Mühldorf am Inn:Das vergessene Lager

Mühldorf am Inn: Im Bild der siebte und einzige noch übriggebliebene Betonbogen des Rüstungsbunkers.

Im Bild der siebte und einzige noch übriggebliebene Betonbogen des Rüstungsbunkers.

(Foto: Matthias Köpf)

Im Mühldorfer Hart sollten KZ-Häftlinge eine riesige Flugzeugfabrik für das NS-Regime bauen. 73 Jahre später wird endlich eine Gedenkstätte eröffnet - nach jahrelangem Ringen mit dem Land Bayern.

Von Matthias Köpf, Waldkraiburg

Die Forstwege, die sich als lange Geraden durch den Wald ziehen, heißen "Ludwigslinie" oder "Maxlinie". Frauen mit Walking-Stöcken kommen hier entlang, ein Mann führt einen Hund spazieren. An der Kronprinzlinie weist ein Baustellenschild ganz sachlich einen anderen Weg: "Massengrab" steht auf der Tafel.

Denn hier im Mühldorfer Hart sollten noch im Sommer 1944 Tausende KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter eine riesige Flugzeugfabrik in den Waldboden betonieren und darin dann Düsenflieger vom Typ Me 262 montieren, von denen Hitler sich und den Deutschen doch noch den Endsieg versprach. So weit ist es nicht gekommen, und auch die Fabrik und eine ähnliche im schwäbischen Kaufering waren längst nicht fertig, als das Lager am 28. April 1945 evakuiert wurde. Doch allein das Massengrab im Mühldorfer Hart hatte sich gefüllt mit mehr als 2000 Toten. Hier und im ehemaligen Waldlager sollen Ende April die beiden ersten Erinnerungsorte einer dreiteiligen KZ-Gedenkstätte eröffnet werden.

Der Freistaat sagte 2,5 Millionen Euro für die Gedenkstätte zu

Im Waldboden verankerte Stege aus Betonplatten werden dann den Ort des Massengrabs und den des Waldlagers erschließen. Eine überdachte "Schleuse" aus zwei großen Betonteilen wird den Zugang zur Gedenkstätte markieren und auf Abbildungen und Texttafeln Information und Orientierung bieten. Noch steht die Schleuse nicht, doch bald soll es so weit sein. "Wir haben es gehofft, aber nicht geglaubt", sagt Eva Köhr, die stellvertretende Landrätin war und bis heute Vorsitzende des "Arbeitskreises KZ-Außenlager Mühldorfer Hart" ist. Den Arbeitskreis, an dem sich auch staatliche Stellen beteiligen, gibt es seit 2010. Zuvor hatten sich einige Bürger, allen voran der Waldkraiburger Geschichtslehrer Peter Müller, für eine Gedenkstätte eingesetzt und 2002 den Verein "Für das Erinnern" gegründet.

Dann sollte es noch zehn Jahre dauern bis zur ersten Machbarkeitsstudie und zu dem Wettbewerb, dessen Siegerentwurf gerade gebaut wird. Zuvor waren wieder Jahre ins Land gezogen, in denen Bund und Land auf den jeweils anderen zeigten. Erst nachdem Max Mannheimer als einer der letzten Überlebenden des Lagers mit dem SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel 2015 bei Horst Seehofer vorgesprochen hatte, sagte der Freistaat 2,5 Millionen Euro für die Gedenkstätte zu. Dem Bund mangelt es für eine Förderung noch immer an "authentischer Bausubstanz".

Im Durchschnitt überlebte ein Häftling hier 80 Tage

Dass sich 70 Jahre nach Kriegsende wenigstens der Freistaat aufgerafft hatte, liegt für Ulrich Fritz daran, "dass dieser Druck vor Ort da ist und auch nicht nachgelassen hat". Fritz betreut das Projekt für die staatliche Stiftung Bayerische Gedenkstätten und erläutert das Konzept. Das setzt für detaillierte Informationen auf die Dauerausstellung, die Landkreis und Stadt 2015 im Mühldorfer Haberkasten eingerichtet haben. Im Hart beschränke man sich aus Pragmatismus auf drei je mehr als einen Kilometer voneinander entfernte Orte, obwohl sich weit verstreut Gruben, Wälle oder Betonteile finden.

Von selbst erschließt sich davon kaum etwas, auch die Reste des Waldlagers nicht. Hier mussten die Häftlinge Erdhütten ausheben aus einem tieferen Mittelgang, zwei Liegeflächen mit Brettern und darüber einer hölzernen Giebelkonstruktion. Bis zu 30 Menschen zwangen die Schergen in so eine Hütte. Viele starben an Krankheiten, am Hunger und an der vernichtend harten Arbeit. Weitaus die meisten Häftlinge dieses dem KZ Dachau zugeordneten Lagers waren ungarische Juden. Im Durchschnitt überlebte ein Häftling hier 80 Tage, wie es Peter Müller in einem seiner Bücher dargestellt hat. Von ungefähr 8300 KZ-Häftlingen kamen etwa 4000 hier um, und auch bei den rund 1700 Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern gab es Hunderte Tote.

Der schwierigste Ort ist der Fabrikbunker selbst

Zur Frage, wie viele Menschen im Massengrab verscharrt wurden, gibt es unterschiedliche Listen, 2100 waren es aber mindestens. An der Stelle haben Staatsförsterin Monika Löffelmann und ihre Waldarbeiter vor zwei Jahren eine Lichtung ausgeholzt und dabei die Stämme der Fichten etwa in Mannshöhe schräg abgeschnitten. So habe man "etwas schaffen wollen, das verstört", sagt Ulrich Fritz. Dass der Ort wirkt und der Trauer Raum gibt, kann Erhard Bosch bestätigen. Er ist zweiter Vorsitzender des Vereins für das Erinnern und hat schon Schulklassen hierher geführt, aber auch Überlebende und Nachkommen, die sich "zutiefst beeindruckt" gezeigt hätten. Die Toten liegen nicht mehr hier, sondern auf KZ-Friedhöfen in der Umgebung. Lokale NSDAP-Mitglieder mussten sie umbetten, zum Entsetzen der Menschen, für die nun nicht mehr zu leugnen war, was die meisten geahnt, viele gewusst und nicht wenige aktiv unterstützt hatten.

Der schwierigste Ort ist der Fabrikbunker selbst. 400 Meter lang und 33 Meter breit hätte er werden sollen, halb unter der Erde, acht Etagen unter zwölf riesigen Betonbögen. Sieben davon wurden fertig, und der siebte widerstand später der Sprengung, weil ihn noch der Kiesberg hielt, über den er betoniert worden war. Moos und Bäume krallen sich in diesen Bogen wie in die am Boden verkeilten Trümmer der anderen.

Es ist ein Täter-Ort, der immer noch durch seine Monumentalität beeindruckt. Der Steg der Gedenkstätte soll hier in die Höhe führen, damit die Besucher nicht zu dem Bogen aufschauen müssen. Er wird nicht vor 2020 fertig werden, denn der Boden ist nicht nur voller Scherben und anderer Partyreste, sondern auch voller Altlasten. Die Bögen fällten die Amerikaner mit 110 Tonnen TNT, außerdem wurden hier später Munitionsvorräte gesprengt. Das Gelände gehört zwei Dutzend Privateigentümern, es wird über Tauschgeschäfte verhandelt. Auch nach der Eröffnung am Waldlager und am Massengrab Ende April ist der Weg hier noch weit.

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