Linke in Bayern:Karteileichen und erfundene Mitglieder

Schwere Vorwürfe gegen Klaus Ernst: Bei der Mitgliederverwaltung der bayerischen Linken soll es Ungereimtheiten geben. Ohne bestimmte Tricks wäre Ernst womöglich nie Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2009 geworden.

Uwe Ritzer

Seit Donnerstag sitzt der Coburger Kreisvorsitzende der Linken im Gefängnis. Rene Hähnlein wollte die 300 Euro nicht bezahlen, die ihm ein Gericht aufbrummte, weil er gegen das Versammlungsgesetz verstoßen hat. Lieber sitzt er die ersatzweise verhängten 20 Tage Haft ab. Das kostet nichts und taugt für nette Märtyrerlegenden. Er wolle demonstrieren, "dass wir eben nicht eine Partei der schönen Worte sind, sondern auch persönlich für unsere Aussagen einstehen", ließ Hähnlein verbreiten.

Klaus Ernst

Schwere Vorwürfe gegen Klaus Ernst: Es geht um mögliche Verstöße gegen das Parteienfinanzierungsgesetz und etwaige Manipulationen bei internen Wahlen.

(Foto: dpa)

Anderen und weit prominenteren bayerischen Linken droht zwar kein Gefängnis, wohl aber Ärger mit Justiz und Bundestag. Es geht um mögliche Verstöße gegen das Parteienfinanzierungsgesetz und etwaige Manipulationen bei internen Wahlen. Nutznießer von letzteren soll auch Parteichef Klaus Ernst gewesen sein.

Ernst wäre womöglich nie Spitzenkandidat der bayerischen Linken für die Bundestagswahl 2009 geworden, wäre damals schon bekannt gewesen, was der Landesschatzmeister der Partei, Ulrich Voß, jetzt beklagt. Ernst wies das am Samstag als "haltlos" und "vollkommen absurd" zurück. "Es handelt sich um eine üble Intrige des noch amtierenden Landesschatzmeisters Ulrich Voß", sagte der Parteichef zu Stern.de.

In einem internen Dossier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, moniert Voß massive Ungereimtheiten bei der Mitgliederverwaltung der Linken. Einige Kreisverbände sollen Mitglieder in ihren Listen führen, die in Wirklichkeit nie in die Partei eingetreten sind. Andere Mitglieder zahlen seit Monaten keine Beiträge und hätten nach Angaben von Voß satzungsgemäß längst ausgeschlossen werden müssen.

Auch der Begriff der Karteileiche erhält eine völlig neue Bedeutung. "Es gibt Fälle, wo Mitglieder längst verstorben, aber nicht aus den Bestandslisten gestrichen wurden", sagte Voß der SZ. Er will allerdings nicht ausschließen, dass es sich dabei "um Bearbeitungsfehler" gehandelt hat.

Die Vorwürfe sind in jedem Fall brisant. Von der Zahl der Mitglieder hängt ab, wie viele Delegierte ein Kreisverband beim Landesparteitag stellen darf, wenn dort der Vorstand gewählt oder Kandidaten für Wahlen nominiert werden. Tote, Nicht-Beitragszahler und erfundene Mitglieder mit einzurechnen, seien "möglicherweise Tricks gewesen, um die Mehrheiten auf Parteitagen zu verändern", sagt Voß. Er hegt "den starken Verdacht, dass von alledem vor allem der Ernst-Flügel in der Partei profitiert hat."

Gut ein Drittel der etwa 3000 bayerischen Linken zahlt keine Mitgliedsbeiträge. Besonders viele davon seien Mitglieder in Kreisverbänden, die dem Lager des Parteichefs zuzuordnen seien. "Diese waren vermutlich dadurch bei den Delegiertenzahlen auf den Parteitagen überrepräsentiert", sagt Voß. Klaus Ernst wollte sich zu den Vorwürfen auf Anfrage nicht äußern. Stattdessen sagte eine Parteisprecherin, es handele sich um interne Vorgänge, die man auch intern behandeln werde. Gleichwohl bringen sie den Parteichef in öffentliche Erklärungsnot.

