Nach Axt-Angriff:Flüchtlinge und Helfer fürchten einen Stimmungsumschwung nach Würzburg

Flüchtlings-Demonstration nach Attacke in Würzburg

Viele Flüchtlinge spüren, dass die Axt-Attacke eine ganz negative Schlagzeile für sie ist. Bei einer Demonstration in Würzburg machen sie am Mittwoch klar: "Sie handeln nicht in meinem Namen" und "Wir lieben den Frieden".

(Foto: dpa)

Sie haben Angst, dass die Attacke "Wasser auf die Mühlen ausländerfeindlicher Kräfte" sein wird. Zu den Sorgen mischen sich Resignation und Empörung.

Von Dietrich Mittler

Der Schock über den Axt-Angriff in einem bayerischen Regionalzug sitzt tief. Auch bei jenen Menschen, die sich intensiv um die derzeit etwa 143 000 in Bayern untergebrachten Asylbewerber sowie um die aktuell 7848 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge kümmern, von denen die meisten Afghanistan als ihr Herkunftsland angeben (48 Prozent).

"Natürlich hat Würzburg bei einigen von uns diese diffuse Angst geweckt, dass der Terror nun zu uns nach Deutschland kommt", sagt Adi Hösle, ein Asylhelfer aus dem schwäbischen Babenhausen. Diese Angst, so sagt er, müsse man zulassen, dann aber wieder zum rationalen Handeln übergehen. Das gelte nicht minder für die Sorge vieler Asylhelfer, dass der Anschlag des jugendlichen Flüchtlings "wieder Wasser auf die Mühlen der ausländerfeindlichen Kräfte" sein wird.

Die Angst geht um, nicht nur in den deutschen Haushalten. Als Peter Barth, Asylhelfer im oberbayerischen Hebertshausen, am Tag nach dem Würzburger Vorfall in der örtlichen Gemeinschaftsunterkunft vorbeischaute, wurde er von Bewohnern angesprochen. "Die spüren sofort, dass diese Axt-Attacke eine ganz negative Schlagzeile für sie ist", sagt Barth. "Die Asylbewerber, mit denen ich gesprochen habe, sind darüber alle empört", sagt er. "Ein Verrückter, ein Einzelfall - das hat mit uns nichts zu tun", so die einhellige Reaktion.

Einmal mehr, so befürchtet Barth, werde Deutschland nun in zwei Lager gespalten: in diejenigen, die "ein Herz für die Flüchtlinge haben", und in die, für die Asylbewerber nichts anderes seien als "Zeitbomben in unserer Gesellschaft".

"Wir machen weiter", sagt Barth, will aber nicht unter den Tisch kehren, dass es durchaus "Ermüdungserscheinungen" in Bayerns Helferkreisen gebe. Umgekehrt beobachte er unter einzelnen Flüchtlingen eine gewisse Resignation, wenn "ihre Integrationsleistungen nicht gleich die erhoffte Beachtung finden". Neulich etwa sagte ein junger Flüchtling zu Barth: "Die Schule kann mir nicht garantieren, dass ich hierbleiben kann. Also gehe ich nicht mehr in die Schule!" Dem 69-Jährigen schoss sofort die Frage durch den Kopf: "Wohin geht er denn dann und welchen Einflüssen setzt er sich da womöglich aus?"

Michael Wagner, der mit seiner Frau in einer historischen Mühle im Ostallgäu derzeit sechs minderjährige unbegleitete Flüchtlinge betreut, ist das Problem nicht fremd. "Dieser Gedanke, dass vielleicht mal einer der Buben abrutschen könnte, den hatte ich schon lange vor Würzburg", sagt er. Immerhin habe er es in seiner heilpädagogischen Tagesstätte mit Jugendlichen zu tun, die oft widerliche Gewalttaten miterleben mussten. "Die haben zum Teil erfahren müssen, dass betrunkene Schleuser Mitflüchtlinge erschossen - einfach so."

