Literatur:Mark Twain: Ein Yankee im Königreich

Aug 27 2014 Samuel Langhorne Clemens or better known as Mark Twain 1835 1910 American Writer

Der Schriftsteller Mark Twain (1835-1910) besaß die Gabe, Menschen und ihre Welt mit Witz und Ironie zu schildern. Dies gelang ihm gut in Bayern.

(Foto: Imago/Zuma Press)

Der Schriftsteller verbrachte ein halbes Jahr in Bayern. Mit seinem ätzenden Humor beschrieb er Bräuche und Alltagsleben, wie eine Sammlung seiner Texte zeigt.

Von Hans Kratzer

Eine mit Informationen und Unterhaltung vollgepackte Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung wäre so richtig nach dem Geschmack des Schriftstellers Mark Twain gewesen. Leider bekam der 1835 geborene Zeitungsfan nur die Blätter des 19. Jahrhunderts zu lesen, die - zumindest in Deutschland - dünn und inhaltsleer waren und nicht annähernd die Vielfalt heutiger Blätter erreichten.

Die Zeitungen in Twains amerikanischer Heimat waren damals weit voraus. Was Wunder, dass die publizistische Magerkost im Königreich Bayern den Leser Mark Twain stark irritierte, als er 1878 für längere Zeit in München weilte. Er war eine Zeitungslandschaft mit journalistisch weitaus höheren Standards gewohnt.

Twains Not geht aus einem seiner Münchner Briefe hervor: "Beim Frühstück", schrieb er, "buchstabiere ich mich durch die siebeneinhalb Zeilen telegrafischer Neuigkeiten in der Münchner Zeitung, und danach versuche ich, aus amerikanischen Blättern, die 14 Tage alt sind, herauszufinden, was in dieser Zeit in Europa wirklich vor sich gegangen war." Er sehnte sich nach Leitartikeln, Gerichtsreportagen, Sportmeldungen und Lokalnachrichten. "Tatsächlich wird nichts von lokaler Natur erwähnt, abgesehen von den Reisen irgendeines Prinzen zu den vorgesehenen Treffen einer bestimmten Körperschaft."

Was musste Twain stattdessen lesen: "Eine Kinderhandvoll Telegramme, hauptsächlich über politische Entwicklungen in Europa, Briefkorrespondenz zu den selben Themen, Marktberichte. Das ist alles." Twain schimpfte: "Eine deutsche Tageszeitung ist die traurigste sämtlicher menschlicher Erfindungen."

Dieses Elend hinderte ihn aber nicht daran, in Bayern heimisch zu werden. Der durch Bestseller wie "Die Abenteuer des Tom Sawyer" berühmt gewordene Amerikaner lebte vom November 1878 an einen Winter lang in München. Er war mit seiner Familie nach Europa aufgebrochen, weil ihn in Amerika diverse Sorgen geplagt hatten, dazu gesellte sich noch eine Schreibkrise. Weit weg von daheim hoffte er wieder in die richtige Spur zu gelangen.

Der erste Eindruck trog

Aus Rom kommend, erreichte die Familie nach tagelanger strapaziöser Reise erschöpft die Pension Dahlheimer an der Münchner Karlstraße, es nebelte und nieselte. "München schien der furchtbarste, der ödeste, der unerträglichste Ort zu sein!", schrieb Twain in einem Brief an einen Freund. Die Zimmer kamen ihm so eng vor, der Komfort so dürftig und die Porzellanöfen düster und hässlich. "Und puuh!", meldete Twain, "wie es in den Fluren nach den Toiletten roch!" Am nächsten Morgen sah die Welt wieder freundlicher aus.

Die Familie blieb hier, und Twain begann an seinem Reisebuch "Ein Bummel durch Europa" zu arbeiten. Diesem ersten Aufenthalt in Bayern folgten zwei weitere. 1891 besuchte Twain die Wagner-Festspiele in Bayreuth, 1893 begleitete er seine Frau auf einer Kur in Bad Tölz. "Obwohl Mark Twain ein halbes Jahr in Bayern lebte, sind seine Aufenthalte kaum je ins Bewusstsein gerückt", sagt der Autor Michael Klein, der sich die Mühe gemacht hat, sämtliche Texte über Twain und Bayern zusammenzutragen.

Bis dato gab es lediglich Bücher über Mark Twain in Heidelberg, in Wien und in Berlin - ein Buch über Bayern fehlte noch. Der Grund liegt auf der Hand: Twain hatte nie einen zusammenhängenden Bericht über seine Zeit in Bayern verfasst. Herausgeber Klein musste deshalb die weit verstreuten Texte und Fragmente erst mühsam suchen und ordnen, bevor er sie nun herausgeben konnte.

