Mitten in Bayern:Der Kandidat, ein armer Hund

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Politiker strampeln sich bis zur letzten Minute ab. Dabei hat fast ein Drittel der Wähler bereits die Stimme abgegeben

Von Lisa Schnell

Politiker werden oft gescholten. Am Stammtisch, im Internet, sogar derweilen von der SZ. Es ist deshalb Zeit für ein wenig Anerkennung, für eine Würdigung der Leiden von Kandidaten im Wahlkampf.

Zu jedem, wirklich zu jedem muss so ein Kandidat freundlich sein. Könnte ja ein Wähler sein, der einem da den Parkplatz wegnimmt. Womöglich hängt daneben noch ein Plakat, auf dem der Politiker sein schönstes Wahlkampflächeln lächelt. Extra zum Zähnebleichen ist er deshalb gegangen. All der Aufwand, da kann man es sich schlecht mit einem Wähler versauen, auch wenn es auf der Zunge liegt: "Hundsdepp greislicher, des war mei Parkplatz!" Geht nicht. Also lächeln und weiterfahren.

Überhaupt, dieses ständige Mundwinkel auseinanderziehen, weil einen immer irgendwo jemand mit einem Handy einfangen könnte. Ein einziges Mal, da gähnt der Politiker dann - weil er schon um fünf Uhr aufgestanden ist, um die Plakate zu holen für den Infostand, an dem er im Regen stand, niemand seine Flyer wollte, den er dann wieder abbauen musste, zur Podiumsdiskussion hetzte, wo er vielleicht einen guten Einruck, aber auf jeden Fall eine Regenpfütze hinterließ. Dann also, in einem schwachen Moment, muss er gähnen, und am nächsten Tag liest er in seiner Zeitung: "Dem Politiker ist sein eigener Wahlkampf zu langweilig."

Über seine Inhalte aber, denkt der Kandidat, schreiben sie nicht. Erst ganz am Schluss, eine Woche vor der Wahl, wenn die Worte von den "Herzensthemen", für die er "kämpft" und um "jede Stimme bittet", schon automatisch aus seinem Mund fließen, egal, wer vor ihm steht: seine Kinder, der Zugschaffner, eine Parkplatzuhr - dann erst kommen die großen Auftritte, die Talkshows und Zeitungsaufmacher. Jetzt endlich erreicht er sie, die Wähler, denkt der Kandidat. Und liest dann das: In Bayern haben so viele wie nie schon gewählt, per Post. Wie sich der Kandidat also auch anstrengt, über 30 Prozent kann er eh nicht mehr erreichen. Was für ein Frust! Vielleicht eines zum Trost: Es gibt auch Kandidaten, bei denen es eher von Vorteil ist, wenn die Wähler ihr Kreuz schon gemacht haben, bevor sie den Politiker richtig kennengelernt haben.

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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