München:Wirtschaftsfaktor Hochschule

München: Die Hochschule Deggendorf ist für uns ein Segen, sagt der Landrat. Die meisten Studenten bleiben in der Region. Viele Startups sind so entstanden.

Die Hochschule Deggendorf ist für uns ein Segen, sagt der Landrat. Die meisten Studenten bleiben in der Region. Viele Startups sind so entstanden.

(Foto: oh)

Zum ersten Mal belegt eine Studie, was ein Akademiker der Region bringt, in der er arbeitet: durchschnittlich 213 790 Euro im Jahr

Von Martina Scherf

Ein Landkreis, der eine Hochschule auf seinen Fluren stehen hat, kann sich glücklich schätzen. Seine Bewohner werden seltener das Weite suchen und in Städte abwandern als anderswo. Die studierten jungen Leute steigern das Bruttosozialprodukt, und wenn es gut läuft, sorgen sie sogar dafür, dass neue Arbeitsplätze entstehen. Deshalb sollten Politiker alles dafür tun, sie in der Heimat zu halten - oder fremde Studenten anzulocken. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie des staatsnahen bayerischen Instituts für Hochschulforschung (IHF), die erstmals detailliert die regionalen ökonomischen Effekte von Hochschulabsolventen untersucht hat.

Amberg-Sulzbach, zum Beispiel. Vor 20 Jahren lag die Arbeitslosenquote in dem Landkreis der Oberpfalz noch bei mehr als zehn Prozent. Heute: 3,5 Prozent. Im gleichen Zeitraum ist die Akademikerquote von 1,5 auf 4,5 Prozent gestiegen. Die Hochschule Amberg-Weiden, da sind sich alle einig, hat dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet. Seit ihrer Gründung 1999 haben 4600 Studenten dort einen Abschluss gemacht - und 80 Prozent von ihnen sind in der Region geblieben, bestätigt Wolfgang Weber, für die Hochschulentwicklung zuständig. "Der Oberpfälzer ist von Natur aus bodenständig, aber ohne uns wäre die Abwanderung sicher viel größer". Die bange Frage bei der Gründung, ob sich eine Hochschule für die Region rentiert, ist damit längst vom Tisch. Heute reißen sich die Unternehmer um die Absolventen.

Allein in den vergangenen drei Jahren, seit die Ostbayerische Technische Hochschule Amberg-Weiden (OTH), wie sie offiziell heißt, an ihren beiden Standorten Amberg und Weiden einen Technologiecampus betreibt, seien außerdem 108 neue Arbeitsplätze entstanden, sagt Weber. Stolz berichtet er von einem Absolventen, der in Tirschenreuth, kurz vor der tschechischen Grenze, vor zehn Jahren eine Marketingagentur gegründet hat und heute 25 Mitarbeiter beschäftigt. In so einem Technologiecampus erhalten Gründer Beratung von Professoren und Unternehmern, günstige Mieten für ihre Startups, die nötige Infrastruktur und Netzwerke.

Hochschulen sind gerade für ländliche Regionen ein überaus positiver Standortfaktor, so die IHF-Studie. Allerdings sind Studenten sehr mobil. Die großen Städte locken sie an, und wenn sie ihren Abschluss haben, sind sie meist bereit, für einen guten Job auch wo ganz anders hin zu ziehen. Dabei gibt es aber gravierende Unterschiede: Während es Uni-Absolventen großteils in die Städte zieht, bleiben Abgänger von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) eher in ländlichen Regionen, wie die Autoren der Studie, Fabian Kratz und Thorsten Lenz, jetzt bestätigen.

Die Politik hat dieser Tendenz mit der Gründung von Fachhochschulen schon in den 1970er Jahren Rechnung getragen. Bis heute gelten die - nicht nur namentlich aufgewerteten - Hochschulen für Angewandte Wissenschaften als Entwicklungsmotoren für strukturschwache Regionen. Kratz und Lenz beweisen das mit Zahlen: Sie haben untersucht, wie viele Absolventen von HAW in der Region bleiben, aus der sie kommen: 75 Prozent haben sich nicht mehr als 100 Kilometer von ihrem Schulort entfernt. Universitäten in ländlichen Regionen haben hingegen weitaus größere Einzugsgebiete. "Zugereiste" Studenten verlassen aber auch eher wieder ihren Hochschulort - vor allem, wenn der auf dem Land liegt. In Großstädten ist der Abwanderungseffekt geringer. Allerdings können die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ihre Abgänger, und zwar einheimische wie zugereiste, auch auf dem Land eher halten als Universitäten, so die Ergebnisse der Studie.

Die Hochqualifizierten bringen der Region, in der sie sich niederlassen, auch einen klaren ökonomischen Mehrwert. Wenn in einem Landkreis nur eine hochqualifizierte Arbeitskraft mehr beschäftigt wird, steigert sie die Bruttowertschöpfung in diesem Gebiet. Das nennen Ökonomen den "Grenzertrag des Humankapitals". Er liegt in Bayern im Schnitt bei 213 790 Euro, haben Kratz und Lenz ausgerechnet. Allerdings gibt es große Unterschiede: Am größten ist der Effekt in den ländlichen Regionen Nord- und Ostbayerns, in Amberg, Schweinfurt, Schwandorf. Im strukturstärkeren Süden, der zudem auf den Großraum München-Augsburg-Rosenheim orientiert ist, fällt der Beitrag eines Einzelnen weniger ins Gewicht.

Ein Paradebeispiel für diese Entwicklung ist auch Deggendorf. "Die Hochschule ist für uns ein Segen", sagt Landrat Christian Bernreiter (CSU). Seit ihrer Gründung vor 20 Jahren ist ein Netzwerk an Kooperationen entstanden, das über die Landkreisgrenzen hinausreicht. Die Deggendorfer haben sich nicht ausgeruht auf ihrem Status als "Hochschulstadt", sondern vor Jahren begonnen, Kontakte zu Firmen im weiteren Umkreis zu suchen. Sie haben Zweigniederlassungen gegründet, in Freyung und Teisnach, und ein Gründerzentrum, das immer ausgelastet ist. Rund um die Hochschule haben sich zahlreiche Firmen angesiedelt, Hunderte Arbeitsplätze sind entstanden. "Die meisten Studenten kommen aus dem Landkreis und bleiben hier", sagt Bernreiter. Die Effekte sind überall sichtbar: niedrigste Arbeitslosenquote (2,6 Prozent) seit je, neue Baugebiete, in Hengersberg, wo Bernreiter herkommt, errichten sie sogar einen neuen Kindergarten.

Die wirtschaftlichen Effekte von Hochschulabgängern sind also auf dem Land viel höher als in der Stadt. Um zu verhindern dass die Absolventen in die attraktiven Städte ziehen, sollte die Politik noch bessere Bedingungen für sie auf dem Land schaffen, mit Kinderbetreuung, Umzugshilfen, Kooperationen zwischen Forschungseinrichtungen, sagen die Autoren der Studie. Dann lassen sich vielleicht sogar die ausländischen Studenten, die auch in Deggendorf oder Amberg bis aus China und Australien kommen, eines Tages in Bayern nieder.

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