Missbrauch in der Kirche:Der nette Herr H.

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Er gilt als leutselig, doch der Priester hat noch eine andere Seite: Er ist pädophil. Doch kaum einer wusste das. Jetzt ist die Empörung groß - nicht nur in Bad Tölz.

Peter H. war ein netter Pfarrer. Da sind sich alle einig. In Grafing, in Garching, zuletzt in Bad Tölz - jenen oberbayerischen Gemeinden, in denen der nette Priester eingesetzt war und die erst im Nachhinein wie Stationen einer Flucht wirken. Thomas Huber, der als Teenager im Kirchenchor von Grafing sang, erzählt, Peter H. sei damals in den achtziger Jahren ein "netter, peppiger Kaplan" gewesen, der ihn und die anderen Jugendlichen schnell für sich gewonnen habe.

Eine "hervorragende Einweihungsfeier für den Skaterplatz" habe der Priester gehalten, lobt Josef Janker, der Bürgermeister von Bad Tölz. Und in Garching an der Alz, wo Peter H. 21 Jahre lang Dienst als Pfarrer tat, hängen noch die Bilder im Pfarrhaus, die ihn im Kreise seiner Ministranten zeigen. "Meine drei Kinder waren Ministranten bei ihm, sie verdanken ihm viel," sagt eine Mutter.

Keine Informationen

Gerade weil Peter H. ein Priester war, wie ihn sich viele Gläubige wünschen - fröhlich, nahbar -, sind die Menschen nun wie vor den Kopf geschlagen. Denn vor einer Woche hat die Süddeutsche Zeitung bekannt gemacht, dass der nette Priester pädophil ist und 1979 in Essen einen elfjährigen Jungen missbraucht hat. Mittlerweile weiß man, dass mindestens drei Familien damals über Übergriffe des Kaplans geklagt haben. 1986 wurde er wegen Kindesmissbrauchs verurteilt und dennoch wieder in der Gemeindearbeit eingesetzt - obwohl sein Therapeut eindringlich davor gewarnt hatte. Das Bistum hatte die Gemeinden auch nicht darüber informiert, was da auf sie zukommt.

Seit einer Woche nun wissen die Menschen in Garching, Grafing und Tölz davon, dass es nicht nur den netten Herrn H. gab. Sie suchen nun nach Zeichen, ob sie nicht etwas hätten bemerken müssen. Seit einer Woche weiß aber auch der betroffene Priester, dass sein bisheriges Leben zusammengebrochen ist. Er wird nie mehr in einer Gemeinde arbeiten können. Er wird keine Ministrantenfreizeiten mehr organisieren dürfen. Keine Jugendgottesdienste feiern. Für ihn ist sein Pfarrersleben zu Ende. Und wenn er doch wieder einmal irgendwo auftaucht, wird jeder wissen: Das ist doch der pädophile Priester von Tölz.

Der Priester ist suspendiert

Peter H. hat sich zurückgezogen. Er spricht mit niemandem. Das Erzbischöfliche Ordinariat, das seine Taten nach Jahrzehnten des Schweigens für ihn völlig überraschend öffentlich gemacht hat, sagt: "Wir überprüfen den Fall weiter." Für das Bistum ist er nicht abgeschlossen. Es hat den Priester suspendiert. Ob sich jemand um ihn kümmert, ein Psychologe, ein anderer Priester, man weiß es im Ordinariat nicht zu sagen.

Für Straftäter, die sich lange nichts zuschulden haben kommen lassen, gilt, dass ihre Taten nicht mehr in die Öffentlichkeit getragen werden dürfen. Doch noch ist nichts klar im Fall von Priester H. Verantwortliche beunruhigt, dass er trotz seiner Therapie immer wieder Situationen mit Jugendlichen gesucht hat. "Wenn jemand von seiner Prägung weiß und dennoch nicht den Kontakt zu Kindern und Jugendlichen meidet, dann ist das bedenklich", sagt ein Verantwortlicher.

Viele meinen aber auch, der Fall werde nur deshalb so ausführlich berichtet, weil der Bischof, der damals der Versetzung von Peter H. von Essen nach München zugestimmt hatte, der jetzige Papst Benedikt XVI ist. Peter H. gilt manchem als Beweis dafür, dass es der damalige Bischof Joseph Ratzinger und seine Leute mit der Aufsichtspflicht über pädophile Priester nicht so ernst genommen haben.

