Naturschutz:Gedränge unter Bäumen

251 Pilzarten, 129 verschiedene Schmetterlinge und 49 Vogelarten leben im Weiherbuchet bei München. In 159 Reservaten darf der Wald noch Wald sein. Er wird sich selbst überlassen. Aber nun droht in der Oberpfalz ein Rückschritt für den Naturschutz in Bayern

Von Christian Sebald

Der Ästige Stachelbart ist einer der ungewöhnlichsten Pilze, die es in Bayern gibt. Und zwar nicht nur wegen seines leuchtend weißen, stark zerfaserten Fruchtkörpers, der von Weitem aussieht wie ein kleiner, gefrorener Wasserfall. Sondern weil er so selten ist, dass es wirklich ein großes Glück ist, wenn man auf einen trifft. Im Weiherbuchet, einem 40 Hektar großen Buchenwald im Münchner Süden, trifft man den Ästigen Stachelbart öfter an. Das liegt an den vielen umgestürzten, morschen Buchenstämmen, die hier auf dem Waldboden herumliegen. Der Ästige Stachelbart wächst nur auf vermodernden Buchenstämmen. Es ist aber nicht nur dieser Pilz, der den Weiherbuchet zu einem besonderen Wald macht. Auch Gartenrotschwanz und der Grauspecht fühlen sich hier wohl, so wie auch der Grasfrosch, der Bergmolch und viele andere seltene Tier- und Pflanzenarten.

Dass das so ist, hat einen Grund: Der Weiherbuchet ist ein Naturwaldreservat, eines von 159 in Bayern. Naturwaldreservate sind Waldstücke, in denen der Wald Wald sein darf. Das winzigste ist mit 3,2 Hektar Fläche das Kleine Moor im Biosphärenreservat Röhn. Das weitläufigste ist die 450 Hektar große Reiter Alpe im Berchtesgadener Land mit ihrem urtümlichen Fichten-, Lärchen- und Zirbenwald. Alles in allem umfassen die 159 Naturwaldreservate 7141 Hektar Fläche. Ursprünglich sollten es sogar noch mehr werden. An der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF), die für sie zuständig ist, peilten sie einst ein Netzwerk mit 10 000 Hektar Wald als Zielgröße an. Die Ausweisungen sind aber längst ins Stocken geraten. Seit der Jahrtausendwende gab es nur noch neun neue Naturwaldreservate. Dabei ist Bayern mit seinen insgesamt 2,5 Millionen Hektar Wald das waldreichste Bundesland in Deutschland. Und Forstminister Helmut Brunner rühmt sich und seine Forstleute dafür, dass keiner so viel für den Naturschutz im Wald tue wie sie.

Mit dem Grundsatz, den Wald Wald sein zu lassen, verfolgt die LWF in den Reservaten die gleiche Schutzstrategie wie die beiden Nationalpark-Verwaltungen im Bayerischen Wald und in Berchtesgaden. Freilich auf sehr viel kleineren Flächen. Aber auch in den Naturwaldreservaten unterbleibt jede forstwirtschaftliche Nutzung, die Wälder können sich frei entwickeln. Die Förster greifen nicht einmal ein, wenn ein Sturm Bäume umwirft. Der Wald bleibt sich überlassen. So entstehen rasch urtümliche Strukturen. Wer im Weiherbuchet im Würmtal spazieren geht, muss immer wieder über umgestürzte Buchen hinwegsteigen. Dafür kann er aber auch alte, am Ende ihres Baumlebens stehende Buchen bestaunen, wie man sie in Wirtschaftswäldern kaum antrifft. Dazu Eschen, Bergahornbäume und immer wieder Ulmen.

Auch die Artenvielfalt ist beachtlich. Allein 251 Pilzarten haben die LWF-Mitarbeiter im Weiherbuchet gezählt, dazu 129 verschiedene Schmetterlinge und 49 Vogelarten. Viele davon sind Spezialisten wie der Ästige Stachelbart, die nur in sich selbst überlassenen Wäldern vorkommen. "Unsere Naturwaldreservate sind Freilandlaboratorien zur Erforschung unserer Wälder", sagt denn auch LWF-Chef Olaf Schmidt. "Sie liefern wichtige Erkenntnisse für eine natürliche Waldbewirtschaftung, tragen immens zur Artenvielfalt in Bayern bei und sind ein Baustein für den Naturschutz in unseren Wäldern."

Gleichwohl sind dem Freistaat seine Naturwaldreservate offenbar nicht so wichtig, dass er sie nicht antasten lassen will. In der Oberpfalz tobt seit Jahren ein Streit um eines der wertvollsten Reservate überhaupt. Der Gitschger liegt auf dem Teichelberg, einer 685 Meter hohen Basaltkuppe vulkanischen Ursprungs nahe Marktredwitz. Er ist Kernzone eines sehr viel größeren Naturschutzgebietes, das wegen seines besonderen Artenreichtums auch nach europäischen Naturschutzrecht nicht angetastet werden darf. Denn in den urwüchsigen Buchenmischwäldern dort leben nicht nur Uhus, Raufußkauze und Waldschnepfen. Sondern auch Wildkatzen und sogar Luchse.

Dem Basaltwerk Pechbrunn, das seit 120 Jahren am Teichelberg Gestein für die Bauindustrie abbaut, ist das alles offenbar gleichgültig. Es will seinen Steinbruch auf der Rückseite des Teichelbergs um 37 Hektar Abbaugebiet erweitern. Mitten in den Gitschger und das Naturschutzgebiet hinein. Mehr als die Hälfte des Naturwaldreservats wäre damit auf einen Schlag zerstört und mit ihm die gesamte Artenvielfalt samt Luchsen und Wildkatzen.

Die Naturschützer bekämpfen die Pläne des Basaltwerks seit Jahren. Auch an der LWF sehen sie die Absichten mit großer Sorge. Aber nicht einmal im "Jahr des Waldnaturschutzes", zu dem Forstminister Brunner 2015 ausgerufen hat, hat der Freistaat den Begehrlichkeiten eine Absage erteilt. Unter den Naturschützern wächst deshalb die Verärgerung. "Das Forstministerium als Eigentümer des Teichelbergs kann im Handumdrehen die Planungen ablehnen und klare Verhältnisse schaffen", sagt Norbert Schäffer, der Vorsitzende des Vogelschutzbundes LBV. "Sollte es aber so sein, dass dem Freistaat so ein Juwel wie der Teichelberg nicht mehr heilig ist, wäre das ein Riesenrückschritt für den Naturschutz insgesamt."

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