Mord in einer Erlanger Tiefgarage:Das ewige Trauma

Vor zwölf Jahren wurde eine Arzthelferin in einer Erlanger Tiefgarage grausam ermordet, seither lastet die Tat wie ein Trauma auf der Stadt. Ein erster Prozess endete mit einem Freispruch - aus Mangel an Beweisen. Nun wird er neu aufgerollt.

Olaf Przybilla

Einer der größten Indizien-Prozesse in der Geschichte des Nürnberger Landgerichts endete am 8. Juni 2010 mit einer persönlichen Anmerkung des Vorsitzenden Richters. Alle, die mit dem Mord an Susanne M. befasst waren, seien fassungslos über das Geschehene, sagte Richard Caspar, der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer. Der Mord an einer 27 Jahre alten Mutter in einer Erlanger Tiefgarage müsse gesühnt und hart bestraft werden, um den Angehörigen der Arzthelferin "zumindest ein bisschen Genugtuung zu verschaffen".

Mord in einer Erlanger Tiefgarage: Am Morgen des 5. März 1999 war die Arzthelferin in der Tiefgarage eines Medizinzentrums in Erlangen bestialisch getötet worden.

Am Morgen des 5. März 1999 war die Arzthelferin in der Tiefgarage eines Medizinzentrums in Erlangen bestialisch getötet worden.

(Foto: dpa)

Was aber die Anklage gegen den Landschaftsgärtner Peter S. betreffe, so sei dem Gericht am Ende gar keine andere Wahl geblieben, auch nach 735 Seiten Anklageschrift nicht - und 60 vernommenen Zeugen. Das Urteil müsse auf Freispruch lauten, zumindest was den Mordvorwurf betreffe. Aus Mangel an Beweisen.

Man sah viele verstörte Gesichter an diesem Tag im Nürnberger Gerichtssaal 228, Tränen flossen. Am frühen Morgen des 5. März 1999 war die Arzthelferin auf dem Stellplatz 23 der Tiefgarage eines Medizinzentrums in Erlangen bestialisch getötet worden, seither lastet dieser Mord wie ein Trauma auf der Stadt.

Zehn Jahre wurde in der Sache ermittelt, ohne jedes Ergebnis. Dass sich noch mal irgendjemand für die Tat verantworten würde müssen, glaubten zwischenzeitlich nur noch wenige in Erlangen.

Bis dann zehn Jahre nach der Tat Peter S. vor Gericht stand, ein heute 46 Jahre alter Landschaftsgärtner aus dem Erlanger Stadtteil Dechsendorf. Er soll die junge Arzthelferin, die Patentante seiner Tochter, an jenem Morgen kurz vor Dienstantritt abgepasst und in der Tiefgarage mit einem Messer grausam getötet haben. Weil sie möglicherweise von etwas wusste, was sie niemals hätte wissen dürfen: vom Missbrauch ihres Patenkindes durch den eigenen Vater.

Vor neun Monaten hat der Bundesgerichtshof das Urteil gegen den Landschaftsgärtner aus Erlangen überraschend komplett aufgehoben, ein nicht alltäglicher Vorgang. Der 1. Strafsenat entschied, dass das Urteil der Nürnberger Richter nicht ausreichend erörtert worden sei.

Von Donnerstag an muss der Fall deswegen noch einmal ganz neu verhandelt werden. Diesmal nicht vor der Schwurgerichtskammer von Richard Caspar, sondern vor der 7. Strafkammer des Nürnberger Landgerichts.

Ein Plädoyer, das viereinhalb Stunden dauert

Abermals dürfte dem Gericht somit eine Mammut-Verhandlung ins Haus stehen: Allen für sein Plädoyer hatte Oberstaatsanwalt Wolfgang Gründler in der ersten Verhandlung viereinhalb Stunden benötigt und darin ein Indiz an das nächste gereiht. Vergeblich. Die Kammer, begründete Richter Caspar das Urteil, sei bei nahezu jedem Indiz immer wieder an denselben Punkt gelangt: Es könnte tatsächlich alles so gewesen sein, wie es der Oberstaatsanwalt darstellt. Es könnte aber auch ganz anders gewesen sein.

Dabei verließ der Angeklagte den Saal keineswegs als freier Mann. Er hat zugegeben, seine damals minderjährige Tochter über vier Jahre hinweg sexuell missbraucht zu haben. Zehn dieser Fälle waren noch nicht verjährt, für diese Fälle wurde der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zu einer "Arbeitssklavin" habe der Vater seine eigene Tochter gemacht, "verwerflich auf der sittlich untersten Stufe" sei das, urteilte Richter Caspar. Aber ein Mörder?

Er wisse, wie sich ein "Blutrausch" anfühlt

Am Tag vor dem Mord hatten sich die Arzthelferin und ihr Patenkind nach längerer Zeit wieder einmal gesprochen und sich für den nächsten Tag verabredet. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass Susanne M. seither zumindest geahnt habe vom Missbrauch ihres Patenkindes - und dass der Vater ein Treffen der beiden verhindern wollte.

Vieles spricht dafür: Der Vater war an dem Morgen mit dem Auto unterwegs. Er hatte kein Alibi, versuchte sich in der Folge aber eines zu verschaffen. Außerdem soll er in der Untersuchungshaft gesagt haben, er wisse, wie sich ein "Blutrausch" anfühlt.

Andererseits hatte seine Tochter mehrere enge Bekannte, denen sie sich hätte anvertrauen können - und ihr Vater hat den Kontakt zu diesen nicht zu unterbinden versucht. Vor allem aber wurden an ihm keine Spuren der getöteten Susanne M. gefunden; und an der Leiche keine Spuren von Peter S. Unter einem Fingernagel der Ermordeten fanden sich zwar DNS-Spuren. Diese aber stammten nicht von S.

Im Urteil deutete Richter Caspar an, dass dieses letzte Indiz das Hauptargument für den Freispruch gewesen ist. Was wäre, wenn sich irgendwann eine Person mit Motiv findet - von der diese DNS-Spuren tatsächlich stammen?

Einfacher dürfte die Wahrheitssuche nicht werden, immerhin sind seit dem Urteilsspruch weitere 17 Monate vergangen. Einer der Zeugen, der eine Limousine aus der Tiefgarage rasen sah, hatte sich sogar hypnotisieren lassen, um sich besser an den Morgen der Tat erinnern zu können. Seine Aussagen passten zu einem Teil auf die Limousine von Peter S. Zu einem anderen Teil überhaupt nicht.

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