Mitten in Nürnberg:Von Ceaușescu zu Hitler

Als die Literaturnobelpreisträgerin 1987 vor dem rumänischen Diktator floh, landete sie im Übergangslager in den ehemaligen Grundig-Türmen - mit Panoramablick aufs Reichsparteitagsgelände. Ein Schock. Und wer ist heute dort untergebracht?

Von Olaf Przybilla

Die Stimmung auf dem Poetenfest in Erlangen gilt als ausgelassen, am Sonntagabend aber stockte vielen der Atem. Die Nobelpreisträgerin Herta Müller trug aus ihrem neuen Buch "Herzwort und Kopfwort" vor, es geht darin um ihre Flucht im Jahr 1987 aus Rumänien und die Ankunft im Übergangsheim "Langwasser" in Nürnberg-Süd. Max Grundig hatte dort Wohntürme bauen lassen, um Arbeiter unterzubringen, die von weit her kamen und in einem nahen Werk arbeiteten. Als Grundig zugrunde ging, wurden die Türme zum "Übergangsheim". Sie stehen direkt am ehemaligen Reichsparteitagsgelände.

Zurück nach Erlangen, wo Herta Müller vorliest, wie das ist, wenn man vor einem Diktator, Ceaușescu, geflohen ist und dann in der neuen Heimat aus dem Fenster schaut: "Es war der allererste Schock, als wir dort in unser Zimmer kamen: Aus dem kleinen Fenster sah man Hitlers Parteitagsklotz." Ihr sei fast der Kopf zersprungen, sagt Müller. Im Heim "der Irrsinn", draußen "das Epizentrum der Naziverbrechen". Wieso, fragt sie, hatte man dort ein Übergangsheim eröffnet? "Wieso werden Menschen, die verstört aus Diktaturen kommen, ausgerechnet an diesen Ort gezwungen?"

Der Moderator hakte an der Stelle nicht nach. Schade, denn interessant wäre Müllers Reaktion auf die Information gewesen, dass die Türme zwar seit Jahren nicht mehr als Heim für Aussiedler genutzt werden - allerdings soeben erst in eine Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge verwandelt wurden, angemietet von der Regierung von Mittelfranken.

Für öffentliche Aufregung hat das nicht gesorgt. Im Gegenteil: Die Türme sind für 25 Millionen Euro saniert worden, sie gelten als deutlich lebenswerter als etwa die Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf. Und natürlich kann man Müllers Argument ebenso gut umdrehen. Ist das nicht die Höchststrafe für Nazis und Neonazis, wenn eine Gesellschaft ein menschliches Antlitz gerade dort zeigt, wo Hitler einst von der Kanzel geiferte?

Das aber konnte verständlicherweise nicht die Perspektive der Exilantin Herta Müller sein in einem der heruntergekommenen Türme des Jahres 1987. Und das alles zeigt abermals: Der Umgang in Nürnberg mit der NS-Geschichte wird immer eine Gratwanderung bleiben.

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