Mittelfranken:Zeugen kritisieren Polizeieinsatz an Nürnberger Berufsschule als unnötig aggressiv

Abschiebung

"Da stand der Streifenwagen": Die Pfarrerinnen Sonja Dietel und Cornelia Auers sowie Dekan Christopher Krieghoff haben den Polizeieinsatz aus nächster Nähe miterlebt.

(Foto: Peter Roggenthin)
  • Bei einem Polizeieinsatz vor einer Nürnberger Berufsschule sollen laut Zeugen keine gewaltbereiten Linksautonomen unter den Demonstranten gewesen sein.
  • Die Beamten wollten einen afghanischen Schüler zur Abschiebung abholen - seine Mitschüler starteten daraufhin eine Sitzblockade, die die Polizei gewaltsam auflöste.

Von Claudia Henzler und Lisa Schnell

Dass gewaltbereite Linksautonome für die Eskalation bei dem umstrittenen Polizeieinsatz vor einer Nürnberger Berufsschule verantwortlich sein sollen, wird von Augenzeugen bestritten. Es sei erst in dem Moment zu Rangeleien und körperlicher Gewalt gekommen, als die Polizei anfing, Schüler gewaltsam aus einer Sitzblockade zu zerren. Die Beamten seien danach "gegen die überraschten Protestierenden aggressiv mit Pfefferspray, Schlagstöcken und Hunden" vorgegangen, um die Jugendlichen von einem zweiten Streifenwagen fernzuhalten.

So haben es die beiden Pfarrerinnen Cornelia Auers und Sonja Dietel sowie Dekan Christopher Krieghoff von der Reformations-Gedächtnis-Kirche beobachtet. Das Bild, das Polizei und Innenministerium vergangene Woche im Innenausschuss des Landtags zeichneten, empfinden sie als falsch. Deshalb haben sie den Abgeordneten geschrieben. "Die Schuld an der Eskalation allein der anderen Seite zuzuweisen, hat eine starke Verzerrung der Darstellung zur Konsequenz", schreibt das Pfarrerteam. "Letztlich wird so das bürgerschaftliche Engagement der Schülerinnen und Schüler im Ganzen abgewertet, und das empfinden wir schlicht als unwürdig."

Die evangelische Reformations-Gedächtnis-Kirche liegt gleich gegenüber der Berufsschule. In der Einbahnstraße, die das Pfarramt von der Kirche trennt, hatte die Polizei den Streifenwagen geparkt, in dem der Afghane Asef N. weggebracht werden sollte, um abgeschoben zu werden. Das Pfarrerteam war draußen und erlebte mit, wie sich Asef N.s Mitschüler vor und hinter das Polizeiauto setzten, wie eine Pattsituation entstand, die lange andauerte, und wie schließlich die schwarz gekleideten Beamten des Unterstützungskommandos USK eintrafen und die Situation am Ende eskalierte.

Dass Linksautonome alles aufgemischt und mit Flaschen oder Fahrrädern geworfen haben sollen, haben die Pfarrer nicht wahrgenommen. Nach dem Einsatz habe man auch keine Scherben gesehen. Auf einem Video, das Dietel aufgenommen hat, ist nur zu sehen, wie Fahrräder, die am Straßenrand standen, bei den Rangeleien umfielen und Polizisten zwischen die Beine gerieten. Gesehen hat Pfarrerin Auers dagegen, dass Jugendliche nach dem Einsatz bluteten.

Auch Nico Schreiber sagt, er habe niemanden aus der Reihe der Berufsschüler und der Unterstützer beobachtet, der Polizisten angegriffen hätte. Der 26-jährige Student war per Kurznachricht von einem Berufsschüler benachrichtigt worden und hatte sich an der Sitzblockade beteiligt. Danach, so erzählt Schreiber, sei er von einem Polizisten mit einem Schlagstockhieb davon abgehalten worden, dem Auto zu folgen, in dem Asef N. saß. Schreiber vermutet, "dass die Trennung in gewalttätige Autonome und friedliche Schüler im Nachhinein der Versuch ist, den Einsatz zu rechtfertigen". Da er in Nürnberg Vorsitzender der sozialistischen Jugendorganisation "Die Falken" ist, kann er nicht ausschließen, dass die Polizei ihn zu den angeblich anwesenden Linksautonomen zählt. Er selbst tut das ausdrücklich nicht und sagt, er habe keinen linken Mob gesehen.

Die Sache ist noch nicht abgeschlossen. Inzwischen gibt es interne Untersuchungen gegen Polizisten wegen des Verdachts auf Körperverletzung. Doch nicht nur der Einsatz steht in der Kritik, sondern auch dessen Rechtsgrundlage. Die Regierung von Mittelfranken habe N. ohne richterliche Anordnung abschieben wollen, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Horst Arnold. Auf die dürfe aber nur unter bestimmten Bedingungen verzichtet werden, etwa bei einer unmittelbaren Fluchtgefahr. "Die Abschiebung wäre rechtswidrig gewesen", sagt Arnold.

Die Bezirksregierung bestätigt, dass N. ohne richterliche Anordnung in Gewahrsam genommen wurde. Die sei nicht erforderlich gewesen, da N. direkt ins Flugzeug gesetzt werden sollte. Nur wenn N. in Abschiebehaft gekommen wäre, hätte es die Zustimmung eines Richters gebraucht. "Windelweich", nennt Arnold das Statement. Nachdem der Einsatz schiefgelaufen sei, habe man ja Abschiebehaft beantragt. All dies hätte in seinen Augen bei der Diskussion im Innenausschuss zur Sprache kommen müssen.

Arnolds Kollegen von der SPD aber hakten nicht nach. Nicht, als ein Vertreter des Ministeriums rechtsstaatliche Bedenken des Landgerichts Nürnberg damit abtat, das Gericht sei nicht zuständig. Auch nicht, als es hieß, Demonstranten seien nicht verletzt worden. Dass die SPD-Vertreter im Ausschuss den Einsatz besonnen nannten und sagten, dass Abschiebungen aus Schulen im Ausnahmefall möglich sein müssten, hat einige Abgeordnete schwer verärgert. Bei ihrer Fraktionssitzung am Mittwoch will die SPD erneut darüber diskutieren.

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