Legionellen in Haus in Neu-Ulm:Aufbrausen statt abbrausen

Duschverbot wegen Legionellen in Hochhaus

320 Badezimmer gibt es im Hochhaus, eines davon ist das von Friedrich Mayer-Reiter, der Strafanzeige gestellt hat.

(Foto: dpa)

Die Bewohner eines Hochhauses in Neu-Ulm dürfen wegen Legionellen nicht mehr duschen. Seit 116 Tagen nicht. Sie streiten mit den Hauseigentümern - und darüber, ob ein Leben ohne Dusche überhaupt so schlimm ist.

Von Benedikt Warmbrunn, Neu-Ulm

Zorro musste nur einmal in seinen zehn Jahren gewaschen werden, ist auch schon ein Weilchen her, er ist damals durch einen Gülleacker gerannt. Inzwischen rennt Zorro nicht mehr durch Güllefelder, Friedrich Mayer-Reiter bürstet ihn gelegentlich. Das reicht. Mayer-Reiter tätschelt seinen schwarzen Schnauzer, er sagt: "Hast ein gutes Leben, Digger."

Friedrich Mayer-Reiter findet, dass er selbst eigentlich auch ein gutes Leben hat. Nur duscht er eben ganz gerne, zumindest einmal alle zwei Tage. Darum kämpft er, obwohl er weiß, dass das viele stört. "Für manche bin ich der Böse, für manche der Gute", sagt Mayer-Reiter. Er steht in seinem Badezimmer, es ist eines von 320 Badezimmern in diesem Hochhaus, dem Donaucenter in Neu-Ulm. Es ist eines von 320 Badezimmern, in denen nicht geduscht werden soll. Seit mehr als drei Monaten.

Ende November wurde in zwei leer stehenden Wohnungen im elften Stock bei einer Routineuntersuchung ein Legionellenaufkommen von 15 500 Kolonien bildenden Einheiten (KBE) festgestellt - der Grenzwert liegt bei 100 KBE. Legionellen sind Bakterien, der Mensch kann durch sie erkranken, an einer Lungenentzündung, an einer Nierenbeckenentzündung, an einer Infektion der Atemwege. Für das Donaucenter folgte schnell die Empfehlung, nicht mehr zu duschen. Bei einem hohen Legionellenaufkommen gilt Duschen als besonders gefährlich, der Duschende atmet die Bakterien durch den Wasserdampf in hoher Konzentration ein.

Zehn Minuten lang duscht der Deutsche im Durchschnitt pro Tag, europaweit halten nur die Briten mit. Geht das also, drei Monate lang auf diese tägliche Routine zu verzichten? Ach, sagt Rainer Fraininger, einer der wenigen Bewohner, die sich mit Namen nennen lassen wollen, er habe "keine Besorgnis vor einer Erkrankung". Er dusche eben nicht das Gesicht, außerdem wohnt er im dritten Stock, da ist das Wasser viel heißer als ganz oben, im 17. Stock. "Muss man eben mal geduldig sein", sagt eine Rentnerin.

Sie geht wöchentlich mehrmals schwimmen, sogar in die Sauna. Die Haare wasche sie in der Küche, unter dem Wasserhahn, sagt eine andere Rentnerin, eingezogen zum ersten Termin, im Dezember 1974. "Aufgebauscht" werde die Geschichte, sagt sie. Wegen "dem da".

Der da kramt eine dicke gelbe Mappe aus seinem Schreibtisch. Es ist eine Chronik darüber, warum er, Friedrich Mayer-Reiter, fast 60 Jahre alt, starker Raucher, an einer ständigen Bronchitis leidend, nicht mehr duschen darf - auch wenn er es weiter macht, meistens alle zwei Tage. Korrespondenzen hat er eingeordnet, Informationen über Legionellen, über das Haus.

Und eine Kopie der Strafanzeige, gegen die Gemeinschaft der Eigentümer am Donaucenter, "wegen des Verdachts der fahrlässigen versuchten Körperverletzung, des Verstoßes gegen die Trinkwasserverordnung u.a.". Eingereicht von Friedrich Mayer-Reiter. "Ich will niemanden an den Pranger stellen", sagt der frühere Strafverteidiger, "aber es wird kein Vertrauen geschaffen, indem alle nur schweigen."

"Der Herr Mayer-Reiter und seine Strafanzeige." Jochen Sporhan trommelt mit den Fingern zu jeder Silbe auf die Theke. Sporhan besitzt die Insel-Apotheke im Erdgeschoss, als Eigentümerbeirat vertritt er die Position des Hauses. Aus ganz Deutschland rufen sie ihn an, Vertreter von Firmen bieten ihm Allheilmittel an. Sporhan sagt immer ab. Er weiß, dass drei Monate ohne Duschen eine lange Zeit ist. Er sagt aber auch, dass alle Bewohner sich bei ihm informieren können, auch Mayer-Reiter könne jederzeit zu ihm kommen. Bisher kam er nicht. "Es geht einfach nicht schneller", sagt Sporhan. Er schließt die Augen.

Im Dezember haben die Eigentümer beschlossen, die Leitungen zu desinfizieren. Eine Firma wurde beauftragt, sie bestellte die Chemikalien. Geliefert werden konnten diese erst Mitte Januar. Das Weihnachtsgeschäft. Es wurden vorbereitende Umbaumaßnahmen unternommen, im Heizungsraum, am Feuerlöschsystem. Bevor die Rohre desinfiziert werden können, muss das Wasser abgestellt werden - gleichzeitig müsste gelöscht werden können. Vom 28. Januar bis zum 18. Februar wurden Proben genommen, 354 wurden in einem Labor in Ettlingen ausgewertet; zwischendurch konnte es keine weiteren Proben aufnehmen, es war überlastet.

Am Mittwoch wurden die Ergebnisse der Proben an das Gesundheitsamt geschickt. An den nächsten zwei Wochenenden werden die Leitungen mit Wasserstoffperoxid desinfiziert, eine Woche später werden weitere Proben genommen, danach wird Chlordioxid durch die Leitungen gespült. Bis Dezember will der Eigentümerbeirat über bauliche Maßnahmen entscheiden.

Jahrzehntelang waren Eigentümer und Bewohner stolz auf das Donaucenter, auf die Lage am Fluss, auf den Ausblick, über die Stadt, auf das Ulmer Münster. Nun wünschen sich alle, dass niemand mehr über sie spricht, darüber, wie lange sie nicht mehr duschen dürfen. Dass niemand mehr fragt, wann sie wieder duschen dürfen. Kann ja ohnehin keiner sagen, Friedrich Mayer-Reiter nicht, Jochen Sporhan nicht. Und so geht ein weiterer Tag ohne Duscherlaubnis am Donaucenter zu Ende, einer von vielen, es ist der 116. Eine Nebelwolke verdeckt die Spitze des Ulmer Münsters.

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