München:Chronologie der Oetker-Entführung

Am späten Abend des 14. Dezember 1976 nimmt eines der spektakulärsten Verbrechen in der Münchner Kriminalgeschichte seinen Anfang. Die Geschehnisse im Überblick.

Von Günther Knoll

Die Tat

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(Foto: Erk Wirginings)

14. Dezember 1976: Es ist spätabends, als Richard Oetker, der in Weihenstephan Agrarwissenschaften studiert, nach einer Abendvorlesung zu seinem Auto am Parkplatz geht. Da stellt sich dem 25-jährigen Millionenerben ein Mann mit Mongolenbart in den Weg und bedroht ihn mit einer Pistole: "Vorwärts, das Ding macht nur klack." Der große, sportliche, junge Mann gehorcht, er kann nicht erkennen, dass es nur eine Gaspistole ist. Er muss in eine enge Holzkiste krabbeln, die in einem Kastenwagen steht. Sein Entführer hat alles genauestens geplant. Er hat sein Opfer ausspioniert, er hat alles, was er für die Tat braucht, besorgt, für die Einkäufe hatte er sich maskiert. Auch seinem Opfer spielt der 34-jährige Dieter Zlof, der als Tauchlehrer, Barkeeper und auch als Illusionist gearbeitet hat, eine Schmierenkomödie vor: Er verstellt seine Stimme, er zieht sich eine Schweinchen-Maske über, er gibt sich als drogenabhängiger Student aus. Oetker soll glauben, er sei von mehreren Personen entführt worden. Die Kiste ist mit einem sogenannten Akustomat präpariert: Eine bestimmte Phonstärke, wie zum Beispiel bei lauten Hilferufen, löst Stromstöße aus, die den Körper des Gefangenen traktieren. Zlof bringt sein Opfer in seine Werkstatt in Pasing und informiert Oetkers Frau Marion in Freising telefonisch von seiner Lösegeldforderung: 21 Millionen Mark. Dann transportiert er den Wagen von der Werkstatt zu einer eigens angemieteten Garage, die er mit geräuschdämmendem Heraklit ausgekleidet hat. Foto: Der Täter mit einem Nachbau der Holzkiste, in der er sein Opfer eingesperrt hatte.

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(Foto: ap/dpa/picture alliance/SZ Photo)

Am nächsten Morgen passiert es: Beim Öffnen touchiert die Garagentür das Dach des Kastenwagens, der Lärm löst Stromschläge aus, und zwar so starke, dass Oetker fast stirbt. Er bricht sich mehrere Wirbel und die Oberschenkelhälse. Das aber rettet ihm möglicherweise das Leben. Durch die beengte Lage ist seine Lunge lebensgefährlich eingeklemmt, einen längeren Aufenthalt in der Kiste hätte er wohl nicht überstanden. So aber beschleunigt Zlof die weiteren Schritte: Als er die Geldübergabe von 17. auf 16. Dezember vorverlegen will, schneidet die Polizei seine Stimme bei einem Telefonat mit. Foto: Mit Foto von Geldkoffer, Decke und Auto suchte die Polizei nach Zeugen.

Die Übergabe

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(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

16. Dezember 1976: Wie bei einer Schnitzeljagd lotst der Entführer Richard Oetkers Bruder August, der das Geld übergeben soll, kreuz und quer durch München. Teilweise geschieht das durch Telefonate mit Oetkers Frau Marion, die dann erst wieder ihren Schwager informieren muss, teilweise mit Zettel-Botschaften, die etwa hinter einem Streuguthäuschen deponiert sind. Zuerst muss der Bruder aus einem Schließfach einen Aluminiumkoffer holen, den Zlof dort deponiert hat - er ist genau passend für die 21 Millionen in Tausend-Mark-Scheinen. Schließlich landet der Geldbote im Stachus-Untergeschoss: Als er dort an einer genau bezeichneten Stelle wartet und den Alu-Koffer abstellt, öffnet sich hinter ihm eine Stahltür, eine Hand greift zu, Koffer und Geld sind weg. Die Tür fällt zu, sie lässt sich von außen nicht öffnen. Zlof hat der Polizei, deren Zivilfahnder alles observiert haben, einen Streich gespielt. Er hatte den Übergabeort genau ausgekundschaftet. Jetzt verschwindet er über einen Versorgungsgang zu seinem Auto, das er auf einem Ladehof abgestellt hat, und fährt zurück zu seiner schwer verletzten Geisel. Foto: Durch eine Stahltür im Stachus-Untergeschoss war der Entführer 1976 mit dem Geld entkommen.

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(Foto: N/A)

Für seine Kundschaftsfahrten hatte er im Aschheimer Autokino einen gebrauchten Opel Commodore gekauft. Den säubert er nun von allen Spuren, fährt ihn in ein Waldstück und legt Oetker hinein. Dessen Frau Marion wartet inzwischen stundenlang im Hotel Mayer in Germering auf den entscheidenden Anruf. Endlich wird sie über den Aufenthaltsort informiert. Man findet den Wagen und Richard Oetker im Kreuzlinger Forst im Westen von München. Zlof hatte an diesem Tag nebenbei auch noch seine erkrankten Kinder versorgen müssen. Oetker wird ins Krankenhaus gebracht, an den Folgen der Entführung leidet er noch heute. Ein Großteil des Lösegelds besteht aus registrierten Scheinen. Ursprünglich hatte es der Erpresser vor der Freilassung der Geisel in die Schweiz bringen wollen.