Mit 57 Prozent wurde Ernst im Frühjahr 2009 nur knapp zum bayerischen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gekürt. Hätte es diese knappe Mehrheit auf dem Landesparteitag ohne Manipulationen bei den Mitglieder- und Delegiertenzahlen nie gegeben? "Eine sauber durchgeführte Mitgliederbereinigung könnte durchaus zu anderen Mehrheiten auf Parteitagen führen", schreibt Landesschatzmeister Voß in seinem Bericht. Womöglich wären dann auch mehrere Ernst-Getreue nicht in den Landesvorstand gewählt worden.

"Konstruierte Milchmädchenrechnungen"

Die bayerische Linken-Chefin Eva Mendl verteidigt die aus ihrer Sicht "korrekten, demokratisch legitimierten Personalentscheidungen" der Vergangenheit. Der Genosse Voß arbeite mit "konstruierten Milchmädchenrechnungen" und erhebe "pauschale Vorwürfe, die durch nichts bewiesen sind", sagte Mendl. Seit das siebenseitige Dossier des Landesschatzmeisters kursiert, liegen die Nerven bei vielen der heillos zerstrittenen bayerischen Linken jedoch blank. Am Samstag legten Mendl und der kommissarische Sprecher Xaver Merk in einer Stellungnahme nach: Voß begehe "politischen Rufmord" und schade der Linken, hieß es darin. Gegen ihn würden nun juristische und parteirechtliche Schritte geprüft. "Wir fordern Herrn Voß auf, sein Amt umgehend niederzulegen."

Voß vergleicht die "ausgeprägten undemokratische Strukturen" mit dem "Beginn der Stalin-Ära" in Russland. Eine Clique um Klaus Ernst agiere mit "politischen Niederträchtigkeiten, Dummheiten und fehlendem Unrechtsbewusstsein." Von "schwersten Regel- und Satzungsbrüchen" schreibt Voß, sowie einer "grundlegenden Verletzung des innerparteilichen Demokratieprinzips." Nämlich in Aschaffenburg, wo der Kreisvorstand versucht habe, 28 Karteileichen satzungsgemäß aus der Mitgliederliste zu streichen. Unter anderem Landeschefin Mendl habe dies verhindert, was sie auf Anfrage bestätigt; das vorgeschriebene Prozedere für die Ausschlüsse sei nicht eingehalten worden, sagt sie.

Folgenreicher könnten die Vorwürfe des Landesschatzmeisters in Zusammenhang mit einem Parteibüro in Nürnberg sein. Sollten sie sich als zutreffend erweisen, könnte es schlimmstenfalls zu Sanktionen des Bundestagspräsidenten gegen die Linke kommen. Das Büro wird vom Bundestagsabgeordneten und Ernst-Vertrauten Harald Weinberg, dem Nürnberger Kreisverband und dem Landesverband gemeinsam genutzt. Ein Abgeordneter kann seine Bürokosten über den Bundestag dem Steuerzahler in Rechnung stellen. Eine Partei muss ihre selbst bezahlen. Diese Trennung ergibt sich aus dem Parteienfinanzierungsgesetz.

Landesschatzmeister Voß, im Privatberuf nach eigenen Angaben seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Wirtschaftsprüfung tätig, sieht diese Trennung in Nürnberg nicht gegeben. "Nach der heute vorliegenden Faktenlage dürfte eine indirekte Parteienfinanzierung eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich sein", schreibt er in seinem Dossier. Mehrfach, so Voß zur SZ, habe er "um belastbare Dokumente gebeten und keine Antworten erhalten. Mich erinnert der Vorgang an verdeckte Gewinnausschüttungen bei Firmen."

Ein Vorwurf, der Untermieter Weinberg schäumen lässt. "Voß verbeißt sich hier in ein Thema, mit dem er nichts zu tun hat", schimpft der Abgeordnete. Die Büros seien strikt getrennt und jeweils abschließbar. Von einer verdeckten Parteienfinanzierung durch seine Mietzahlungen könne also keine Rede sein.

Doch Voß lässt sich nicht bremsen. Wie der Spiegel am Samstag berichtete, will er die Unterschrift unter den aktuellen Rechenschaftsbericht der bayerischen Linken verweigern und damit den Rechenschaftsbericht der Bundespartei. Gibt der Bundesverband Ende September durch die Querelen in Bayern einen unvollständigen Rechenschaftsbericht ab, drohen erhebliche Geldeinbußen.

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