Immer wieder Jugendarbeit

Erst 2008 bekam Peter H. vom neuen Münchner Erzbischof Reinhard Marx die Auflage, sich aus der Kinder- und Jugendarbeit rauszuhalten. All die Jahre zuvor hatte er Ministranten um sich, Chorknaben, Kolpingkinder. "Ich versteh' es nicht, dass er Gottesdienste macht, wenn er sich doch von Kindern fernhalten soll", sagt eine junge Mutter in Tölz, die gerade ihre Kinder ins Auto setzt. Die Einweihung des Skaterplatzes war schön, sagt Bürgermeister Janker. Aber hier toben vor allem Jugendliche herum. Die Kirche hätte dafür sorgen müssen, dass H. nicht erneut in Versuchung kommt, sagt Janker. "Einen Bankräuber stell' ich auch nicht mehr an die Kasse, aber genau das haben sie gemacht."

Hätte nicht wenigstens der Stadtpfarrer etwas sagen müssen? Derjenige in Bad Tölz, Rupert Frania, verteidigt sich: Nur vage Hinweise auf Sittlichkeitsdelikte von Priester H. habe er aus München bekommen. Deswegen habe er den Mann ohne Bedenken bei Gottesdiensten eingesetzt. Aber dort gibt es immer Ministranten. "Ich fühle mich im Stich gelassen", sagt der Stadtpfarrer. Das Bistum sagt, Frania sei informiert gewesen.

Hätte er genau erfahren müssen, was vor mehr als 20 Jahren passiert ist? Damals lebte H. in Grafing, auch dort war er beliebt. Doch es gab auch die andere Seite. Der Kaplan schaute sich mit Jugendlichen in seiner Wohnung Pornofilme an und animierte sie zu onanieren. Dafür wurde er 1986 zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt und aus Grafing abgezogen, ohne dass die Gemeinde informiert wurde. "Man munkelte, dass da was gewesen ist", sagt ein Grafinger heute. Und ehemalige Ministranten erinnern sich, dass der Kaplan sich "irgendwie komisch verhalten hat".

Aufklärung gefordert

Dass sich H. damals vor Gericht verantworten musste, ist dem Hauptschulrektor zu verdanken. Trotz der Beliebtheit des Kaplans informierte er das Schulamt. Der heutige Pfarrer Hermann Schlicker will bei der Sonntagsmesse zum Fall Peter H. reden. Der Kaplan von einst solle sich öffentlich entschuldigen, Betroffene sollen sich melden. "Ich möchte aus erster Hand wissen, was geschehen ist", sagt der Pfarrer.

Nun erinnern sie sich auch in Garching. Gerüchte soll es gegeben haben, einmal habe jemand an die Kirchenmauer geschmiert: "Verschwinde, du schwule Sau!" Genaues weiß aber keiner. Am vergangenen Samstag hat Pfarrer Günter Eckl im Abendgottesdienst vorgelesen, was auf der Homepage des Bistums über die Vorwürfe gegen H. steht, der hier mehr als 20 Jahre lang Dienst tat. Den Namen von H. nannte Eckl nicht, "es waren so viele Kinder in der Kirche", sagt er. Der Gottesdienst sei Ort des Gebets, nicht der Anklage. "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet", sagt er noch.

Wilfried F. aus Essen, der als Elfjähriger von H. missbraucht worden war, hat gesehen, gelesen und gehört, was seine Erzählungen ausgelöst haben; dass das Bistum die Vorwürfe bestätigte, dass sogar der Sprecher des Papstes seinen Chef verteidigte. Er weiß, dass der Aufschrei nur so groß ist, weil in dieser Geschichte der Name Ratzinger vorkommt. Wilfried F. wusste bis vergangene Woche nicht, dass Ratzinger damals Erzbischof in München war. Und er sagt, es sei ihm egal. "Ich bin einfach nur erleichtert." 30 Jahre lang hatte er das Gefühl, dass ihm niemand glaubt. Nun hat er es schriftlich, dass seine Geschichte stimmt.

Autoren: Von K. Kampwerth, D. Stawski, K. Prummer, M. Drobinski, J. Pfund und A. Ramelsberger

© SZ vom 20.3.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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