Mitten in Coburg :Abstellgleis statt Probefahrt

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Coburg war einst eine Stadt von großer Bedeutung. Diese könnte nun wieder zunehmen, schließlich hält dreimal am Tag der ICE von München nach Berlin und umgekehrt. Der erste kam auch pünktlich, zu dessen Ehren sich die Honoratioren am Bahnhof versammelt hatte. Eine Probefahrt nach Berlin gab es aber trotzdem nicht

Kolumne von Claudia Henzler

Coburg zählt zwar nur gut 41 000 Einwohner, kann aber auf eine bedeutende Vergangenheit zurückblicken. Die Residenzstadt der Herzöge von Sachsen-Coburg hat beispielsweise Prinz Albert hervorgebracht, den Ehemann von Großbritanniens früherer Königin Victoria. Und Alberts Ur-Großonkels hat die Stadt zu verdanken, dass Blaskapellen bei feierlichen Anlässen den "Koburger Marsch" intonieren können. Den hat Joseph Haydns kleiner Bruder Johann Michael nämlich zu dessen Ehren komponiert.

Ihrem eigenen Verhandlungsgeschick können die Coburger zuschreiben, dass sie neuerdings mit dem ICE zu erreichen sind. Denn die Neubaustrecke München-Berlin wurde eigens mit einer 30 Millionen Euro teuren Schleife versehen, damit dreimal am Tag jeweils ein ICE in Richtung Norden und Süden in der oberfränkischen Stadt halten kann.

Den Beginn des ICE-Zeitalters wollten die Coburger am Sonntag gebührend feiern. Die Stadt schmiss mit der Bahn eine Party, um kurz vor 15 Uhr versammelten sich Hunderte Besucher auf dem schneeumwehten Bahnsteig, in feierlicher Erwartung des Premierenzugs nach München. Der kam tatsächlich pünktlich, die Stadtkapelle schmetterte den "Koburger Marsch", Oberbürgermeister Norbert Tessmer schwärmte von einem "verkehrspolitischen Jahrhundertereignis". Eigentlich sah das Festprogramm dann noch einen zweiten Akt vor: Der Oberbürgermeister wollte mit Stadträten und Ehrengästen in den ersten Zug nach Berlin steigen, planmäßige Abfahrt 15.52 Uhr. In Berlin sollten sie zweieinhalb Stunden später mit Willkommens-Banner und Currywürsten begrüßt werden, um bald darauf mit dem Abendzug zurückzukehren. Doch daraus wurde nichts. Denn der ICE 706 kam nicht. Die Bahn hatte den Zug "wegen einer Störung am Fahrzeug" ohne den Umweg über Coburg nach Berlin gelenkt. Genaueres könne man noch nicht sagen, heißt es am Tag danach. "Wir betreiben derzeit noch Ursachenforschung."

Im Coburger Rathaus will man sich weder den historischen Moment kaputtreden lassen, noch der Bahn den Marsch blasen. Entscheidend sei ja die Begrüßung des ersten ICEs gewesen. Die Testfahrt soll bald nachgeholt werden.

© SZ vom 12.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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