Und welche Nachwirkungen traumatische Erlebnisse haben, das weiß auch Wagner nicht vorherzusagen. Aber darauf, dass selbst ihn trotz seiner Nähe zu den Jugendlichen Misstrauen beschleichen kann, darauf hat er eine Antwort: "Völlig sinnentleert" nennt er diese Zweifel. "Wie wenn man mit einem Verwandten im Auto mitfährt, der einem als sicherer Fahrer bekannt ist, und dennoch bangt, dass der jetzt bloß keinen Unfall baut."

Bevor Wagner und seine Frau sich um junge Flüchtlinge kümmerten, hatten sie deutsche Jugendliche mit problematischem Hintergrund bei sich aufgenommen. "Einmal ist einer von denen mit einem Messer auf mich losgegangen", sagt er. "Ein anderer war in einen Raubüberfall verwickelt." Im Vergleich zu früher mache die Arbeit mit den Flüchtlingen jetzt "richtig Spaß".

Wagner kann sich in die Pflegefamilie hineinversetzen, die den Würzburger Attentäter bei sich aufgenommen hatte. "Wenn das einer meiner Jungs gemacht hätte, ich würde mir nur denken: Warum machst du so einen Scheiß, warum hast du es denn nicht begriffen?"

Die Jugendlichen kontrollieren sich untereinander

Nach Axt-Angriff: Junge Asylbewerber finden viele Hilfsangebote vor, etwa Deutschkurse. Aber das ist keine Garantie dafür, dass nicht doch einer von ihnen abrutscht.

Junge Asylbewerber finden viele Hilfsangebote vor, etwa Deutschkurse. Aber das ist keine Garantie dafür, dass nicht doch einer von ihnen abrutscht.

(Foto: Catherina Hess)

Aber das seien zum Glück nur theoretische Gedanken. Seine Beobachtung ist eine andere: "Ich habe es selbst in einer nahen Gemeinschaftsunterkunft mitbekommen, wie sich die jungen Flüchtlinge untereinander kontrollieren, ob da einer dabei ist, der sich radikalisiert." Man dürfe ja nicht vergessen, sagt Wagner, dass die Jugendlichen vor Gewalt und Terror geflohen seien.

Sigrun Rose, die Chefin der Diakonie in Neu-Ulm, kann das nur bestätigen: "Uns wurden vor etwas mehr als einem Jahr junge Flüchtlinge zugeteilt, die in einer Einrichtung im Großraum München von offenbar IS-nahen Islamisten bedrängt worden waren", sagt sie. Inge Nestele, die in Neu-Ulm eine Einrichtung der Diakonie für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leitet, empfindet Mitgefühl für die Würzburger Kollegen und die Pflegefamilie des Attentäters. Alle hätten zuvor sicherlich viel Kraft investiert, damit der junge Mann eine echte Integrationschance bekommt. "Man kann halt nicht in den Kopf eines Menschen schauen", sagt sie.

Alexander Thal, einer der Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, betont ebenfalls: "Bei allen Chancen, die man bieten kann, um die Jugendlichen abzufangen - etwa durch Sprachkurse, Schule und Berufsausbildung -, heißt es ja nicht, dass das immer gut geht." Auf keinen Fall aber dürfe man jetzt alle Flüchtlinge unter einen Generalverdacht stellen.

Diese Haltung dominiert derzeit auch das Handeln der Jugendbehörden - bei aller gebotenen Achtsamkeit, wie es Hans Reinfelder als Leiter des Bayerischen Landesjugendamts durchblicken lässt. Alois Kriegl, der Chef des Passauer Jugendamts, bringt es auf den Punkt: "Dass trotz einer guten Betreuung etwas Schlimmes passieren kann, das ist einfach so. Das bleibt selbst guten Familien nicht erspart - und somit auch nicht der Gesellschaft."

Sozialministerin Emilia Müller will nun als Konsequenz aus der Axt-Attacke mehr Schulungen für Betreuer von Flüchtlingen anbieten. "Wir müssen das Umfeld, das mit jungen Flüchtlingen in Kontakt kommt, noch stärker sensibilisieren", sagt sie.

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