Mitgliederentscheid der SPD:Gabriel und Pronold in Nürnberg auf Werbetour

SPD-Chef Gabriel und der bayerische Landes-Chef Pronold versuchen, den Sozialdemokraten in Nürnberg den Koalitionsvertrag schmackhaft zu machen. Gabriel hält das Mitglieder-Votum jetzt schon für einen Erfolg - wegen der vielen Neueintritte in die Partei. Aber nicht alle sind überzeugt

Von Katja Auer

Peter Meidenbauer erinnert sich noch an Guido Westerwelle. Wie der vor vier Jahren aus den Verhandlungen mit der Union kam und jubelte, dass die Liberalen dem Koalitionsvertrag ihre Handschrift gegeben hätten. Und jetzt? Ist die FDP nicht mal mehr im Bundestag. Deswegen will Meidenbauer, 51 und seit 25 Jahren in der SPD, dem Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD nicht zustimmen. Weil von all den Verhandlungserfolgen nichts übrig bleiben werde. "Die wird uns in ihrer Umklammerung ersticken", sagt er und meint Angela Merkel. Wie sie es auch mit den Liberalen gemacht habe.

Meidenbauer ist am Sonntag trotzdem ins Karl-Bröger-Haus nach Nürnberg gekommen zur Regionalkonferenz, wo Parteichef Sigmar Gabriel selbst sich müht, den Mitgliedern ein Ja abzuringen. Der SPD-Vorsitzende kommt eine gute halbe Stunde zu spät, er war noch auf einer Veranstaltung in Nordrhein-Westfalen. Die Werbetour der Parteispitze erlaubt keine Pausen. Gabriel muss sich durch den überfüllten Saal drängeln. "Lasst mich doch mal durch", sagt er zu den Fernsehteams. Um die 400 Menschen sind im Saal, 10 000 verfolgen die Veranstaltung angeblich im Internet.

"Mir ist wirklich nicht egal, was rauskommt, aber ein Erfolg ist das Mitgliedervotum jetzt schon", sagt Gabriel. Die ganze SPD diskutiere über die Zukunft des Landes. Mehr als 2500 Menschen seien in den vergangenen Wochen in die Partei eingetreten, allein 150 im Unterbezirk Nürnberg. Der Mitgliederentscheid lockt offenbar. Gabriel dekliniert den Koalitionsvertrag durch, den Mindestlohn, die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, die doppelte Staatsbürgerschaft. "Einiges hätten wir mit den Grünen nicht hingekriegt", sagt er und will damit sagen, dass man ganz schön viel hingekriegt habe. Das Publikum lauscht aufmerksam, Gabriel bekommt freundlichen Beifall.

Schließlich - falls immer noch jemand zweifle - argumentiert auch er mit der FDP. Christian Lindner, der wahrscheinliche künftige Parteichef der Liberalen, habe das Verhandlungsergebnis einen "sozialdemokratischer Koalitionsvertrag" genannt. Na also.

Zuvor hatte sich der bayerische SPD-Vorsitzende Florian Pronold, der an diesem Tag drei Regionalkonferenzen bestreiten wird, um Überzeugung bemüht. Und mit eingeflochten, dass er die in der SPD ungeliebte PKW-Maut für Ausländer, Ministerpräsident Horst Seehofers Lieblingsprojekt, für ohnehin nicht durchsetzbar hält. Schließlich stehe im Koalitionsvertrag, dass sie europarechtskonform sein müsse und keinen deutschen Autofahrer belasten dürfe. "Damit kann ich leben", sagt er. Denn wie das funktionieren soll, das habe er von der CSU immer noch nicht erfahren.

Pronold wirbt damit, dass die SPD Vertrauen zurückgewinnen könne, wenn sie die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Wahlversprechen nun auch umsetze. Andererseits werde kaum jemand Verständnis dafür haben, wenn die SPD sich der Regierungsverantwortung verweigere.

Keine Neuwahl provozieren

Das fürchtet auch Martin Sebald, 62, und seit 43 Jahren in der SPD. Zuerst sei er gegen die große Koalition gewesen, sagt er, aber in der Opposition habe die SPD keine Einflussmöglichkeit. Würden die Mitglieder nun den Vertrag ablehnen und damit eine Neuwahl provozieren, stünde der SPD eine Zerreißprobe bevor. "Dann würden wir für längere Zeit auf der Oppositionsbank sitzen", sagt er. Deswegen will er pragmatisch entscheiden. Und beim Mitgliederentscheid mit Ja stimmen. Mit dieser Argumentation steht er nicht alleine da. Auch Tobias Dollmeier will Ja ankreuzen, dafür hätte es die Regionalkonferenz eigentlich gar nicht gebraucht. Er war schon vorher überzeugt, weil der Koalitionsvertrag ein "hervorragendes Verhandlungsergebnis" der SPD sei.

Wer mit einem Wahlergebnis von 25 Prozent der Kanzlerin "so was aus dem Kreuz leiert", habe wahrlich gut gestritten. Überhaupt gehe es ihm nicht nur um das Land, sagt er, sondern "um einen Parteivorsitzenden, den ich für hochtalentiert halte". Der müsste zurücktreten, wenn die Mitglieder den Koalitionsvertrag ablehnen, das steht für alle fest. Das will Dollmeier, 33 und seit 18 Jahren in der SPD, keinesfalls. Er traut Sigmar Gabriel zu, die Sozialdemokraten bei der nächsten Bundestagswahl wieder an die 30 Prozent und darüber hinaus zu führen.

So weit denken längst nicht alle, und Personalfragen hat man sich ja in der SPD ohnehin verboten, bis das Ergebnis der Abstimmung vorliegt. Dass dies positiv ausfällt, davon ist Pronold überzeugt. Er habe mit einem hohen Diskussionsbedarf gerechnet, das schon, sagt er, aber seit das Papier vorliege, sei die Zustimmung enorm gewachsen. Die Wortmeldungen im Saal lassen ebenfalls den Eindruck entstehen. Viele wollen offenbar zustimmen - wenn auch nicht aus Leidenschaft.

Gegner gibt es trotzdem noch. Die bayerischen Jusos bleiben bei ihrer Ablehnung. Zwar seien einige wichtige Punkte erreicht worden, teilt der Juso-Vorsitzende Philipp Dees mit, als Grundlage für einen echten Politikwechsel tauge der Koalitionsvertrag aber nicht. Und auch Peter Meidenbauer bleibt beim Nein. Er hat sich alles angehört. Überzeugt hat es ihn nicht.

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