Leutershausen nach dem Amoklauf:"Bizarres Wahnsystem"

Amoklauf in Franken

Blumen und eine Kerze stehen an dem Ort, an dem eine 82 Jahre alte Frau erschossen worden ist.

(Foto: dpa)

Nach dem Amoklauf im fränkischen Leutershausen sind die Menschen schockiert - und kämpfen um etwas Normalität. Inzwischen werden immer mehr Details rund um die Tat bekannt.

Von Katja Auer, Leutershausen

Es ist Kirchweih in Jochsberg, die haben sie nicht absagen wollen. Das hätte die Oma nicht gewollt, haben die Angehörigen zu Bürgermeister Siegfried Heß gesagt. Das Leben muss ja irgendwie weitergehen. Auch nach diesem schrecklichen Freitag, an dem ein 47-jähriger Mann in einem silbernen Cabrio quer durch den Kreis Ansbach fuhr und offenbar wahllos zwei Menschen erschoss: die 82-jährige Frau in Tiefenthal, die einfach nur vor ihrem Haus gesessen hatte. Und einen 72-jährigen Radfahrer bei Rammersdorf.

Seitdem ist in Leutershausen nichts mehr wie vorher. 49 Ortsteile hat die Stadt, verstreut über mehrere Kilometer. Trotzdem kennt man sich. Bürgermeister Heß hat schwarzen Trauerflor an die rot-weiße Fahne am Rathaus hängen lassen.

Die Männer an der Tankstelle haben Schlimmeres verhindert

Der Amokläufer hatte offenbar eine "akute Psychose mit einem bizarren Wahnsystem", teilte die Staatsanwaltschaft Ansbach jetzt am Wochenende mit. Ein Psychiater hatte den Mann noch am Freitag nach der Tat untersucht, nachdem ihn ein paar mutige Mechaniker an einer Tankstelle in Bad Windsheim überwältigt hatten. Er redete wirres Zeug.

Die Männer von der Tankstelle haben wohl Schlimmeres verhindert. Möglicherweise war der Mann auf dem Weg zu einer Klinik in Bad Windsheim, in der er bis vor vier Monaten als Krankenpfleger gearbeitet hat. Der Klinikdirektor bestätigt, dass ein Mann mit den Initialen des Amokläufers dort beschäftigt war, bis er Ende Februar fristlos entlassen wurde, weil er einem Patienten den Arm verdreht hatte.

Was ihn nun zum Töten antrieb, dazu sagte der Mann vor dem Ermittlungsrichter nichts. Er habe nur zu seinen persönlichen Verhältnissen ausgesagt - dass er Gesundheits- und Krankenpfleger sei und seit ein bis zwei Monaten arbeitslos. Ob er schuldfähig war, steht noch nicht fest. Es müssen weitere Untersuchungen stattfinden, ein abschließendes Gutachten wird erst in zwei, drei Monaten vorliegen. Der 47-Jährige wurde im Bezirksklinikum Ansbach untergebracht. Der Tatverdacht lautet auf Mord in zwei Fällen, zweifachen versuchten Mord, Bedrohung und Nötigung.

Haus des Amokschützen wird durchsucht

Der Mann aus Ansbach war Sportschütze, er durfte seine zwei großkalibrigen Waffen besitzen. Bei sich tragen durfte er sie aber nicht, denn den dafür nötigen Waffenschein hatte er nicht. In den Schützenvereinen der Umgebung war er nicht Mitglied, sagt Norbert Rzychon vom SV Germania 1882. Die Schützenvereine hätten sich sofort zusammentelefoniert, aber niemand kannte den mutmaßlichen Amokläufer.

Am Wochenende durchsuchten die Ermittler sein Haus in Ansbach. Zuletzt sei der 47-Jährige im Jahr 2013 von den zuständigen Behörden überprüft worden, sagt ein Sprecher des Innenministeriums. "Da war alles in Ordnung." Die nächste Kontrolle wäre Ende 2016 fällig gewesen. Sportschützen werden alle drei Jahre überprüft, unter anderem darauf, ob sie zuverlässig und sachkundig sind und ein "berechtigtes Bedürfnis" für den Besitz der Waffen vorweisen können. Etwa als Sportschütze.

Ein Appell an den Zusammenhalt

In Jochsberg will Pfarrer Rainer Schulz die Tat nicht zum dominierenden Thema werden lassen. Sie nicht verdrängen, freilich. Aber sie auch nicht über das Leben bestimmen lassen. "Wir haben die Radikalität des Todes auf brutale Weise erfahren", sagte er am Sonntagvormittag zu den gut zwei Dutzend Kirchenbesuchern. Er appellierte an den Zusammenhalt in der Gemeinde. "Man kennt sich hier", sagte er nachher vor der kleinen Kirche St. Mauritius, die schon den Dreißigjährigen Krieg überstanden hat, und zwei Weltkriege auch. Viele seien hier miteinander verwandt. Umso mehr habe der Amoklauf die Menschen erschüttert.

Am Samstag saßen sie nun zusammen, der Bürgermeister, die Pfarrer. Da überlegten sie, ob es besser wäre, die Kirchweih abzusagen. Das haben sie dann nicht getan. "Das macht die Toten nicht mehr lebendig", sagt Bürgermeister Heß. Pfarrer Schulz hat sich ebenfalls für das Fest ausgesprochen. Auch wenn es ein stilles ist, ohne Musik. Der Abend mit der Rockband 3W ist ausgefallen. In Wiedersbach, ein paar Kilometer weiter, haben sie am Samstag ihren Schützenkönig ohne die Blaskapelle abgeholt. Aber ganz wollen sich die Menschen hier von der Tat nicht lähmen lassen. Deshalb soll auch in zwei Wochen das Altstadtfest in Leutershausen stattfinden. Es beginnt mit einer Gedenkminute beim Eröffnungsgottesdienst für die Opfer.

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