München:Und wieder gilt der Notfallplan

München: Nur das Notdürftigste: eine Behelfsunterkunft in München.

Nur das Notdürftigste: eine Behelfsunterkunft in München.

(Foto: Stephan Rumpf)

Bundesamt erhöht Flüchtlingsprognose auf 70 000 neu ankommende Asylbewerber. Oberbayern öffnet Turnhallen

Von Dietrich Mittler und Melanie Staudinger

Bayern wird in diesem Jahr weit mehr Flüchtlinge aufnehmen, als bislang erwartet wurde. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat jetzt erneut seine Prognosen korrigiert. "Demnach rechnen wir für Bayern nun mit rund 70 000 Asylbewerbern", sagte Sozialministerin Emilia Müller (CSU) am Mittwoch. Das sind 10 000 mehr als noch im bisherigen Rekordjahr 1992. Anfang dieses Jahres war das Bundesamt noch davon ausgegangen, dass Bayern nur 45 000 Asylbewerber zugeteilt werden. Um den neu eintreffenden Flüchtlingen zumindest eine notdürftige Unterkunft bieten zu können, hat die Ministerin der Regierung von Oberbayern jetzt freigestellt, "im Einzelfall auch vorübergehend auf Unterbringungskapazitäten zurückzugreifen, die nach einem Notfallplan bereitgehalten werden". Dazu zählen zum Beispiel Turnhallen, Container oder auch Veranstaltungssäle.

Die Regierung von Oberbayern klärt derzeit mit den Landkreisen, Städten und Gemeinden ab, welche Standorte dafür in Betracht kommen. "Diese sollen, sobald der Engpass überwunden ist, wieder zurückgefahren werden", sagte Müller. Dass derzeit erneut in Oberbayern besonders viele Flüchtlinge eintreffen, erklärt sich daraus, dass hier aufgrund der geografischen Lage gleich mehrere Fluchtrouten zusammenlaufen. Allein in den ersten Tagen dieser Woche sind nach Angaben des Sozialministeriums 874 Asylbewerber in Oberbayern angekommen. Dies bedeute einen Tagesschnitt von mehr als 290 asylsuchenden Menschen. "Obwohl wir die Kapazitäten gerade in der Erstaufnahme massiv ausgebaut haben, sind weitere Plätze notwendig", sagte Müller.

Neben den steigenden Asylbewerberzahlen erschweren auch die Folgen des langen Lokführer-Streiks die Unterbringung der neu ankommenden Flüchtlinge. "Der Streik der letzten Woche hat die Verteilung der Asylbewerber innerhalb Bayerns, aber auch auf andere Bundesländer teilweise stark verzögert", sagte Müller. Wie bereits berichtet, konnte die Verlegung jener Asylbewerber, die alle amtlichen Formalitäten (Asylantrag) und ihre medizinische Untersuchung hinter sich haben, in der Streikwoche nur noch in Bussen erfolgen. Viele Asylbewerber blieben angesichts fehlender Kapazitäten deshalb in der Münchner Erstaufnahme-Einrichtung hängen. Ein Problem seien aber auch "ungenügend Freiplätze in der sogenannten Anschluss-Unterbringung", wie eine Sprecherin der Regierung von Oberbayern auf Nachfrage mitteilte.

Erschwerend, so betonte Sozialministerin Müller, komme hinzu, dass "jetzt mit Christi Himmelfahrt und dem Brückentag sowie Pfingsten zwei lange Wochenenden bevorstehen". An solchen Tagen ist die Zahl der hier eintreffenden Flüchtlinge erfahrungsgemäß besonders hoch. Aktuell sind in allen Unterkünften der Erstaufnahme-Einrichtung München 4150 Personen untergebracht, davon 1240 allein in der Bayernkaserne, die damit voll belegt ist.

Um dort Platz für die Neuankommenden schaffen zu können, verhandelt die Regierung von Oberbayern derzeit mit Landratsämtern, "die derartige Kapazitäten vergleichsweise schnell zur Verfügung stellen können - unter anderem mit dem Landratsamt Berchtesgadener Land", teilte die Regierung mit. Bei den Objekten, die derzeit in der engeren Auswahl seien, handele es sich durchwegs um Schulturnhallen. Diese sollten aber nach Möglichkeit allenfalls fünf Wochen lang als Asyl-Notunterkunft genutzt werden, um den Sportunterricht der Kinder nicht langfristig zu gefährden. Im Augenblick geht die Regierung davon aus, dass circa 200 bis 300 neu eintreffende Flüchtlinge in solchen Notunterkünften untergebracht werden müssen.

Bei den Hilfsorganisationen, die kurzfristig alarmiert wurden, sich für die Einrichtung der Notunterkünfte mit Feldbetten und Ähnlichem bereitzuhalten, schwingt Verärgerung mit: "Dass die Feiertage bevorstehen, ist nun doch schon etwas länger bekannt", sagte Leonhard Stärk, der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes am Donnerstag. Die Staatsregierung könne nicht ständig davon ausgehen, dass sich genug Ehrenamtliche finden, die diese Arbeit machen. "Unsere Leute haben auch ein Recht auf Feiertage, die sie im Kreis ihrer Familien verbringen können", sagte er.

Wie Sozialministerin Emilia Müller am Mittwoch erklärt hatte, liegen - abgesehen von Oberbayern - momentan keine Anfragen aus anderen Regierungsbezirken vor, auf die Kapazitäten des Notfallplans zurückgreifen zu wollen. Der Notfallplan war ursprünglich auf die Wintermonate des vergangenen Jahres sowie des beginnenden Jahres 2015 beschränkt. Vor wenigen Wochen erst wurde er dann aber "verstetigt", wie es ein Sprecher des Sozialministeriums ausdrückt. Das heißt, der zuvor zeitlich begrenzte Plan, gilt nun landesweit unbegrenzt. In einigen Regierungsbezirken wurde bereits davon Gebrauch gemacht. Heinz Grunwald, der Regierungspräsident von Niederbayern, hatte erst kürzlich deutlich gemacht, dass in seinem Bezirk die Flüchtlinge auch "auf acht Notunterkünfte in ganz Niederbayern" verteilt werden.

Grunwald betonte überdies, dass die Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge derart hoch sei, dass eigentlich für sie vorgesehene Standards der Betreuung kaum mehr zu halten seien. "Das heißt, dass etwa im Einzelfall überprüft werden muss, ob niedrigschwelligere Betreuungsformen in Betracht kommen", sagte Grunwald. Außerdem sollten Jugendämter verstärkt prüfen, ob diese Flüchtlinge mittlerweile volljährig sind und "weiter spezifischen Betreuungsbedarf der Jugendhilfe haben".

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