Mitten in Bayern:Ab in die Bäume

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Es ist eine traurige Kindheitserinnerung, wenn der geliebte Kletterbaum gefällt wurde. Den Wunsiedlern bleibt das nun erspart, die Kastanien am Marktplatz bleiben stehen. Und werden sogar umbaut

Von Katja Auer

Leute, die auf dem Land aufgewachsen sind, kennen das: Dieses dumpfe Gefühl in der Magengegend, als der alte Kirschbaum gefällt werden musste, weil er durch und durch morsch war und die Kirschenernte ohnehin nur noch für die Amseln und ein Gläschen Marmelade gereicht hat. Aber es hingen halt so viele Erinnerungen drin und die Holzklötzchen, die irgendjemand mal als Einstiegshilfe für die Kleineren in den Stamm geschlagen hatte. Manche Bäume trugen gar ein Häuschen. Und dann die Motorsäge. Klar heult da einer.

Emotional wird es meistens. Regelrechte Kämpfe sind schon um Bäume gefochten worden, wenn sie groß genug waren, wurden sie gar besetzt. Meistens nicht von Menschen, die als Kinder darin herumkletterten. In die alten Kastanien am Wunsiedler Marktplatz steigt auch selten jemand hinauf und Baumhäuser gibt es auch keine. Vielleicht hätte Bürgermeister Karl-Willi Beck, ein Mann wie ein Baum, der Vergleich bietet sich tatsächlich an, deswegen auf den einen oder anderen verzichten können. Er wollte ein paar Bäume fällen lassen, den Marktplatz lichten, aber das wollten die Wunsiedler nicht. Das hatten sie bei einem Bürgerentscheid vor vier Jahren schon mal ausgedrückt, dennoch wollte der Bürgermeister abholzen. Wollte. Nun gab er den Plan überraschend auf, ohne dass eine einzige Kastanie besetzt werden musste.

Anderswo holen sie sich Bäume in die Stadt, in Würzburg zum Beispiel, wo es jetzt Wanderbäume gibt. Die sind zwar nicht so mobil wie die Ents in "Herr der Ringe", und sprechen können sie mutmaßlich auch nicht, aber von Platz zu Platz werden sie sich doch bewegen. In ihren roten Kisten, in die sie gepflanzt wurden. Nächstes Jahr ist Landesgartenschau in Würzburg, dafür sollen die Wanderbäume schon mal werben.

In Wunsiedel kümmern sich derweil Freiwillige um die Kastanien. Das "Rabattenkommando Wunderbar" baut Sitze unter die Bäume, um einen Stamm schließt sich schon eine kleine Bühne. Einen Baum nach dem anderen wollen sie sich vornehmen und so den Marktplatz attraktiver machen. Vielleicht bauen sie ja auch noch ein Baumhaus. Oder wenigstens ein paar Klötzchen an den Stamm. Zum Reinklettern.

© SZ vom 23.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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