Nationalpark Bayerischer Wald:Ein sympathischer Kauz

Nationalpark Bayerischer Wald: Sein freundliches Gesicht hat etwas von einem Opa mit Pfeife. Wahrscheinlich ist der Vogel deshalb so beliebt.

Sein freundliches Gesicht hat etwas von einem Opa mit Pfeife. Wahrscheinlich ist der Vogel deshalb so beliebt.

(Foto: Nationalpark Bayerischer Wald)

Der Habichtskauz ist der Beweis dafür, dass der Nationalpark Bayerischer Wald inzwischen wieder Urwald genug ist, um einst ausgestorbenen Tieren wieder Heimat zu sein. Der Habichtskauz, Europas zweitgrößte Eule, ist das bislang erfolgreichste Auswilderungsprojekt.

Von Nadia Pantel, Neuschönau

Jetzt hat Dennis Müller das Schnaufen auch gehört. "Ja, da atmet was. Das ist so zwanzig Meter entfernt." Mit einem lauten Knacken bricht ein Ast im Unterholz. "Das ist eher was Größeres. Vielleicht ein Wildschwein." So ruhig und gelassen Müller auch ist, er hat kein großes Talent, nachts im Wald beruhigend zu wirken. Ein zweites Knacken weiter links im Unterholz. "Aha, wir sind umzingelt."

Tiere anlocken. Das ist die Idee dieser nächtlichen Waldexkursion. Deshalb steht Müller, der Leiter der Tierfreigehege des Nationalparks Bayerischer Wald, mit einem tragbaren CD-Spieler in der Mitte einer Waldlichtung im Mondlicht und drückt auf Play: "Uh-uuuuuuuu- uh-uuuuuuuuuu . . ." Die Balzgeräusche des Habichtskauzes auf Dauerschleife. Müller hält den Kopf etwas schräg, um besser hören zu können, ob in den Pausen zwischen den Uuuuuuuus ein zweites Uuuuuuu antwortet, aus dem Wald, nicht von der CD. Dann schaut er nach oben in den sternklaren Himmel und sucht zwischen den Baumwipfeln nach Vogelschwingen. "Die nähern sich völlig lautlos und auf einmal sitzt ein riesiger Vogel genau über einem."

Nur hat sich statt eines lautlosen Kauzes ein lautstarkes Wildschwein genähert. Oder vielleicht sogar zwei. Bevor Zeit ist, das genauer herauszufinden, zeigt Müller mit dem Kinn zu seinem Auto und beginnt zügig rückwärts zu gehen. Einsteigen und Rückzug. Vorerst.

Tiere, die hier heimisch waren

Ein paar Stunden zuvor. Ein nieseliger Nachmittag im Tierfreigehege des Nationalparks Bayerischer Wald. Die Ohren reagieren im Hellen noch nicht nervös auf jedes Rascheln im Unterholz, sondern lassen sich von den Augen beruhigen. Im Zweifel ist es immer nur eine Amsel. Franz Leibl, der Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald, geht unbeeindruckt an den Wegweisern zum Wolfsgehege vorbei und steuert auf den Waldrand zu. Dort rottet ein zehn Meter langer Baumstamm vor sich hin, links und rechts davon stapelweise "Totholz", wie Leibl im Profi-Jargon feststellt.

Junge Buchen nutzen den Freiraum, der durch den umgestürzten Baum entstanden ist und Leibl wiederholt sein Nationalpark-Mantra: "Wir lassen Natur Natur sein." Auch wenn das bedeutet, dass der Wald für Laien arg finster und unaufgeräumt aussieht. Es liegt an Lichtungen wie dieser, nicht aufgeforstet, mit reichlich verrottenden toten Bäumen, dass es überhaupt wieder möglich ist, sich nachts im Bayerischen Wald auf die Suche nach dem Habichtskauz, der zweitgrößten Eulenart Europas, zu machen. "Naturnähezeiger" nennen Leibl und Müller den Vogel. Einen Beweis dafür, dass der Wald inzwischen wieder Urwald genug ist, um in der Region einstmals ausgestorbenen Tieren wieder eine Heimat zu sein.

1926 wurde der letzte Habichtskauz im Böhmischen Wald geschossen. In diesem Frühjahr wurden so viele gezählt wie seither nie wieder, mindestens 16 Paare beginnen in diesen Tagen zu brüten. Der Habichtskauz ist das erfolgreichste Auswilderungsprojekt des Nationalparks. Und es ist eines der Projekte, mit dem die Tierparkbetreiber die Tierparkkritiker besänftigen. Hier im Nationalpark werden nur Tiere gehalten, die heimisch waren.

In den vergangenen Jahren nähert sich die Tiervielfalt vor und hinter dem Zaun einander wieder an. Tiere werden nicht mehr nur gezüchtet, um die Anzahl der in Gefangenschaft lebenden Tiere stabil zu halten, sondern auch um frei lebende Populationen aufzubauen. Auerhuhn, Uhu und Habichtskauz wurden innerhalb des Nationalparks ausgewildert. Wisent, Fischotter, Luchse, Haselhühner und in Kooperation mit dem Tierpark Hellabrunn auch das Przewalski-Pferd werden von Bayern aus zur Auswilderung bis nach Kasachstan gebracht.

