Ellwangen und Kirchenasyl:Härte und Sensibilität des Rechtsstaats

Kirchenasyl für Flüchtlinge

Kirchenasyl in Hamburg: Im Jahr 2013 hatten afrikanische Flüchtlinge in der St.-Pauli-Kirche ihre Schlafplätze aufgeschlagen.

(Foto: dpa)

Das Kirchenasyl ist richtig und wichtig. Massive Rechtsdurchsetzung wie in Ellwangen ist auch richtig und wichtig. Der Rechtsstaat darf, soll und muss demonstrieren, dass er das Heft in der Hand hat. Dazu gehört aber auch die Korrektur von Fehlern.

Kommentar von Heribert Prantl

Der Rechtsstaat hat verschiedene Gesichter. Einmal hat er eine Sturmhaube auf wie in Ellwangen; dann springt er mit Hunderten von Polizisten aus den Transportern und umzingelt und durchsucht eine Flüchtlingsunterkunft, um einen Flüchtling abzuschieben. So war das am frühen Morgen des Donnerstag in Ellwangen. Ein andermal hat der Rechtsstaat die Richterrobe an; er wägt lange hin und her und sagt dann, dass ein Flüchtling, der sich in Freising ins Kirchenasyl begab, sich nicht strafbar gemacht hat. So geschehen am Donnerstagvormittag am Oberlandesgericht München. Der Flüchtling hat sich nicht des unerlaubten Aufenthalts schuldig gemacht, heißt das. Und in der Folge: auch der Pfarrer und seine Helferinnen und Helfer, die das Kirchenasyl gewährt haben, können nicht wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt bestraft werden.

Das ist ein gutes Urteil. Ob die spektakuläre Aktion in Ellwangen auch eine gute Aktion war, ist auf der Basis der vorliegenden Erkenntnisse schwer zu beurteilen. War das eine Aktion, die das Recht durchsetzen sollte, und war sie als Rechtsdurchsetzungsaktion verhältnismäßig? Oder sollte der Großeinsatz vor allem Angst und Schrecken bei den Flüchtlingen verbreiten? Ein Einsatz, der auch eine staatliche Machtdemonstration ist, ist nicht per se unverhältnismäßig. Der Rechtsstaat darf, soll und muss mit Nachdruck und auch mit Sturmhaube demonstrieren, dass er das Heft in der Hand hat und auch in der Hand behalten will. Er darf demonstrieren, dass er sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lässt. Eine solche Demonstration kann sehr richtig, sehr wichtig und dringlich geboten sein. Ein solcher Einsatz für das Recht muss freilich das Recht wahren; man darf das Recht nicht verteidigen, in dem man es bricht.

Kirchenasyl ist kein rechtsfreier Raum, es ist ein Freiraum des Rechts

Dem nächtlichen und frühmorgendlichen Großeinsatz der Polizei in Ellwangen war ein gescheiterter Versuch der Festnahme und Abschiebung eines 23-jährigen Flüchtlings aus Togo am Montag vorausgegangen. 150 Flüchtlinge, so schildert es die Polizei, hatten Streifenwagen attackiert und Polizisten bedrängt. Man wird eine solche Randale gewiss nicht als zivilen Ungehorsam einordnen können, eine solche Randale liegt nahe am Landfriedensbruch. Auch Fehler im Umgang mit den Flüchtlingen können das nicht rechtfertigen. Wenn die Polizei bei der Erläuterung des Ellwanger Großeinsatzes erklärt, dass sie das Entstehen von Gewaltstrukturen nicht dulden könne, ist das richtig. Auch die schärfsten Kritiker der derzeitigen Asylpolitik, die das gegenwärtig praktizierte Abschiebesystem mit all seinen Inhumanitäten als strukturelle staatliche Gewalt betrachten, müssen jeder Randale und jedem gewalttätigen Versuch entgegentreten, staatliche Maßnahmen zu verhindern.

Das Kirchenasyl ist etwas ganz anderes. Es ist kein gewalttätiger Rechtsbruch wie die Randale der Flüchtlinge in Ellwangen. Es ist, wenn man das Wort Rechtsbruch überhaupt gebrauchen will, ein allenfalls ein sanfter, ein strikt geregelter Rechtsbruch; denn es hat nach langen Gesprächen zwischen Kirche und Staat feste Regeln. Kirchengemeinden wagen in Einzelfällen diesen sanften und geregelten Rechtsbruch - nicht um das Recht zu missachten, sondern ihm auf die Sprünge zu helfen. Es geht dem Kirchenasyl darum, in Härtefällen in Zusammenarbeit mit dem Staat und seinen Ausländer- und Asylbehörden eine Überprüfung der Abschiebungsentscheidung zu erreichen. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx, der das christliche Engagement seiner Kirchengemeinden für Flüchtlings schätzt, weist gerne darauf hin, "dass während eines solchen Kirchenasyls fast immer eine bessere und rechtsstaatlich einwandfreie Lösung gefunden werden kann".

Kirchenasyl ist also kein rechtsfreier Raum, wie es auch Flüchtlingsunterkünfte nicht sein dürfen, es ist ein Freiraum des Rechts - durch Zeitaufschub bei der Abschiebung; es ist ein Zeitaufschub, in dem rechtliche Fehler geheilt werden können. Kirchenasyl ist also so etwas wie Asyl für die Gerechtigkeit des Rechts. Die Kirchengemeinden agieren absolut gewaltlos. Sie melden den Flüchtling, den sie betreuen, sofort dem Bundesamt für Migration und der Ausländerbehörde - mit vollständiger Adressenangabe und der Bitte, den Fall noch einmal rechtlich zu überprüfen. Das und nicht mehr ist das Kirchenasyl. Es geht der Kirche darum, dass ganz besondere Härtefällte noch einmal angeschaut werden. Vor diesem, in achtzig bis neunzig Prozent der Fälle erfolgreichem Engagement kann auch der Bundesinnenminister seinen Hut ziehen - und dankbar sein dafür, dass Fehler des Rechtsstaats korrigiert werden können. Das Wissen um seine Fehlbarkeit macht ihn ja zum Rechtsstaat.

Das Oberlandesgericht München hat festgestellt, dass das Kirchenasyl die Behörden rechtlich nicht hindert, einen Flüchtling abzuschieben. Aber wenn die Behörden das aufgrund einer Absprache zwischen Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nicht tun, kann und darf der Staat den Flüchtling auch nicht als "untergetaucht" behandeln. Er hat dann quasi eine Duldung. Es gibt eine solche Vereinbarung zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche einerseits und dem Bamf andererseits. Es datiert vom 24. Februar 2015 - und darin wurde formuliert, dass das Kirchenasyl als christliche Tradition zu respektieren und von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen sein.

Deshalb haben das Amtsgericht Freising und - ihm folgend - das Oberlandesgericht München entschieden, dass der Flüchtling im Kirchenasyl nicht bestraft werden darf. Man kann nicht einerseits auf Vollstreckungsmaßnahmen gegen das Kirchenasyl verzichten, aber dafür andererseits den Flüchtling im Kirchenasyl, den Pfarrer und die Gemeindemitglieder bestrafen. Das wäre ein eklatanter rechtlicher Wertungswiderspruch. Das Oberlandesgericht hat den Wertungswiderspruch mit dem Freispruch des Flüchtlings aufgelöst. Das ist gut so.

Ein Rechtsstaat braucht beides - er braucht Härte und er braucht Sensibilität. Ellwangen und München stehen also nicht gegeneinander. Sie stehen nebeneinander, als die Facetten des Rechtsstaats.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: