Mittelschulen in Bayern:"Am 31. Juli sind wir tot"

Die Mittelschule - ein Erfolgsmodell? Gerade einmal zwei Jahre ist das Konzept von Kultusminister Ludwig Spaenle alt, es funktioniert jedoch vielerorts nicht: Den Mittelschulen gehen die Schüler aus. Um ihre Standorte zu erhalten, fordern Bürgermeister in Bayern Gemeinschaftsschulen - und stoßen auf Widerstand.

Von Tina Baier

Egal, wen man in der CSU auf das Thema Mittelschule anspricht, wie eine Art Mantra fällt stets derselbe Satz: "Die Mittelschule ist ein Erfolgsmodell." In den Ohren vieler Bürgermeister und Schulleiter in Bayern muss das wie blanker Hohn klingen: Denn nur gut zwei Jahre nachdem die meisten Hauptschulen in Bayern zu Mittelschulen umgewandelt wurden, müssen viele Gemeinden um das Überleben ihrer Mittelschule bangen, weil sich immer weniger Schüler anmelden. Genau das hätte das Mittelschulkonzept eigentlich verhindern sollen. Doch die Idee, Standorte zu retten, in dem sich mehrere kleine Mittelschulen zusammenschließen, um sich gegenseitig mit Schülern auszuhelfen, funktioniert in der Praxis oft nicht.

Ein Beispiel ist die Mittelschule Lalling im niederbayerischen Landkreis Deggendorf: Die Schule, die zum Mittelschulverbund Hengersberg gehört, wird nächstes Jahr nur noch 37 Schüler haben: 17 in der achten Klasse und 20 in der Neunten. Wenn nichts passiert, muss die Schule schließen, sobald alle 37 ihren Abschluss gemacht haben. Schon dieses Schuljahr gibt es keine fünfte Klasse mehr, weil nicht genügend Schüler zusammengekommen sind. Die Fünftklässler pendeln jeden Tag nach Hengersberg.

"Wir bluten langsam aus", sagt Ferdinand Brandl (CSU), Vorsitzender des Schulverbands. "Der Schülermangel hat uns trotz des Mittelschulkonzepts schneller eingeholt, als wird gedacht haben." Brandl hat einen Brief an Staatssekretär Bernd Sibler (CSU) geschrieben, mit der Bitte, in Lalling ein Pilotprojekt zu genehmigen, das die Schule aus seiner Sicht retten könnte. "Das ist unser einziger Strohhalm", sagt Brandl. Bis jetzt habe Sibler nicht geantwortet. "Es sind noch einige Gespräche notwendig", sagt Sibler auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung.

Die Mittelschule in Donaustauf im Oberpfälzer Landkreis Regensburg wird es schon dieses Jahr treffen: "Fakt ist, am 31. Juli 2013 sind wir tot", sagt Bürgermeister Jürgen Sommer (SPD). "Wir sind gerade dabei, den Schulverband Donaustauf aufzulösen." Derzeit besteht die Mittelschule Donaustauf nur noch aus 19 Schülern, die alle in die neunte Klasse gehen. Wenn sie weg sind, ist die Mittelschule leer. Noch vor zwei Jahren war Sommer vom Schulamt in Aussicht gestellt worden, dass Spaenles Mittelschulkonzept die Schule retten könne. Schüler aus der größeren Schule in Neutraubling sollten den Mangel in Donaustauf ausgleichen. Doch die Neutraublinger wollten keine Schüler hergeben. "Ich kann das sogar verstehen", sagt Sommer. Er setzt jetzt darauf, in Donaustauf eine Gemeinschaftsschule einzurichten.

Das Konzept beruht auf der Idee, innerhalb ein und derselben Schule neben dem Hauptschulabschluss auch den Realschulabschluss und eine Vorbereitung auf das Abitur anzubieten. Bis zur zehnten Klasse könnten dann alle Schüler am Ort zur Schule gehen und würden nicht in die Realschulen und Gymnasien der Umgebung abwandern. "Wir werden auf jeden Fall eine Gemeinschaftsschule beantragen", sagt Sommer. "Eine Gemeinschaftsschule wird es in Bayern nicht geben", sagt dagegen Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU).

Einzelne Mittelschulen existieren nur noch auf dem Papier

Obwohl das Kultusministerium diese Schulform bislang strikt ablehnt, gibt es mehrere Gemeinden, die dafür kämpfen: Nicht aus ideologischen, sondern aus pragmatischen Gründen, weil sie überzeugt sind, dass das ihre Schule retten könnte. Peter Lehner (Freie Wähler), Zweiter Bürgermeister der oberbayerischen Gemeinde Denkendorf im Landkreis Eichstätt, will einen entsprechenden Antrag schon diesen März oder April stellen.

Die Denkendorfer Mittelschule ist bereits seit September 2012 verwaist. Der obere Stock des vor wenigen Jahren für fast eine Million Euro sanierten Schulhauses steht leer. Im Erdgeschoss lernen die Grundschüler. "Wir sind das beste Beispiel dafür, dass Spaenles Mittelschulkonzept kläglich gescheitert ist", sagt Lehner. Spaenle selbst sei in Denkendorf gewesen und habe versichert, der Schule könne nichts passieren, wenn sie dem Mittelschulverbund beitrete. Jetzt ist die Mittelschule zwar noch nicht offiziell geschlossen und taucht daher auch nicht in der Statistik des Kultusministeriums auf, derzufolge vergangenes Jahr nur drei Mittelschulen schließen mussten. Aber ohne Schüler existiert sie nur noch auf dem Papier.

Der Maximilian-von-Bauernfeind-Mittelschule im oberfränkischen Arzberg (Landkreis Wunsiedel), droht dieses Jahr dasselbe Schicksal. Bürgermeister Stefan Göcking (SPD) hat für die Statistik-Tricks des Kultusministeriums nur noch Galgenhumor übrig: "In Bayern werden keine Mittelschulen geschlossen, sie machen nur nicht mehr auf", sagt er.

Martin Güll, bildungspolitischer Sprecher der SPD, wird deutlicher: "Bis zu den Wahlen im September wird die Staatsregierung alles daransetzen, offiziell keine Schule zu schließen." Seiner Ansicht nach sind in Bayern Hunderte Mittelschulen gefährdet und werden in den nächsten fünf bis sieben Jahren aufgeben müssen.

Öffnet man die Homepage der Mittelschule in Arzberg, kommt ein Hinweis: "Da unsere Schule nur noch aus zwei Klassen besteht, findet eine Aktualisierung nur sporadisch statt." Die Schule hat nur noch 30 Schüler, aufgeteilt auf eine fünfte und eine neunte Klasse. Es sei jetzt schon grenzwertig, 30 Kinder in einem Schulhaus zu unterrichten, das für 400 bis 450 Schüler ausgerichtet ist. Der Schulleiter ist schon weg. "Im September müssen wir schließen", sagt Göcking. Auch er plant, aus der Mittelschule eine Gemeinschaftsschule zu machen, um die Schüler bis zur zehnten Klasse in Arzberg zu halten. "Das ist der einzig richtige Weg", sagt er.

Herbert Lohmeyer (SPD), Sprecher der Arbeitsgemeinschaft für Bildung in Landshut, sieht es ähnlich: "Die Mittelschule wird keinen einzigen Standort retten", sagt er. Deshalb setzt er sich für eine Gemeinschaftsschule in Buch am Erlbach ein. Die dortige Mittelschule ist zwar noch keine "Zahnlücken-Schule", in der wie in Arzberg ganze Jahrgangsstufen fehlen, aber auf dem Klassenfoto der Fünften sind nur noch zehn Kinder zu sehen.

Auch im mittelfränkischen Leutershausen vertraut niemand mehr auf Spaenles Mittelschulkonzept. Stattdessen hat sich der gesamte Stadtrat quer durch alle Parteien für eine Gemeinschaftsschule ausgesprochen. Die Mittelschule in Leutershausen ist die kleinste in einem Verbund mit zwei größeren. "Wir hatten auf einen besseren Austausch von Schülern gehofft", sagt Bürgermeister Siegfried Heß (CSU). Aber jedem sei nun einmal seine eigene Schule am nächsten, und alle drei Schulen des Verbunds hätten mit rückläufigen Schülerzahlen zu kämpfen.

Wie wichtig den Menschen in Leutershausen ihre Schule ist, sieht man auch daran, dass die Gemeinde kräftig investiert. Das Gebäude wird gerade saniert; die Ganztagsschüler bekommen eine Mensa für 600 000 Euro. An die Schule angeschlossen ist ein für 2,5 Millionen Euro saniertes Hallenbad. Parallel wird ein pädagogisches Konzept für die Gemeinschaftsschule erarbeitet. "Wir brauchen eine Perspektive", sagt Heß.

Kultusminister Spaenle sagt: "Von den 900 bayerischen Mittelschulen wollen wir so viele wie möglich so lange wie möglich erhalten." Wie viele dieser 900 Mittelschulen wird es in fünf Jahren noch geben? "Dazu kann und will ich nichts sagen."

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