Projekt Auswilderung

"Die Auswilderung funktioniert allerdings nicht immer", räumt Müller ein. Käfigtür auf und Tier frei? So einfach ist es nicht. Es muss klar sein, warum die Tierart ausgestorben ist und ob sie erneut bedroht wäre. Es muss sichergestellt werden, dass durch die Auswilderung keine andere Art Schaden nimmt. Es muss für genug Nachschub aus der Zucht gesorgt werden. Somit kommen nicht alle Tiere, die als (ehemals) heimische Tierarten im Nationalparkgehege zu finden sind, für eine Auswilderung in Frage. "Auch wenn es unser Ideal ist, dass hier alle Arten wieder leben, die es mal im Bayerischen Wald gab, Bär oder Wolf werden wir nicht wieder auswildern. Dafür ist der Widerstand zu groß," sagt Müller.

Und auch wenn der Auerhahn nicht das Imageproblem von Bär und Wolf hat und im Bayerischen Wald beinah jeden Nippes ziert: Er tut sich etwas schwer damit, wieder heimisch zu werden. Sein historischer Lebensraum, der Bergmischwald, hat sich so stark verändert, dass die Auerhühner, die vom Nationalpark über Jahre dort ausgewildert wurden, sich nie vermehrten. "Die ausgewilderten Tiere sind verschollen. Das muss man schon als Fehlschlag bewerten", sagt Müller. Auerhühner gibt es trotzdem, in den Hochlagen. "Die hatten wir übersehen. Die waren dort einfach nie ausgestorben."

Nationalpark Bayerischer Wald: undefined

Der Habichtskauz hingegen scheint härter im Nehmen als die Auerhühner. Der Zoologe Wolfgang Scherzinger, den sie im Nationalpark voller Ehrfurcht den "Vater der Wiederansiedlung" nennen, ließ 1975 die ersten, eigens zur Auswilderung gezüchteten, Habichtskäuze frei. Es dauerte bis 1989, bis sich das erste Kauzpärchen durchringen konnte, sich in der Freiheit auch fortzupflanzen. Damals dominierte noch der Nutzwald. Der Vogel fand keine ausgehöhlten Baumstümpfe, in denen er nisten konnte. In diesem Frühjahr hat Müller 16 Nester gezählt.

Wobei das Zählen ähnlich schwierig ist wie das Auswildern. Seit Anfang April ist ein Team aus zehn Freiwilligen jede Nacht unterwegs, um Europas zweitgrößter Eule ein "uuuu" abzulauschen, das man am Besten in der Balzzeit im Frühjahr hört. Müller und seine Helfer haben den Nationalpark in Suchabschnitte aufgeteilt. Für heute Nacht hat Müller ein Waldstück abbekommen, in dem sich ihm vor ein paar Nächten der Vogel "mitten auf die Ton-Attrappe", sprich direkt auf den CD-Player, gesetzt hat. Nach zwei Stunden in der nächtlichen Kälte wäre es schon Freude genug, wenn die Eule wenigstens mal hörbar husten würde. Doch sobald Müller auf Pause drückt: Stille. Keine Antwort.

Der Habichtskauz antwortet unverhofft

Müller packt den CD-Player zurück ins Auto und faltet seine gut 1,90 Meter Körpergröße dazu. Wo Förster und Wildhüter sonst mit dunklen Geländewagen herumfahren, ist Müller in einem zitronengelben Kleinwagen unterwegs. Und während die anderen Jagdhund oder Dackel an der Leine halten, hat Müller meist seinen weißen Pudel Goethe dabei. "So richtig dazu gehören kann ich hier ohnehin nicht, da versuch ich's gar nicht erst."

Müller ist selber ein wenig ausgewildert. Seine Eltern wohnen "200 Meter vom Berliner Hauptbahnhof entfernt", sagt Müller. Er ist in Berlin Moabit aufgewachsen. Die Großstadt vermisst er nicht. "Jetzt habe ich noch nicht einmal in meinem Büro richtigen Handyempfang. Das ist schon luxuriös ungestört" - Müller strahlt. Man könnte ihn durchaus einen komischen Kauz nennen. "Das ist doch eine sehr liebevolle Bezeichnung", Müller ist Kauz-Fan. "So ein Uhu sieht ja eher furchterregend aus. Aber der Habichtskauz wirkt richtig sympathisch. Wie ein Opa mit seiner Pfeife." Das Opa-Feature des Kauzes ist seine weiß umrandete Gesichtsmaske, die mit etwas Phantasie tatsächlich etwas Bärtiges hat.

Letzter Stopp, verkündet Müller. Seine Füße sind langsam eingefroren. Windrichtung feststellen, Lichtung suchen, Kauz-Sounds abspielen. Erst das Männchen ("uhuuuu"), dann das Weibchen ("wau, wau", hört der Laie). Dann wieder das Männchen. Dann Pause. Und endlich! "U-huuuuuuu . . .". Strix uralensis, der Habichtskauz. "Da ist er", flüstert Müller und der Habichtskauz antwortet mit dem U-Wort. Und sei es nur aus Solidarität mit seinem ausgewilderten Kollegen Müller.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: