Mordprozess:Ein Mann, der nicht wissen will, warum er schoss

An Silvester tötete Roland E. in einem unterfränkischen Dorf eine Elfjährige. Der Ablauf ist vor Gericht weitgehend klar. Doch sein Motiv bleibt rätselhaft.

Von Hans Holzhaider

Es ist kein schöner Geburtstag für Roland E.: 54 Jahre wird er heute alt, aber statt den Geburtstagskuchen anzuschneiden und Glückwünsche entgegenzunehmen, muss er anhören, was der Oberstaatsanwalt Otto Heyder ihm zur Last legt: Er habe in der Silvesternacht 2015, aus Wut und Ärger über lautstark feiernde Mitbürger in dem kleinen Dorf Unterschleichach (Landkreis Haßberge), drei bis vier Schüsse aus einem Kleinkaliberrevolver auf eine Personengruppe in der Nähe seines Hauses abgegeben.

Eines der Geschosse traf die elfjährige Janina M. in den Hinterkopf. Das Mädchen starb wenige Stunden später in einer Klinik in Schweinfurt. Roland E., sagt der Staatsanwalt, habe das zumindest billigend in Kauf genommen, und weil er sich bei der Schussabgabe bewusst so postiert habe, dass er nicht gesehen werden konnte, sei auch das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt. Roland E. droht eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Roland E. ist ein kleiner, unauffälliger Mann mit rundlichem Kopf und kurz geschorenen Haaren; sein Mund wirkt verkniffen, man sieht ihm an, dass er am liebsten gar nichts sagen würde. Sein Verteidiger Thomas Drehsen gibt eine sehr knappe Erklärung für seinen Mandanten ab: Herr E. bedauere zutiefst, was geschehen sei. Er räume ein, drei- oder viermal geschossen zu haben, und zwar "in Richtung des Waldes". Er stelle in Abrede, bewusst auf eine Gruppe von Menschen gezielt zu haben. Zu weiteren Erklärungen sehe er sich nicht in der Lage, lediglich zu seinen persönlichen Verhältnisse werde er sich äußern.

"Na, dann erzählen Sie uns mal ihren Lebenslauf", sagt der Vorsitzende Richter Manfred Schmidt.

"Nä", sagt Roland E.

"Doch", sagt der Verteidiger.

"Ich kann net", sagt Roland E.

Er kann dann doch, auf geduldige Fragen des Richters. Er hat das Maurerhandwerk gelernt, wie schon sein Vater. Er hat dann seinen Wehrdienst abgeleistet, und danach fast 17 Jahre bei der gleichen Firma gearbeitet. 1999 ging er dann zur Justiz - "da dran hab ich halt Interesse gehabt", sagt er. Zuerst auch als Maurer, aber dann wurde er krank, eine chronische Lungenerkrankung, viermal musste er operiert werden, er muss ständig starke Schmerzmittel einnehmen.

Von da an arbeitete er als Fahrer in der Justizvollzugsanstalt Ebrach. Seit 1996 hatte er eine feste Beziehung. 2000 hat er das Haus in Unterschleichach gebaut, "alles selber gemacht". 2001 wurde ein Sohn geboren. 2010 ging die Beziehung in die Brüche. "Es ging von ihr aus", sagt er. "Den Grund weiß ich nicht." Er lebte von da an allein in seinem Haus, der Sohn kam alle zwei Wochen zu Besuch. Seine Krankheit machte ihm schwer zu schaffen. Eine schmerzhafte Gürtelrose kam hinzu, auch der Magen und die Speiseröhre sind in Mitleidenschaft gezogen. "Wenn ich was ess', krieg ich die Luft abgedrückt. Da erstickt man bald." Er ist auch in nervenärztlicher Behandlung, zusätzlich zu den Schmerzmitteln muss er jetzt auch Antidepressiva schlucken.

Ach ja, die Schusswaffen

Sein einziges Hobby, sagt Roland E., sei das Motorradfahren; er hat eine 600er Yamaha. "Und die Schusswaffen?", fragt der Richter. Ach ja, die Schusswaffen. Roland E. besitzt zwei Winchestergewehre, eine Luger-Pistole und einen Revolver Kaliber 22. Sie sind vorschriftsmäßig im Keller in einem Schrank verwahrt. Die habe er nach seiner Bundeswehrzeit gekauft, sagt er, er habe im Krieger- und Soldatenverein geschossen, aber jetzt schon lange nicht mehr. Er könne nicht mehr schießen, weil seine Hände so zittern. In der JVA müsste man eigentlich regelmäßig schießen, aber er könne das nicht mehr, "das Zittern ist so arg, da geht alles kaputt im Schießkeller".

In der Silvesternacht haben Roland E.'s Hände aber offensichtlich nicht so sehr gezittert. Er wollte eigentlich nichts dazu sagen, aber er antwortet jetzt doch, wenn auch sehr zögernd, auf die Fragen des Gerichts. Er habe an jenem Tag bis nachmittags gearbeitet, abends sei er dann vor dem Fernseher eingeschlafen. Er wisse nicht, wann er aufgewacht sei. Er wisse auch nicht, was ihn veranlasst habe, in den Keller zu gehen. Ja, es sei richtig, dass er darauf geachtet habe, nicht gesehen zu werden. Warum? "Weil man mit der Waffe nicht schießen darf." Und danach? Sei er wieder in den Keller gegangen und habe die Waffe gereinigt und eingeölt. Warum eingeölt? "Damit man nicht feststellen kann, dass ich geschossen habe."

"War Ihnen da schon bewusst, dass was Schlimmes passiert ist", fragt der Richter. "Nä", sagt Roland E. Er habe sich dann wieder vor den Fernseher gesetzt und habe geschlafen, bis am nächsten Morgen um elf eine Polizistin an der Haustür klingelte.

Der äußere Ablauf des Geschehens ist also weitgehend klar - nur warum Roland E. die Waffe aus dem Keller holte und schoss, das bleibt im Dunkeln. "Die entscheidende Frage", sagt Staatsanwalt Heyder, "beantworten Sie nicht." "Ich weiß es nicht", sagt Roland E. Heyder gibt nicht auf. "Ich appelliere an Sie", sagt er. "Das sind Sie den Angehörigen schuldig, die hier im Gerichtssaal sitzen." Die Mutter und der Vater von Janina nehmen als Nebenkläger an dem Verfahren teil.

"Ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe", beharrt der Angeklagte. Auch der Richter versucht es noch einmal: "Wenn man vorher und nachher alles weiß - das ist sehr schwer nachvollziehbar. Es hilft nichts. "Ich weiß es wirklich nicht, sonst würde ich es jetzt sagen", sagt Roland E.

Fünf Verhandlungstage hat das Gericht angesetzt, 27 Zeugen und sieben Sachverständige sind geladen. Das Urteil wird noch vor Weihnachten erwartet.

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