"Morbus Pick":König Ludwigs neues Leiden

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Ein neues Gutachten über König Ludwigs Erkrankung heizt die endlose Diskussion um dessen letzte Lebensmonate wieder an. Schizophren soll der Kini demnach nicht gewesen ein.

Hermann Unterstöger

Fromme Familien hatten früher ein Bild an der Wand, das eine Kerze zeigte und daneben einen Sinnspruch, der so begann: "Immer wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her . . ." Daran fühlt man sich erinnert, wenn von König Ludwig II. und den ewig fortdauernden Rätseln um seine Person, sein Leben, seine Großartigkeit und sein Elend die Rede ist: Immer wenn man glaubt, dazu könnte nun wirklich nichts mehr gesagt werden, kommt von irgendwo etwas Neues oder jedenfalls in dieser Form noch nicht Geäußertes daher.

Der Kini - kein Fallbeispiel für Schizophrenie. (Foto: Foto: dpa)

Was Ludwigs Krankheit angeht, so ist über sie mehr geschrieben worden als über die vergleichbarer Patienten, mehr auch, als selbst Fachleute zur Kenntnis nehmen können - von den Laien ganz zu schweigen. Die haben sich bei diesem ihrem Lieblingskönig, dem "Kini", immer schon ihr eigenes diagnostisches Gebäude zusammengezimmert, in dem sich alles, was zwischen Genie und Wahnsinn - und in beider Kombination - denkbar ist, komfortabel unterbringen lässt.

Nun hat sich abermals ein Spezialist mit der Frage befasst, mit einem weitaus differenzierteren Ergebnis als den bisher bekannten. Professor Hans Förstl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München, ist zusammen mit Rupert Hacker und Monika Seitz nochmal die bekannten Dokumente sowie die im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher lagernden Unterlagen durchgegangen und hat versucht, an die dort beschriebenen Symptome gegenwärtige diagnostische Konzepte anzulegen.

Sein Fazit, das in der aktuellen Deutschen Medizinischen Wochenschrift veröffentlicht wird: Eine Schizophrenie lag bei Ludwig nicht vor, wohl aber eine schizotype Störung; ferner können die Wesensänderungen der letzten Lebensmonate und der Autopsiebefund als Indizien einer beginnenden frontotemporalen Degeneration aufgefasst werden.

Naturgemäß muss Förstl (wie seinerzeit Bernhard von Gudden, wenn auch aus anderen Gründen als dieser) auf eine Untersuchung des Patienten verzichten. Er zieht aber alles heran, was eine nachträgliche Diagnose ermöglicht. Das sind zum einen die biographischen Details, von der Hirnhautentzündung des Säuglings über die schweren fiebrigen Erkrankungen des Jünglings bis hin zur Aggressivität des "alten" Ludwig, die am Ende von Verstimmung und Apathie abgelöst wurde.

Prototypischer Fall

Das ist zum anderen das Guddensche Gutachten, das zu dem Schluss gelangt, Ludwig sei hochgradig seelengestört und leide an der den Irrenärzten wohlbekannten Paranoia alias Verrücktheit. Zum dritten aber "überrascht im Autopsie-Protokoll die ausgeprägte beidseitige Frontalhirnatrophie".

In der Zusammenschau ergibt sich für Förstl, dass die Diagnose der Schizophrenie nicht gerechtfertigt ist, ungeachtet des Umstands, dass Ludwig in der Literatur bald zum prototypischen Fall aufgestiegen ist. Nach den Forschungskriterien der internationalen Klassifikation psychischer Störungen lag jedoch eine schizotype Störung vor.

Bei der frontotemporalen Degeneration handelt es sich um ein Leiden, das um 1900 von dem Prager Neurologen Arnold Pick erstmals beschrieben wurde und als Picksche Krankheit oder Morbus Pick in die Lehrbücher einging. Arnold Pick war, wie Förstl am Rande erzählt, in gewissem Sinn auch für die Entdeckung der Alzheimerschen Krankheit verantwortlich. Da er leuchtturmartig alles erhellte, sah sich Alois Alzheimer gezwungen, anderswo im Gehirn zu forschen - und dabei fand er die nach ihm benannte Krankheit.

© SZ vom 4.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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