Mitten in Bamberg:Mission Kerwa-Prekariat

Politikern passiert es hin und wieder, dass sie Worte benutzen, die auf die eine oder andere Art vorbelastet sind - so wie CSU-Mann Helmut Müller. Was folgt, ist das Herausreden. Doch das hilft nicht immer. Die Geister, die er rief, melden sich unüberhörbar zu Wort

Von Olaf Przybilla

Es gibt auch im Leben von Wörtern den Moment, von dem an alles anders ist. Das Kompositum "Fahrradkette" etwa hatte es sich kommod eingerichtet im Spezialsprachschatz, ein Dasein am kaum beachteten Rand der Radler- und Tüftlerterminologie. Dann kam Peer Steinbrück, setzte ein "hätte hätte" davor und auf einmal stand das Wort im Sturm. Es muss ein Schock gewesen sein für die zwölf Buchstaben, gerade so, als hätte man einen Maulwurf ohne Vorwarnung ins Discolicht gestellt. Als das Licht nun allmählich zu erlöschen schien, trampelte schon der nächste Sprachnutzer los, ein Mann namens Lothar Matthäus, und zerrte das Nachtschattengeschöpf mit der Variation "Wäre wäre Fahrradkette" erneut ans Tageslicht.

Vom Bamberger Sprachnutzer und CSU-Mann Helmut Müller ist ein beachtliches Detail bekannt. Müller hat es ein bisschen anders gemacht als Steinbrück, er hat ein Wort ins Licht gestellt, das eine nicht ganz unbelastete Vergangenheit hat. Und das er, so hat es Müller zumindest der SZ erklärt, gar nicht genau kannte. Macht man ja mitunter so: Erst mal raus damit, was man damit gesagt haben könnte, kann ja später nachgeschlagen werden. Linguisten raten in solchen Fällen zum "breiten Semantisierungsspielraum", einem Wort also mit Deutungsbreite. Hilft beim Rausreden.

Das hätte Müller beachten sollen. Er hat alle Teilnehmer der Sandkerwa dem "Prekariat" zugeordnet, hat sich danach selbst eine vier Wochen währende Denkpause als CSU-Chef im Stadtrat verordnet und diese womöglich dazu genutzt, um versonnen in Wörterbüchern zu blättern. Nun kann man nur hoffen, dass er darüber nicht zu vorsichtig wird künftig, denn sein Diktum vom Kerwa-Prekariat hat diese Stadt verändert. Künstler komponieren Prekariats-Lieder, ganze Kohorten bekennen sich dazu, ein Leben im Prekariat zu führen, und wenn's dunkel wird in Bamberg, hindert nur die Sprachmelodie ein bisschen an kollektiven "Wir sind das Prekariat"-Aufzügen. Womöglich aber kommt es nun doch noch dazu. Für diesen Donnerstag, an dem die Sandkerwa begonnen hätte, wäre sie nicht abgesagt worden, ist die Aktion angekündigt: "Prekarier aller Länder - vereinigt Euch! Ihr habt nichts zu verlieren außer Euren Krügen!"

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