Der Prozess

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(Foto: N/A)

30. Januar 1979: Kurz nach acht Uhr morgens fährt ein Konvoi von Polizeiautos in der Blumenauer Straße in Pasing vor, wo Dieter Zlof mit seiner Familie wohnt. Gut zwei Jahre nach der Tat und einer groß angelegten Fahndungskampagne der Polizei wird er am Frühstückstisch festgenommen. Der Haftbefehl lautet auf Beteiligung an der Oetker-Entführung. Zlof, der schon vorher in der langen Liste der Verdächtigen aufgetaucht war, hatte einen registrierten Schein aus dem Lösegeld ausgerechnet bei seiner Hausbank zum Einwechseln vorgelegt. Und die Polizei findet auch seinen Pritschenwagen mit der seltsamen Halterung für den Geldkoffer, der allerdings ist weg. Zlof hatte bald nach der Entführung seine Reparaturwerkstatt für Unfallwagen und den Handel mit Gebrauchtwagen aufgegeben und ziemlich rasch 300 000 Mark ausgegeben. Das Geld habe er in der Spielbank gewonnen, erklärt er der Polizei. Die Fahnder beschatten ihn, er wird wiederholt verhört. Eine ehemalige Freundin hatte ihn erkannt, als die Polizei die ziemlich verzerrte Tonbandstimme des Erpressers per Telefon abspielen ließ. "Hochgradig intelligent ..., perfekt, genial und technisch äußerst versiert ... Ihm geht es in erster Linie um die Befriedigung seines Geltungsdranges" - so beschreibt sie den Beamten Zlofs Charakter. Foto: Vor 40 Jahren kidnappte Dieter Zlof den Industriellensohn Richard Oetker. Er erpresste Lösegeld, ein Teil davon wurde später sichergestellt.

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(Foto: Karl-Heinz Egginger)

Entsprechend selbstbewusst gibt er sich in dem Prozess, der am 26. November 1979 beginnt. Die Ermittler haben eine Kette von Indizien zusammengetragen, den Verteidigern Rolf Bossi, Stefan Ufer und Martin Amelung gelingt es immer wieder, Zeugenaussagen als fragwürdig erscheinen zu lassen. Das Opfer Richard Oetker selbst gibt sich vorsichtig: Höchstens das rollende "R" habe Zlof mit dem Entführer gemeinsam. Zlof beteuert bis zum Schluss seine Unschuld. Am 9. Juni 1980, nach 53 Sitzungstagen mit mehr als 160 Zeugen und Sachverständigen, folgt das Urteil, das von etlichen Prozessbeobachtern angezweifelt wird: 15 Jahre wegen erpresserischen Menschenraubs und schwerer Körperverletzung. Vom Großteil des Lösegelds fehlt jede Spur. Foto: Das Opfer Richard Oetker beim Prozess.

Das Geständnis

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(Foto: N/A)

8. August 1996: Dieter Zlof, der seit Anfang 1994 wieder ein freier Mann ist, muss wegen seiner Vermögensverhältnisse einen Offenbarungseid leisten. Dabei treiben ihn die Oetker-Anwälte so in die Enge, dass er gesteht, das Lösegeld besessen zu haben. Mehr nicht. Mehr noch nicht. Inzwischen war wieder registriertes Geld aufgetaucht. Ein Gefängniskumpan Zlofs gesteht, dass er Geldwäscher suchen sollte. Das Lösegeld war in einem Wald beim Ayinger Weiler Rauchenberg vergraben. Es dauerte, bis Zlof es wiederfand, ein Teil war so verrottet, dass er und sein Kumpan es verbrennen mussten. Die noch verwertbaren Scheine hatten sie einzeln getrocknet. Ein paar Scheine versuchte der Kumpan über Kleinkriminelle unter die Leute zu bringen. Zlof selbst arbeitet inzwischen mit der Münchner Journalistin Nicole Amelung, der Frau seines Verteidiger Martin Amelung, an einem Buch. "Die Oetker-Entführung" heißt es. Auf mehr als 800 Seiten ein Geständnis Zlofs, der sich als genialen Täter schildert und der Polizei im Grunde Unfähigkeit vorwirft. Im Dezember 1996 beschlagnahmen Fahnder Kassetten und Manuskript, kurz bevor die Tat endgültig verjährt. Die Beamten suchen nach Hinweisen auf Lösegeld oder Mittäter. Schließlich finden sie das geräumte Geldversteck. In Aying haben die Laienspieler der "Gmoakultur" aus diesem Stoff sogar ein Theaterstück gemacht. Der spektakuläre Fall wird auch verfilmt. Für Zlof aber wird die Zeit knapp: Die Scheine werden ungültig. So versucht er sein Glück mit dem Umtausch in London. Dabei wird er im Mai 1997 von Scotland-Yard-Ermittlern geschnappt - mit rund 12,5 Millionen Mark. Er muss für zwei Jahre in ein britisches Gefängnis wegen Betrugs und versuchter Geldwäsche. Foto: Der Entführer ist inzwischen wieder ein freier Mann. Teile des Lösegelds sind bis heute verschwunden.

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