Landwirtschaft:Verfall des Milchpreises bringt Bauern in Not

Rind auf einer Weide bei Benediktbeuern, 2013

Rindviecher gehören zu Bayern wie die CSU. 1,22 Millionen Milchkühe gibt es im Freistaat - und ihre Haltung hat mit Postkartenromantik wenig gemein.

(Foto: Manfred Neubauer)
  • Der Milchpreis ist dramatisch gesunken: Nur noch 30 Cent bekommen Landwirte für den Liter.
  • Um trotzdem wirtschaftlich zu arbeiten, produzieren sie immer mehr Milch.
  • Ein Ende der Krise ist nicht abzusehen.

Von Christian Sebald

Thomas Strobl hat gewusst, dass es hart werden wird. Der Verfall des Milchpreises hat sich ja schon seit Monaten angekündigt. Aber dass es so schlimm kommen würde, das hat der 56-jährige Milchbauer aus dem oberbayerischen Rottenbuch nicht erwartet. 30 Cent bekommt Strobl derzeit für jeden Liter Milch, den die 55 Kühe in seinem Stall geben. Im August 2014 waren es gute 38 Cent. "Aufs Jahr gerechnet ist das ein Minus von 32 000 Euro", sagt Strobl, "mehr als eine Fünftel des Milchgeldes, das ich zuletzt erwirtschaftet habe". Strobls Konto ist jetzt schon früh im Monat leer. "Das zehrt nicht nur am Gemüt", sagt er. "Das geht an die Substanz."

Die Milchkrise hat Strobl und die anderen 35 000 Milchbauern in Bayern voll erwischt. Der aktuelle Preisverfall ist der schlimmste seit 2009, als die Bauern nur noch 25 Cent für den Liter Milch bekamen. Viele waren damals so verzweifelt und wütend, dass sie aus Protest Milch in Gülle-Anhänger füllten und sie auf Wiesen und Weiden ausbrachten. Zwar liegt der Durchschnittspreis, den die bayerischen Molkereien den Bauern für den Liter Milch bezahlen, noch bei 30 Cent. Aber es gibt bereits etliche, die ihren Lieferanten nur mehr 27 oder 28 Cent überweisen. Im Jahresvergleich beträgt das Minus schon acht bis neun Cent, in extremen Fällen sogar mehr als zehn Cent.

Kein Ende abzusehen

Eine simple Rechnung macht die dramatischen Folgen klar. 2014 produzierten die 1,2 Millionen Kühe der 35 000 bayerischen Milchbauern knapp 8,2 Milliarden Liter Milch. Ein Preisverlust von nur einem Cent je Liter Milch macht also ein Minus von 82 Millionen Euro für die Bauern aus. Bei acht Cent summiert es sich auf 656 Millionen. Dabei bleibt völlig außen vor, dass die Produktion eines Liters Milch die Bauern zwischen 40 und 45 Cent kostet. "Die neue Milchkrise trifft uns bis ins Mark", sagt Romuald Schaber. Der Vorsitzende des Milchbauernverbands BDM weiß genau, wovon er spricht. Er bewirtschaftet im Allgäu einen Hof mit 45 Milchkühen.

Das Schlimmste aber ist, dass kein Ende abzusehen ist. Noch im Frühjahr verkündeten etliche Fachleute, dass der Milchpreis spätestens im Herbst wieder anzieht. Davon ist keine Rede mehr. Hannes Weindlmaier etwa, der viele Jahre an der Technischen Universität (TU) München die Professur für Betriebswirtschaftslehre der Milch- und Ernährungsindustrie inne hatte, gibt offen zu, "dass wir Experten zuletzt immer daneben lagen". Deshalb sagt er nur, "dass auch ich derzeit keine Anzeichen für eine Wende sehe". Die Talfahrt wird sich also fortsetzen - womöglich bis Sommer 2016. Es gibt Experten, die nicht ausschließen, dass der Milchpreis bis dahin unter 25 Cent sinkt.

Der Grund der Krise: Es ist zu viel Milch auf dem Markt. Von den 8,2 Milliarden Litern, die die bayerischen Kühe 2014 gaben, wurden nur 4,7 Milliarden Liter in Bayern und Deutschland konsumiert - in Form von Trinkmilch, Joghurt, Käse oder anderen Produkten. Die anderen 3,5 Milliarden Liter wurden exportiert. In der Hauptsache nach Frankreich, Italien und in andere EU-Staaten.

