Laudenbach am Main:Die schwarze Kasse des Priesters

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Ehemaliger Ortspfarrer soll in Unterfranken eine Million Euro unterschlagen haben - das Dorf ist fassungslos.

Olaf Przybilla

Über den 76 Jahre alten Priester Hans S. kursieren im unterfränkischen Ort Laudenbach am Main anrührende Geschichten. 40 Jahre lang war S. dort der Dorfpfarrer, und die Gemeindemitglieder erzählen viel Gutes über den Mann, der seit einem Jahr in der Kirche St. Ägidius als Ruhestandspfarrer tätig ist.

Ein eher kurioser Charakterzug allerdings zieht sich wie ein roter Faden durch die Erzählungen über den Ortsgeistlichen. Hans S., das wissen fast alle im Ort, ist ein sehr sparsamer Mann: einer, der bisweilen alte Briefe hernahm, um vom spärlich bedruckten Kuvert die Adresse abzuschneiden und den Rest des Papiers mit Angaben über den Liederkanon im nächsten Gottesdienst zu versehen - zu Händen des Organisten. Nach der Messe durfte der Organist dieses gestutzte Kuvert dann keineswegs wegschmeißen. Er musste es dem Pfarrer zurückgeben, der wiederum auf die Rückseite des Zettels neue Anweisungen schrieb - für die nächste Messe.

Nun sitzt der Geistliche in Untersuchungshaft. Und die Gemeinde in Laudenbach steht unter Schock: Hans S. steht im dringenden Verdacht, Kirchengeld und Spendenbeträge, auf die er als Pfarrer zugreifen konnte, einbehalten und für sich verwendet zu haben. Dietrich Geuder, der Leitende Oberstaatsanwalt in Würzburg, nennt eine Summe, die in Laudenbach Fassungslosigkeit auslöst. Es soll um eine Million Euro gehen. Wegen Verdunklungsgefahr sitzt der Priester in Untersuchungshaft. "Dem Grunde nach", so formuliert es Oberstaatsanwalt Geuder, habe Hans S. die Vorwürfe bereits eingeräumt.

Wie es möglich sein soll, eine Million Euro zu veruntreuen in einer kleinen Gemeinde von 900 Mitgliedern, kann sich in Laudenbach am Main kaum einer erklären. Vor allem der Kirchenpfleger Manfred Karch nicht, der in der Gemeinde für die Finanzen zuständig ist. Karch weiß ja, was er Sonntag für Sonntag im Klingelbeutel vorfindet. In St. Ägidius kommen kaum mehr als 80 Gottesdienstbesucher im Schnitt, und die Zahl ist genauso rückläufig wie das Spendenaufkommen.

An hohen Feiertagen "ist schon mal ein Schein dabei", sagt Karch. Aber sonst? Zwei Euro gelten schon als höherer Betrag, pro Gottesdienst trägt der Kirchenpfleger selten mehr als 50 Euro aus dem Gotteshaus. Und auf dieses Geld, beteuert Karch, habe der Pfarrer keinen Zugriff gehabt. Dass S. keine Spenden veruntreut habe, "dafür lege ich meine Hand ins Feuer", sagt Karch. Zumal es der Pfarrer selbst gewesen sei, der bei den großen Kollekten die ungeraden Beträge oft großzügig aufgerundet habe.

Laudenbach also steht vor einem Rätsel. Um zu erahnen, um was es bei dem Vorwurf gegen Hans S. gehen könnte, muss man die Erklärung des Bischöflichen Ordinariats Würzburg genau lesen. Dort ist die Rede davon, dass sich die Bücher des Kirchenpflegers auch nach eingehender Prüfung als "korrekt und schlüssig" erwiesen hätten. Dass allerdings nicht alle Konten, die auf den Namen der Kirchenstiftung eingerichtet waren, auch der Kirchenverwaltung bekannt gewesen seien, auch dem Nachfolger von S. nicht. Möglicherweise also führte der Pfarrer ein schwarzes Konto - und flog auf, als das Finanzamt von seinem Nachfolger wissen wollte, was sich hinter dem Gemeindekonto verbirgt.

Kann ein Dorfpfarrer - ohne Spendengeld abzuzweigen - privat eine Million Euro umdeklarieren und auf die Seite schaffen? Dazu möchten der Kirchenpfleger und die Mitglieder des Pfarrgemeinderates nichts sagen. Dafür erzählen sie die Geschichten, wie sich Pfarrer S. - ein ehemaliges Flüchtlingskind - sein Studium mit Schneiderarbeiten finanziert habe. Wie er es ablehnte, in den Urlaub zu fahren. Wie er Kleidung nur dann ersetzte, wenn es nicht mehr anders ging. Und wie er die Zeitung von Gemeindemitgliedern las - um sich ein Abo zu sparen.

© SZ vom 26.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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