Mit Witz und freundlichem Spott durch Bayern

Die Sammlung ist unterhaltsam und lehrreich. Es gab ja nicht sehr viele gewitzte Amerikaner, die ihre Gedanken über das Reich des Königs Ludwig II. schriftlich festhielten. Insgesamt lobte Twain die Bayern sehr. Ihre Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft imponierten ihm, auch mit der Mentalität kam er zurecht. Rau, herzlich und aufbrausend wie die Bayern war er ja selber auch.

Dass die Bayern überall so lustvoll fluchten, das habe Twain sehr gefallen, sagt Michael Klein. Im Notizbuch hielt Twain 1879 fest: "Die Bayern sind große, blendend aussehende Menschen." Über hygienische Mängel blickte er hinweg. "Wir bekommen hier das allerbeste Essen, das wir je in Europa kennegelernt haben", heißt es in einem seiner Briefe. "Und das Mädchen, das es aufträgt, hat derart viel Erde an den Händen, dass man es auf kurze Entfernung von einem Acker kaum unterscheiden kann." München strotzte damals vor Schmutz, und Twain resümierte: "Bayern ist das herrlichste Land für die Kunst und den Schmutz auf der Welt."

Seine Streifzüge durch München, Nürnberg und Bayreuth hat der gelernte Journalist mit Witz und freundlichem Spott dokumentiert, manches hat ihn auch ehrlich fasziniert. Die Weihnachtslieder zum Beispiel, und der Schäffler-Brauch, dem er wünschte, er möge nie zu einer billigen Narretei verkommen. Seine Erlebnisse flossen später reichlich in seine Erzählungen ein, etwa in "Das Geständnis eines Sterbenden". Dieser Geschichte war ein Aufenthalt Twains in einem Münchner Leichenschauhaus vorausgegangen.

"Es war ein grausiger Ort", schrieb er. In dieser Einrichtung wurden die Toten so lange unter Beobachtung gestellt, bis ein Scheintod ausgeschlossen war. Lebendig begraben zu werden, war eine Urangst des 19. Jahrhunderts. Twain bestaunte die Leichname, jeder trug einen Ring am Finger, und ein Draht führte zu einem Glöckchen, das bei geringster Bewegung Alarm schlug. Im Nebenraum saß ein Totenwächter und horchte, ob noch einer lebte. Die langen Gespräche mit einem dieser Wächter inspirierten Twain ungemein.

Seinen Aufenthalt in Bayreuth im August 1891 hat er ausführlich in seinem Text "Am Schrein des Heiligen Wagner" dokumentiert. Seine Schwierigkeiten mit dem Phänomen Oper verschweigt er keineswegs, bis hin zu ganz banalen Problemen. "Denen, die zu den Wagner-Festspielen hierher zu kommen beabsichtigen, möchte ich empfehlen: bringt euren Essenskübel mit. Wenn ihr es nicht tut, wird es euch einen harten Kampf kosten, in Bayreuth nicht zu verhungern."

Hungerattacken in Bayreuth

Trotz Hungerattacken studierte er das Publikum intensiv. "Unbedingte Hingabe und versteinerte Regelmäßigkeit vom Beginn eines Aktes bis zu seinem Ende. Man scheint mit Toten in der Finsternis eines Grabmals zu sitzen. Man hört nicht einen Mucks, bis der Vorhang zusammenschnurrt und die abschließenden Töne langsam verklungen und verstorben sind; dann erheben sich die Toten alle auf einmal und lassen das Gebäude vor Applaus in seinen Grundfesten erzittern."

Mark Twain

"Bayern ist das herrlichste Land für die Kunst und den Schmutz auf der Welt."

Mark Twain hat in München tatsächlich wieder zu seiner alten Schaffenskraft zurückgefunden. Und so zeigen seine Erzählungen, Essays und Notizen aus jener Zeit gerade dort, wo sie um den Menschen in seinem Tun und Handeln kreisen, verblüffende Parallelen zur heutigen Zeit. Twain hat gesehen, dass der Mensch, je weiter er über seinen Tellerrand hinausblickt, auch egoistischer wird. Die von Twain über die Maßen geschätzte Zimmerwirtin Caroline Dahlheimer durfte die Familie nach Nürnberg begleiten. Auf dieser Reise gehen ihr die Augen auf. T

wain schildert, wie überrascht sie auf die schlechten Speisen und die hohen Preise reagiert. "In ihrer anmutigen Güte hatte das Fräulein angenommen, dass alle Gastwirte mit moderaten Gewinnen so zufrieden wären wie sie selbst und gleichermaßen bestrebt wie sie, ihren Gästen das beste Essen zu bieten." Das zwang Caroline Dahlheimer zum Umdenken: "Nie zuvor hätte ich den Mut aufgebracht, ein altes Huhn zu servieren. Jetzt mach ich's. Ich werde viel mehr Geld verdienen, ich war ja ein Esel."

Michael Klein (Hrsg.), Mark Twain in Bayern - Erzählungen, Reiseberichte, Briefe, Allitera Verlag, 2016, 228 Seiten, 16,90 Euro.

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