Medaillen:Bayern zeichnet Lebensretter aus

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  • Bayern zeichnet 65 Menschen mit der Bayerischen Rettungsmedaille aus, weil sie ihr eigenes Leben riskiert haben, um anderen zu helfen.
  • 64 weitere Helfer erhalten für ihr beherztes Eingreifen die Christophorus-Medaille. Der Jüngste wählte mit vier Jahren die richtige Notrufnummer.

Von Christian Gschwendtner und Dietrich Mittler, München

Günter Brehmer und seine Frau Irene haben immer noch die Handwerker im Haus, um all die Schäden zu beseitigen, die das verheerende Hochwasser im niederbayerischen Markt Triftern hinterlassen hat. Sieben Menschen ließen dort Anfang Juni 2016 ihr Leben, als der sonst harmlos dahinfließende Altbach die Marktgemeinde innerhalb kürzester Zeit überflutete.

Vermutlich wären mehr Tote zu beklagen, hätten nicht Günter Brehmer und der syrische Asylbewerber Abdulrahman Alsakhni ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben gehandelt. Dafür werden beide an diesem Mittwoch mit weiteren 63 Lebensrettern aus ganz Bayern von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit der Bayerischen Rettungsmedaille geehrt. Diese bekommen nur Menschen, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens andere aus höchster Not gerettet haben.

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Günter Brehmer, der mit seiner Frau im Trifterner Ortsteil Anzenkirchen lebt, hatte an diesem Schicksalstag im Juni 2016 bemerkt, wie seine Nachbarn - ein älteres Ehepaar - in den Fluten um ihr Leben kämpften. "Der Nachbar hatte sich an eine Laterne geklammert, seine Frau hielt sich an einem Kleiderlüfter fest", erinnert sich der damals 64-Jährige. Brehmer hatte zum Glück ein Seil im Haus, mit dem er sich absichern konnte.

Beherzt sprang er ins Wasser, schwamm durch die reißende Strömung zur Nachbarin hinüber, konnte sie retten. Dann ließen seine Kräfte nach, er hatte zu viel Wasser geschluckt. Das war der Augenblick, in dem der zufällig anwesende Asylbewerber Abdulrahman Alsakhni einsprang. "Er hat mir später erzählt, dass nur wenige Syrer schwimmen können. Er hingegen war früher als Mechaniker auf einen großen Frachtschiff tätig - und deshalb konnte er schwimmen."

Alsakhni kämpfte sich zu dem alten Mann am Laternenpfahl durch, band ihm ein Seil um den Leib. "Und dann haben wir den Nachbarn zusammen rausgezogen", sagt Brehmer. Beide wissen, dass ihr Einsatz anders hätte ausgehen können. "Durch die Fluten sind ganze Bäume an uns vorbeigeschossen. Hätten die uns am Kopf getroffen, wären wir vermutlich untergegangen", sagt Brehmer. Doch er und der Mann aus Syrien kamen wie durch ein Wunder unbeschadet davon.

Einige Retter hatten nicht so viel Glück, so etwa die Altenpflegerin Heike Buch aus Creußen im Landkreis Bayreuth und ihr Kollege Jens-Uwe Mielsch aus Bayreuth. Beide hatten am 21. Januar 2016 während des Nachtdienstes in einer Senioreneinrichtung plötzlich bemerkt, dass es in einem der Zimmer brannte. Trotz der starken Rauchentwicklung holten sie die Heimbewohner aus dem Haus. 102 Menschen kamen dadurch ohne körperliche Schäden davon.

Nicht so Heike Buch und Jens-Uwe Mielsch selbst. Die mittlerweile 46-Jährige erlitt beim Herauswuchten der alten Menschen einen Bandscheibenvorfall, ihr Kollege verlor durch die Raucheinwirkung weitgehend seine Stimme. Heike Buch erinnert sich nur ungern an diese Brandnacht: "Wir haben die Leute teilweise auf ihren Matratzen in den Schnee rausgezogen und später auch wieder reingetragen", sagt sie. Andere hätten ihnen dabei nur zugeschaut. "Wenn die Verleihung der Medaille rum ist, ist das für mich beendet", sagt Heike Buch.

Es sind indes nicht nur die Retter, bei denen der Einsatz Spuren hinterlässt. Gabi Birndorfer aus Hitzenau, Gemeinde Kirchdorf in Niederbayern, hat heute noch ein mulmiges Gefühl, wenn sie an die Rettungsaktion ihres Mannes und ihres Sohnes denkt. Thomas und Patrick Birndorfer haben im vergangenen Juni während der großen Flutkatastrophe in Simbach einen zehnjährigen Buben aus den Wassermassen gerettet - nicht einfach so: Sie mussten dazu in ein umflutetes Gebäude eindringen, wo sich der Bub in eine fensterlose Toilette geflüchtet hatte.

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"Zunächst wussten beide gar nicht, ob der Bub noch lebt. Dann entdeckten sie ihn in der Toilette, wo er, auf dem Waschbecken stehend, zum Glück eine Luftblase gefunden hatte." Mit dem Brecheisen konnten sich seine Retter schließlich gegen den Wasserdruck stemmen und die Tür der Toilette aufhebeln. Damit das gelang, mussten beide Männer zuvor durch einen Türstock tauchen. "Wenn man in der Situation steckt, denkt man darüber gar nicht nach", sagt Thomas Birndorfer.

Wenig Zeit zum Nachdenken blieb auch dem Polizisten Daniel Martin aus dem schwäbischen Obermaiselstein. Er war am 21. März 2014 in einem Regionalzug unterwegs, als er Augenzeuge wurde, wie einem Bundespolizisten die Dienstwaffe entwendet wurde. Martin, der selbst gar nicht im Dienst war, griff ein. Im Laufe des Geschehens richtete schließlich einer der beiden Täter die Waffe auf ihn, hatte aber nicht mit der Treffsicherheit des Polizisten gerechnet. Martin machte mit einem einzigen Schuss aus seiner Dienstwaffe die Pistole des Täters unbrauchbar.

Rainer Kolbeck aus Regensburg wurde ebenfalls mit einer völlig unerwarteten Situation konfrontiert. Am 1. Mai 2016 kam er gerade an einer Eisenbahnbrücke in Regensburg vorbei, als er Zeuge einer gespenstischen Szene wurde. Eine 14-Jährige wollte von der Brücke springen, doch zwei vorbeikommende Frauen konnten sie im letzten Augenblick festhalten. Kolbeck eilte hinzu, überstieg das Brückengeländer und fixierte das Mädchen, bis dieses von Einsatzkräften über das Geländer gezogen werden konnte.

Geistesgegenwart bewies auch Johanna Weber aus dem unterfränkischen Theilheim. Im Juli vergangenen Jahres spielte die damals Achtjährige mit ihrer Freundin Leonie im Spaßbecken des Freibads Kitzingen. Die beiden schwammen im Bereich, in dem sie nicht mehr stehen konnten, als Johanna plötzlich bemerkte, dass sich bei ihrer Freundin Leonie etwas veränderte. "Ihre Augen waren wie weggeklappt", so erzählte sie es später ihrer Mutter. Die Freundin hatte einen Krampfanfall bekommen und wurde am Ende gar bewusstlos.

Johanna Weber rettete ihre Freundin im Freibad, als diese einen Krampfanfall bekam. (Foto: Privat)

Johanna schrie um Hilfe - aber niemand reagierte, obwohl das Freibad zu diesem Zeitpunkt gut besucht war. Erst als Johanna ihre Freundin mit aller Kraft zur Ausstiegstreppe zog und erneut schrie: "Meine Freundin muss sterben, und niemand hilft mir", wurde eine Frau auf die beiden Grundschülerinnen aufmerksam. Sie verständigte den Bademeister. Leonie kam in die Notaufnahme - und überlebte.

Bayerns jüngster Retter ist indes der zum Zeitpunkt seiner Rettungsaktion vierjährige Tobias Neuner aus Saulgrub im Kreis Garmisch-Partenkirchen. Er war am 24. Oktober 2016 allein mit der Oma zu Hause, als diese plötzlich umfiel und regungslos liegen blieb. Da erinnerte sich Tobias an sein Kinderbuch über die Feuerwehr und den Rettungsdienst. Er holte es und wählte auf dem Telefon die im Buch abgebildete Notrufnummer 112.

Ein Rettungshubschrauber brachte die Oma nach Murnau ins Krankenhaus. Dort starb die sie fünf Tage später. Tobias' Mutter sagt jedoch: "Diese Tage waren ein Riesengeschenk. Dadurch konnten wir Abschied von ihr nehmen." Tobias Neuner wird dafür nun genau wie weitere 63 Menschen mit der Christophorus-Medaille für Rettungstaten unter besonders schwierigen Umständen geehrt.

Die Christophorus-Medaille bekommt auch das Ehepaar Liane und Walter Fürst aus Würzburg. Im Alter von jeweils 73 Jahren bewahrten sie einen Fremden vor einem furchbaren Ende und sind somit Bayerns älteste Retter. Das Paar hatte Anfang April vergangenen Jahres einen Mann beobachtet, der mit zwei Benzinkanistern hantierte.

Während Liane Fürst die Polizei verständigte, verwickelte ihr Gatte den Mann in ein Gespräch, in dessen Verlauf er die bereitliegenden Streichhölzer an sich nahm. Schließlich konnte er den Verzweifelten gar dazu bringen, seine mit Benzin getränkte Kleidung abzulegen.

Angesichts solcher und ähnlicher Beweise von Mut, Geistesgegenwart und Nächstenliebe ist Ministerpräsident Seehofer voll des Lobes für die Lebensretter. Ihnen sei es zu verdanken, dass Eltern, Kinder, Großeltern und Partner ihre geliebten Mitmenschen wieder in die Arme schließen konnten.

Eine der Rettungsmedaillen ist für den ehrenamtlichen Rettungssanitäter Werner Jablonsky aus dem oberbayerischen Bad Heilbrunn bestimmt, über den es in einer internen Bewertung des Bayerischen Roten Kreuzes heißt: "Ist immer da, wenn man ihn braucht." Jablonsky kann diese Auszeichnung aber nicht mehr selbst erhalten. Er kam Ende März 2015 bei einem Rettungseinsatz auf der A 95 ums Leben. Seine Witwe wird nun die Medaille für ihn in Empfang nehmen.

© SZ vom 24.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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