Medizinermangel:Pensionierte Ärzte sollen Versorgung retten

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  • Die Versorgung durch den medizinischen Bereitschaftsdienst ist gefährdet, deswegen sollen jetzt pensionierte Ärzte einspringen.
  • Die Kassenärztlichen Vereinigung hat 50 000 bayerische Mediziner angeschrieben mit der Bitte, sich freiwillig der Maßnahme anzuschließen.
  • Viele ältere Ärzte fühlen sich der Aufgabe jedoch nicht mehr gewachsen. Sie warnen, die Maßnahme könnte zu Lasten der Patienten gehen.

Von Markus Wolf, München

Josef Seidl ist ein erfahrener Mediziner, 32 Jahre hat er als Landarzt in Langenneufnach im Landkreis Augsburg gearbeitet. Das ist allerdings jetzt lange her, denn seit 18 Jahren ist Seidl im Ruhestand. Jetzt soll der 78-Jährige reaktiviert werden. Vor ein paar Tagen hat er einen Brief von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) bekommen. Ob er sich nicht vorstellen könne, hieß es da, auf freiwilliger Basis den Ärztlichen Bereitschaftsdienst zu unterstützen.

Etwa 50 000 bayerische Ärzte hatten das Schreiben im Briefkasten, nicht nur pensionierte Mediziner, sondern zum Beispiel auch Privatärzte oder Ärztinnen im Mutterschutz. Die KVB versucht mit dieser Maßnahme einen Pool an freiwilligen Ärzten aufzubauen, durch den der Ärztliche Bereitschaftsdienst gestärkt werden soll. Grund dafür ist, dass es in Bayern 44 sogenannte Brennpunkte gibt, in denen die Versorgung durch den Bereitschaftsdienst nur noch "mit größter Mühe" sicherzustellen ist, wie eine KVB-Sprecherin mitteilt. Durch das sogenannte Poolarzt-Modell soll dem Ärztemangel entgegengewirkt werden, vor allem in den ländlichen Regionen.

"Das geht letztlich auf Kosten der Patienten"

Nicht alle halten das für eine gute Maßnahme. Josef Seidls Meinung zum Poolarzt-Modell ist klar: "Das ist ein Armutszeugnis." Ein Arzt, der nicht durchgehend tätig sei, riskiere in einem so verantwortungsvollen Beruf zu viel, meint Seidl. Natürlich könne er nicht für alle sprechen. Er selbst aber traue sich den Bereitschaftsdienst in seinem Alter nicht mehr zu: "Das geht ja letztlich auf Kosten der Gesundheit, auf Kosten der Patienten", sagt Seidl.

Die KVB sieht dieses Problem nicht. Denn zunächst basiere das Poolarzt-Modell auf Freiwilligkeit, wie die Sprecherin betont. Wer sich nicht geeignet fühle, müsse nicht daran teilnehmen. Außerdem unterliege jeder Arzt, der Bereitschaftsdienste mache, der Fortbildungspflicht. Also auch bereits pensionierte Ärzte. "Wer sich zum Bereitschaftsdienst bereit erklärt, muss auch auf dem aktuellsten Stand sein", sagt die Sprecherin. Die "individuellen Voraussetzungen und Qualifikationen" der Bewerber würden einzeln von der KVB überprüft.

Das Problem des Ärztemangels wird durch das Pool-Modell nicht gelöst

Seidl überzeugt das nicht. Ihm geht es dabei auch um grundsätzliche Probleme. Das Poolarzt-Modell könne bestenfalls eine "Notlösung" für den Ärztemangel sein. Ähnlich sieht das sein Schwiegersohn Wolfgang Eber. Der 53-jährige Landarzt hat Seidls Praxis in Langenneufnach nach dessen Pensionierung übernommen. "Die Idee eines Ärztepools ist prinzipiell nicht falsch", sagt Eber. "Wenn jemand noch voll im Saft steht und das leisten kann: warum nicht?"

Problematisch sieht er aber zum Beispiel die Verschreibung von Medikamenten. Jemand, der 20 oder 30 Jahre aus dem Dienst sei, habe da nicht mehr den Überblick über die neuesten Entwicklungen. Auch durch Fortbildungen ließe sich dieses Problem nicht beheben. Aus eigener Erfahrung könne er sagen, dass Kollegen sich nach einer Fortbildung oftmals nicht für den Bereitschaftsdienst gewappnet fühlen. Und wie sein Schwiegervater sieht auch Eber das Problem, dass das Poolarzt-Modell keine langfristige Lösung sei. "Der Ärztemangel ist da. Wir können uns die Ärzte nicht einfach selber backen", sagt er. Dem müsse insgesamt entgegengewirkt werden. Zum Beispiel könne man mehr Jugendliche zum Medizinstudium zulassen.

Nur eine kleine Minderheit ist bereit, Bereitschaftsdienst zu schieben

Indes sieht auch die KVB das Poolarzt-Modell nicht als Dauerlösung. Vielmehr sei der Ärztepool eine von mehreren Maßnahmen, um die dringlichen Probleme im Bereitschaftsdienst zu bekämpfen.

Von den 50 000 kontaktierten Ärzten haben sich bisher etwa 800 bereit erklärt, Bereitschaftsdienst zu schieben. Wie viele von ihnen bereits pensioniert sind, kann noch nicht ausgewertet werden. Allerdings geht die KVB davon aus, dass es sich bei den Rückmeldungen "größtenteils um Klinikärzte beziehungsweise aktuell berufstätige Ärzte" handelt, sagte die Sprecherin.

Der Bereitschaftsdienst ist außerhalb der Sprechstunden des Hausarztes unter der Nummer 116 117 erreichbar. Er ist zuständig für nicht lebensbedrohliche Beschwerden, bei denen notfalls eine Aufschiebung bis zum Arztbesuch am nächsten Arbeitstag möglich ist. In lebensbedrohlichen Fällen muss der Notarzt unter 112 verständigt werden.

© SZ vom 18.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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