klettersteiggehern.

Wie viele Steinböcke an den Schafalpenköpfen leben, weiß man nicht. Der Biologe Henning Werth, der sich für den Naturschutzverband LBV um Flora und Fauna im Oberallgäu kümmert, vermutet, dass es um die 50 sind. Mehr kann er über sie nicht sagen, obwohl er die Region wie wohl nur wenige andere kennt.

Das soll sich nun ändern. Mit dem Bayerischen Jagdverband, den Staatsforsten und dem Bund Bayerischer Berufsjäger startet der LBV jetzt ein Steinbock-Projekt. Die Verbände wollen nicht nur möglichst exakt ermitteln, wie groß die Steinbock-Bestände in den Bayerischen Alpen sind. Sondern auch, ob sich die Tiere - wie von Experten vermutet - allmählich ausbreiten.

Bei ihrer Aktion setzen die Naturschützer und Jäger auf die Unterstützung von Bergsteigern, Wanderern und anderen Naturfreunden. Sie sollen melden, wenn sie einen oder womöglich sogar ein Rudel Steinböcke sichten. Die Beobachtungen können auf Berghütten in Meldebögen eingetragen werden.

Der LBV hat außerdem eine Internetseite (www.lbv.de/steinbock) eingerichtet, auf der Sichtungen gemeldet werden können. "Steinböcke stehen für ungestörte und gering erschlossene Felsgebiete", sagt Jägerpräsident Jürgen Vocke. "Sie sollten auch in Zukunft in ihrem Charakter erhalten bleiben." LBV-Chef Norbert Schäffer hofft auf möglichst intensive Beteiligung. "Denn jede einzelne Beobachtung ist wichtig für uns", sagt er. "Nur durch sie erhalten wir ein genaueres Bild, zu welcher Jahreszeit sich die Tiere wo aufhalten."

Die Allgäuer Alpen sind eines von sechs Steinbock-Gebieten in den bayerischen Bergen. Der Biologe Werth schätzt den Gesamtbestand im Allgäu auf ungefähr 120 Tiere. Nur noch ganz im Südosten Oberbayerns - im Hagengebirge im Berchtesgadener Land - lebt eine größere Kolonie. Dort sollen es an die 200 Exemplare der Bergziegenart sein, die in den Felsenregionen über 1800 Metern Höhe oberhalb der Baumgrenze ihren Lebensraum hat.

Zwischen Berchtesgadener Land und Allgäu gibt es vier kleinere, von einander isolierte Bestände: am Brünnstein, der Benediktenwand und im Ammergebirge mit jeweils 70 bis 80 Tieren sowie im Karwendel. Wie groß die Kolonie dort ist, weiß man nicht. Alles in allem, so schätzt Werth, "dürften es zwischen 600 und 800 Steinböcke sein, die wir insgesamt in den bayerischen Alpen haben."

Verklärt und gejagt

Es gibt wohl kein zweites Wildtier des Hochgebirges, das so verklärt wurde und wird wie der Steinbock. Allein schon wegen der mächtigen, bis zu einem Meter langen Hörner der Männchen. Sie waren und sind für manche immer noch der Inbegriff des Virilen. Herrscher, Jäger, Wilderer - alle schrieben ihnen nur zu gerne potenzfördernde Wirkung zu. Pulverisiertes Steinbock-Horn wurde deshalb in Gold aufgewogen.

Aber auch das Blut, die Haare und sogar die Exkremente der Tiere wurden zu Medizin verarbeitet. Mit ihren mächtigen Hörnern fechten die Böcke jedes Jahr aufs Neue in oft stundenlangen Kämpfen die Rangordnung unter sich aus. Aber auch für ihre Kletterkünste wurden die Steinböcke verherrlicht. Die Tiere - die Böcke genauso wie die Ziegen und die Kitze, die schon wenige Stunden nach der Geburt laufen können - thronen überall dort im Fels, wo ihnen sonst kein Tier folgen kann.

Verklärung und Jagd gingen freilich immer gut zusammen. Wie viele andere Wildtiere wurden Steinböcke gnadenlos abgeschossen, wo immer Jäger und Wilderer sie antrafen. Dabei wurde den Tieren ihr wenig ausgeprägter Fluchtreflex zum Verhängnis. Zwar machen sie sich bei Gefahr rasch und behände in den unzugänglichen Fels davon. Sowie sie ihn aber erreicht haben, bleiben sie stehen und beäugen neugierig ihre Verfolger, als wüssten sie genau, dass diese ihnen nicht hinterher kommen. Für die Jäger mit ihren Gewehren sind sie damit gleichsam auf dem Präsentierteller - die Jagd auf Steinböcke gilt deshalb als vergleichsweise einfach.

Mitte des 19. Jahrhunderts war es so weit: Die Steinböcke waren alpenweit praktisch ausgerottet. "Nur noch in einigen wenigen Gegenden streiften welche umher, zum Beispiel am Gran Paradiso im Piemont", sagt der LBV-Mann Werth. "Der Gesamtbestand in den Alpen belief sich auf vielleicht 50 Tiere." Es ist dem Savoyenkönig Vittorio Emanuele II. zu verdanken, dass der Steinbock überlebt hat. Er stellte die Tiere 1856 unter seinen Schutz.

Das war der Wendepunkt. Fortan erholten sich die Bestände - auch dank vieler Auswilderungen vor allem in den Schweizer Alpen. Heute leben in den Alpen wieder um die 40 000 Steinböcke. Experten wie Werth sind überzeugt, dass sich die Art im Zuge der Klimaerwärmung weiter ausbreiten wird. In vielen Alpenregionen darf man bereits wieder Steinböcke jagen. In Bayern sind sie aber streng geschützt.

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