Medizinstudium in Nürnberg:Ärzte ohne Grenzen

Nordklinikum Nürnberg

Lernen hinter gelben Mauern: Hier, im "Bau 38", soll der umstrittene neue Medizinstudiengang angesiedelt werden.

(Foto: Peter Roggenthin)

Deutsche Hochschulen sind entsetzt: Eine Salzburger Privatuni richtet am Nürnberger Stadtklinikum einen Medizinstudiengang nach österreichischem Recht ein - ohne NC, dafür mit Doktortitel. Kosten: 13.500 Euro im Jahr. Ist das seriös?

Von Sebastian Krass

Die Werbemaschine läuft inzwischen. Erste Infotermine gab es im Februar, für den März sind zwei weitere angesetzt. Und im August soll es in Nürnberg losgehen mit diesem neuen und in Deutschland einmaligen Projekt: einem Studiengang für Medizin nach österreichischem Recht. 50 Plätze gibt es pro Jahr, direkte Bewerbung bei der Uni ohne die Hürde Numerus clausus, in Deutschland anerkannter Abschluss nach fünf Jahren, direkt mit Doktortitel. Dafür müssen Studenten - wenn sie kein Stipendium haben - 13 500 Euro pro Jahr bezahlen. Doch parallel zur Werbemaschine formiert sich erbitterter Widerstand. Er kommt aus den Medizin-Fakultäten der deutschen Unis.

Anbieter des neuen Studiengangs ist die Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg (PMU), die an ihrem Stammsitz bereits seit 2003 Ärzte ausbildet und die nun eine Filiale am Städtischen Klinikum Nürnberg eröffnet. Möglich macht dies die im EU-Recht verankerte Niederlassungsfreiheit. Die Aufsicht des Studiengangs liegt in Österreich, das Wissenschaftsministerium in Wien hat den Studiengang im Februar offiziell genehmigt. Das bayerische Wissenschaftsministerium ist in diesem Fall nur Zaungast.

Man wolle "neue Wege in der medizinischen Ausbildung beschreiten", erklärt die PMU. Das Diplomstudium der Humanmedizin, dessen Absolventen automatisch den Titel "Dr. med. univ." bekommen, zeichne sich durch "das Lernen in Kleingruppen" und einen "hohen Praxisbezug von Anfang an" aus. Es liege "bereits jetzt eine hohe Anzahl an Bewerbungen" vor.

Volker Hildebrandt ist Generalsekretär des Medizinischen Fakultätentags und einer der Motoren des Widerstands. "Wir lehnen den PMU-Studiengang in Nürnberg rundweg ab." Mit der Genehmigung in Österreich seien "deutsche Vorgaben umgangen worden". Hauptkritikpunkt ist, dass das städtische Klinikum Nürnberg kein Uni-Klinikum ist. Nach der Bundesärzteordnung aber muss ein Medizinstudium an einer "wissenschaftlichen Hochschule" stattfinden. Eine EU-Richtlinie gibt vor, die "ärztliche Grundausbildung" müsse "an einer Universität oder unter Aufsicht einer Universität" stattfinden. Das sei in diesem Falle nicht gegeben, sagt Hildebrandt. "Die Aufsicht durch die private Universität aus Salzburg ist nicht ausreichend."

"Ich bin entsetzt"

Jürgen Schüttler, Dekan der medizinischen Fakultät an der Universität Erlangen-Nürnberg, sagt: "Ich bin entsetzt. Dreh- und Angelpunkt der Ärzteausbildung in Deutschland ist, dass sie forschungsbasiert ist, dass die Studenten ganz nah am wissenschaftlichen Fortschritt ausgebildet werden." Das könnten nur Unikliniken mit ihrer Grundlagenforschung leisten. Am Städtischen Klinikum in Nürnberg gebe es "allenfalls klinische Studien".

Die PMU wehrt sich gegen den Vorwurf der mangelnden Wissenschaftlichkeit. Die Lehre werde großteils "durch das Stammpersonal des Klinikums Nürnberg" abgedeckt. Auch dort gibt es Professoren. Doch sie sind in der Regel keine Uni-Lehrstuhlinhaber, sondern Honorarprofessoren oder außerplanmäßige Professoren. Auch freiberufliche Ärzte sollen in Nürnberg Kurse geben. Dafür seien "die allgemeinen Regelwerke und das darauf aufbauende Qualitätsmanagement der PMU auch in Nürnberg verbindlich".

Im Übrigen gebe es am Stadtklinikum bereits ein "etabliertes Forschungsumfeld". Diese Aktivitäten sollten in Kooperation mit der PMU ausgebaut werden. Auch Grundlagenforschung sei "möglich und gewünscht". In Salzburg gibt es die Grundlagenforschung bereits. So unterstützt Red-Bull-Gründer Dieter Mateschitz ein Forschungszentrum zu Querschnittslähmung mit 70 Millionen Euro.

Dozenten von der FH

Ein strukturelles Problem in Nürnberg aber ist, dass es dort bisher keine sogenannte Vorklinik gibt, also die Bereiche, die beim deutschen Medizinstudium vor dem Physikum unterrichtet werden: etwa Anatomie, Physiologie und Naturwissenschaften. Es gibt auch in Hamburg einen privaten Medizinstudiengang. Dort absolvieren die Studenten die vorklinischen Semester an einer Universität in Budapest.

Die PMU behilft sich in Nürnberg anders. Sie gründet Filialabteilungen der Salzburger Uni. So sollen für Anatomie und Physiologie Sparten mit je einem neu berufenen Universitätsprofessor und vier Angestellten geschaffen werden. Für den Unterricht in Biochemie, Physik oder Biologie engagiert die PMU "fachlich ausgewiesene" Lehrkräfte von der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm, die früher als Fachhochschule (FH) firmierte. Sie deckten etwa sieben Prozent des Curriculums ab.

Für "klinische Bezüge" in diesen Veranstaltungen ziehe man Ärzte aus dem Stadtklinikum hinzu. Diese Konstruktion empört die Unis besonders. "Die Vorklinik ist die Forschungsstütze, da werden die wissenschaftlichen Grundlagen gelegt, das kann man nicht von einer FH übernehmen", kritisiert Hildebrandt vom Fakultätentag.

Und was sagt das bayerische Wissenschaftsministerium? Es hält größtmögliche Distanz. Es sei wichtig, deutlich zu machen, dass das "Sitzland der Hochschule", also Österreich, die "Verantwortung für die Erfüllung von Qualitätsstandards trägt", erklärt ein Sprecher. Ob der Studiengang gleichwertig mit der Ärzteausbildung an bayerischen Unis sei, das untersuche man deshalb nicht.

Man könne "ausschließlich formal prüfen, ob die Hochschule im Sitzland staatlich anerkannt ist und ob die in Bayern angebotenen Studiengänge von der staatlichen Anerkennung erfasst sind". Das ist der Fall. Deshalb habe die PMU einen Anspruch auf den nötigen Feststellungsbescheid durch die Staatsregierung, man werde ihn "in nächster Zeit" erteilen.

Nur ein "Berufsdoktorat"

Nun ist Österreich kein Land, das für schlecht ausgebildete Ärzte berüchtigt wäre. Und die 250 Absolventen, die die PMU nach eigenen Angaben bisher hatte, haben sich geräuschlos in die Berufswelt eingefügt. Ist die Aufregung der deutschen Unis künstlich? Wollen sie Konkurrenz wegbeißen? Beileibe nicht, sagt Schüttler, der Medizin-Dekan der Uni Erlangen-Nürnberg, "wir stellen uns gern dem Wettbewerb". Aber man störe sich daran, dass "auf deutschem Boden eine Ausbildung stattfindet, die sich außerhalb der Kontrolle der deutschen Behörden bewegt".

Doch das ist ein Stück gelebte EU. Ob die Zulassung des Studiengangs tatsächlich gegen EU-Recht verstößt, wie der Fakultätentag sagt, ließe sich wohl nur mit einem langwierigen Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Wien klären. Das aber ist nicht in Sicht.

Und so werden die Absolventen der PMU in Nürnberg mit ihrem österreichischen Abschluss auch in Deutschland tätig sein können. Beim Doktortitel aber müssen sie aufpassen: Dabei handelt es sich nur um ein sogenanntes "Berufsdoktorat". Als "Dr. med. univ." dürfen die Ärzte ihn in Deutschland führen, aber auch nur als solchen, erklärt das bayerische Wissenschaftsministerium. "Eine privilegierte Gradführung als ,Dr.' ist nicht möglich."

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