Landwirtschaft: SZ-Grafik

SZ-Grafik

Der Weltmarkt wird immer wichtiger

Thomas Strobl

Thomas Strobl aus dem oberbayerischen Rottenbuch hält 55 Milchkühe. Seine Einnahmen sind binnen eines Jahres um 32 000 Euro gesunken.

(Foto: Lukas Barth)

Aber auch der Weltmarkt wird für die Bauern in Bayern und Deutschland immer wichtiger. Die zentralen Handelspartner dort sind Russland und China. Allein 2013 importierten die beiden Mächte deutsche Milchwaren im Wert von jeweils 159 Millionen Euro. Der Löwenanteil davon dürfte aus Bayern gestammt haben. Beide Märkte sind nun weggebrochen. "Erst sind durch Putins Import-Embargos gegenüber der EU die Ausfuhren nach Russland auf null gegangen", sagt der Milch-Experte Markus Seemüller. "Und wegen der Börsenkrise in China sind nun die Exporte dorthin massiv gesunken."

Hinzu kommt ein hausgemachter Aspekt, den der Bauernverband derzeit in den Vordergrund stellt. Die hiesigen Verbraucher sind sehr preisbewusst - auch was Milch betrifft. Deshalb unterbieten sich die großen Handelsketten und Discounter immer wieder mit Angeboten. Anfang Mai senkten die Discounter den Preis für den Liter H-Milch auf 55 Cent. Joghurt kostet nur 19 Cent. 250 Gramm Butter gibt es für 79 Cent. "Solche Kampfpreise sind nur auf dem Rücken der Landwirte möglich", klagen sie im Bauernverband. "Wenn nichts gegen diesen Verdrängungswettbewerb unternommen wird, wird unsere Landwirtschaft ans Messer geliefert." Bauernpräsident Walter Heidl hat jetzt sogar einen offenen Brief an Aldi und Co. gerichtet, damit sie ihre "Preiskämpfe" stoppen.

Die Bauern produzieren noch mehr Milch

Der Appell dürfte wenig fruchten. So wie sich auch die Exportchancen für bayerische Milchprodukte so schnell nicht verbessern dürften. Denn die Zeiten, in denen zu viel Milch auf dem Markt ist, werden so schnell nicht enden. Im Gegenteil: Vieles deutet darauf hin, dass etliche Bauern versuchen, ihre Verluste auszugleichen, indem sie noch mehr Milch produzieren. Zwar sind in den ersten Monaten 2015 die Liefermengen an die Molkereien im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Aber schon im Juni haben sie diese wieder übertroffen. "Und im Juli hat war es erneut so", sagt BDM-Chef Schaber. "Dabei war schon 2014 das absolute Rekordjahr in der Milchproduktion" - in Bayern wie in Deutschland und der EU.

Wenn nun aber die Milchbauern immer schärfer miteinander konkurrieren, werden das viele Betriebe nicht überleben. Der Fachmann Weindlmaier rechnet denn auch fest damit, dass sich das Bauernhofsterben beschleunigen wird. Schon jetzt geben pro Jahr ungefähr vier Prozent der Milchbauern in Bayern auf. Einige Experten sagen, diese Quote könnte sich zumindest einige Jahre lang verdoppeln. Für Weindlmaier steht auch fest, dass es vor allem die kleinen und mittleren Betriebe ohne Zukunft sind. "Wer auf dem Weltmarkt mit seinen Volatilitäten bestehen will, braucht eine gewisse Größe", sagt er.

Je schärfer die Krise wird, desto mehr Bauern wollen sich nicht widerstandslos fügen. In Weilheim-Schongau, wo besonders viele Milchbauern wirtschaften, hängen in etlichen Dörfern riesige Protestplakate. Andernorts beraten sie in hitzigen Versammlungen, was sie der Krise entgegensetzen können. Am kommenden Dienstag rücken die Milchbauern auf dem Odeonsplatz in München zu einer Großkundgebung an - direkt vor dem Agrarministerium von Helmut Brunner (CSU). Natürlich wird auch Thomas Strobl aus dem oberbayerischen Rottenbuch dort sein. "Denn", sagt er, "wer sich jetzt nicht wehrt, hat schon verloren."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: