Männermangel an Bayerns Grundschulen:Klassenzimmer, Frauenzimmer

Kleinste Schule in Baden-Württemberg

Wen ein Kind in der Grundschule ermahnt wird, ist es meist ein Junge.

(Foto: dpa)

Lieber toben statt Mandalas malen: Jungen tun sich im Unterricht schwerer als Mädchen. Oder müsste es heißen: Die Schule tut sich schwerer mit den Jungen? Bayerns Grundschulen sind eine nahezu männerfreie Zone - und die Regeln der Lehrerinnen liegen oftmals den Mädchen besser.

Von Tina Baier und Martina Scherf

Die Klasse 3d der Grundschule Poing bei München übt Kopfrechnen. "Was ergibt 630 plus 290?" will die Lehrerin Manuela Wedlich wissen. Alle Kinder rechnen konzentriert, wer das Ergebnis weiß, schreibt es auf eine kleine Tafel und hält sie hoch. Plötzlich fangen ein paar Kinder an zu lachen: "Roman macht wieder Quatsch", sagt einer (Namen aller Kinder geändert).

Roman hat sein Ergebnis so winzig auf die Tafel geschrieben, dass Manuela Wedlich schon eine Lupe bräuchte, um es zu entziffern. Das macht er noch fünfmal. Beim sechsten Mal platzt Wedlich der Kragen: "Wenn du das noch einmal machst, fliegst du raus", sagt sie. "Roman ist es wichtiger, dass die anderen lachen", erklärt sie später. "Dafür nimmt er in Kauf, dass ich schimpfe."

Neun Jungen und neun Mädchen sitzen in Manuela Wedlichs Klasse. Es ist ein ganz normaler Vormittag. Die Kinder arbeiten gut mit, die Atmosphäre ist entspannt. Die Lehrerin lobt viel und muss nur selten schimpfen, doch wenn sie jemanden ermahnt, ist es fast immer ein Bub.

"Mädchen fällt die Schule oft leichter als Jungen", steht im gerade erschienenen Bildungsbericht für Bayern. Warum ist das so? "Jungen sind mit einem anderen biologischen Programm ausgestattet als Mädchen", sagt Clemens Schlegel, Schulpädagoge an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Letztlich geht es um Konkurrenz in der Partnerwahl, also um Balzverhalten. Und das üben Jungs, indem sie laut sind und indem sie auffallen." Verhaltensweisen, die in der Schule stören.

Martin tut das auf andere Weise als Roman: Als die 3d für die Weihnachtsfeier probt, zu der auch die Eltern eingeladen sind, schmettert er das Lied vom Rentier Rudi so laut, dass seine Mitschüler fast wie ein Hintergrundchor für seinen Solistenauftritt wirken. Die Mädchen sind fast gar nicht mehr zu hören.

Sie sind laut Schlegel auf Ausdauer und Genauigkeit ausgerichtet, Eigenschaften, die in der Schule sehr erwünscht sind.

Leonie hat sich sehr viel Mühe mit ihrer Hausaufgabe in Mathematik gegeben. Die Kinder üben das schriftliche Addieren, und Leonie hat alle Hunderter und Zehner in verschiedenen Farben hervorgehoben. Sie bekommt dafür ein dickes Lob von der Lehrerin. Auch Buben werden an diesem Vormittag in der 3d viel gelobt, Roman bekommt sogar Applaus, als er das Gedicht "Tannengeflüster" von James Krüss fehlerfrei und gut betont vorträgt.

Und es gibt auch Mädchen, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Trotzdem bekommt man schon in dieser kurzen Zeit den Eindruck, dass es stimmt: Buben tun sich in der Schule tatsächlich schwerer als Mädchen. Oder müsste es heißen, die Schule tut sich schwer mit den Buben? Und welche Rolle spielt es, dass an den bayerischen Grundschulen fast ausschließlich Frauen unterrichten?

"Es gibt bislang keine wissenschaftliche Studie, die belegen würde, dass Jungen durch den Männermangel an Grundschulen benachteiligt werden", sagt Edgar Mayer, der sich an der Katholischen Universität Eichstätt mit der Frage beschäftigt, wie Lehrer selbst die Unterschiede wahrnehmen. Fest stehe aber, dass Lehrer mit Buben anders umgehen als Lehrerinnen.

Wenn Unterschiede verschwinden

Mayer unterrichtet selbst 15 Stunden die Woche an der Grundschule in Hitzhofen bei Ingolstadt, und das Erste, was ihm auffällt, wenn er die Klassenzimmer seiner Kolleginnen betritt, sind die vielen Blümchen und Sternchen, die liebevolle Ordnung der kleinen Kunstwerke, alles an seinem Platz, hübsch dekoriert wie im Geschenkeladen. "Männer denken da doch eher funktional", sagt er, "und Jungs neigen dazu, solche Ordnung nicht sonderlich zu schätzen."

Sie würden lieber toben, statt Mandalas zu malen, lieber mit dem Experimentierkasten hantieren, als Weihnachtsschmuck zu basteln. In der Praxis erlebt der Pädagoge, was auch Gespräche mit Teilnehmern seiner Forschungsgruppen bestätigen: Mit einem hohen Bubenanteil tun sich Lehrerinnen schwerer als Lehrer. Klassen, die als schwierig gelten, empfindet er selbst oft gar nicht so: "Es sind halt einfach Jungs", sagt er. Ihnen falle es eben nicht so leicht, immer funktionieren zu müssen, in der Schule würden sie oft zu schnell diszipliniert.

Mayers Mittel sind andere: häufigere Pausen, auch mal die Klassenzimmertüren öffnen, Rennen auf dem Flur erlauben, Fußballspielen im Pausenhof, gemeinsam Musik machen, "das leitet Energien ab und hilft, persönliche Beziehungen aufzubauen. Da kann man leichter mal einen beiseite nehmen und mit ihm reden".

Männer, so hört Mayer aus seinen vielen Gespräch mit den Teilnehmern seiner wissenschaftlichen Studie heraus, seien eher in der Lage, die Ausbrüche von Jungs mit Humor zu nehmen. Wenn die Buben ausnahmsweise einmal von einem Mann unterrichtet würden, dann seien sie meist begeistert. "Wenn einer unserer Studenten in die Schule geht, ist er in der Regel der Star und wird umlagert."

Denn die meisten Grundschulen sind eine Frauenwelt. Das gilt auch für die Schule in Poing. Dabei glauben auch Manuela Wedlich und die Rektorin Simone Fleischmann, dass Jungen profitieren würden, wenn es an der Schule ein paar Männer gäbe. "Lehrerinnen finden ihre weiblichen Vorstellungen, wie beispielsweise ein Hefteintrag auszusehen hat, gerne bei ihren Schülern wieder", sagt Fleischmann. Es gebe Buben, die das schnell durchschauen und deshalb anfangen, wie die Mädchen Herzchen und Blümchen unter ihre Einträge zu zeichnen.

Fleischmann ist auch überzeugt, dass Jungen anders lernen als Mädchen: "Sie gehen direkter an eine Aufgabe heran und wollen möglichst schnell zu einer Lösung kommen." Jeden einzelnen Rechenschritt aufzuschreiben und dann das Ergebnis doppelt zu unterstreichen, wie es in der Schule oft verlangt wird, sei den meisten Buben eher fremd.

Doch aufgrund dieser Erkenntnisse spezielle Unterrichtsformen nur für Jungen zu entwickeln, ist ihrer Ansicht nach nicht die Lösung des Problems. Schließlich gebe es auch Mädchen, die lieber anders lernen würden, und Buben, die mit dem jetzigen System gut zurechtkommen. Besser wäre es, so individuell wie möglich auf die unterschiedlichen Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes einzugehen.

Und in manchen Momenten spielen die Unterschiede zwischen Buben und Mädchen fast keine Rolle mehr. Als Manuela Wedlich am Ende des Vormittags noch eine Geschichte vorliest, hören alle 18 Kinder gespannt zu - allerdings ziehen am Jungentisch hinten rechts einige schon mal unauffällig ihre Handschuhe an, damit sie gleich schnell nach draußen laufen können.

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