Landespolitik:Seehofers Kabinett besucht das "Bayern des Ostens"

Prof. Kurt Biedenkopf, mit Edmund Stoiber, 1995

Kurt Biedenkopf, königsgleicher Ministerpräsident Sachsens, verstand sich mit seinem bayerischen Pendant Edmund Stoiber (re.) bestens.

(Foto: SZ-Photo)

Fußball, Freistaatenlösung und fast ein zweiter CSU-Landesverband: Die Geschichte ist voll von sächsisch-bayerischen Verbindungen.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Am Dienstag reist das Kabinett Seehofer zum Kabinett Tillich nach Leipzig. Vom Freistaat in den Freistaat also. Das wäre schon einmal eine Gemeinsamkeit. Und was verbindet Bayern und Sachsen sonst so? Ein kursorischer Streifzug durch die jüngere und jüngste bayerisch-sächsische Vergangenheit.

Das Bayern des Ostens

Die Presse ist sich uneinig. Die einen stellten 2014 fest, dass Sachsen "eine Art Bayern des Ostens geworden ist" (n-tv.de), wohingegen andere Sachsen schon 2008 als "das neue Bayern des Ostens" (FAZ) ausriefen. Kenner erkannten darin eine Korrektur Bernhard Vogels, der noch 1999 vom "Bayern der neuen Bundesländer" gesprochen, dabei aber nicht Sachsen gemeint hatte, sondern das von ihm regierte Thüringen.

Nach der klaren Positionierung der FAZ jedenfalls sekundierte 2009 die Landeszeitung aus Lüneburg mit einem Bleisatz-Basta: "Nur Sachsen bleibt das Bayern des Ostens!" Den Segen der Forschung erhielt diese Eindeutigkeit 2014 in einem Buch der Politikwissenschaftler Jesse, Schubert und Thieme. Sachsen sei seit dem Wahljahr 2009 "mehr denn je das Bayern des Ostens".

Nur, stimmt das? In gewisser Weise schon: Sachsen weist in vielen Aspekten die besten Wirtschaftsdaten der neuen Bundesländer aus, es wird bislang ununterbrochen von einer der CSU nicht unähnlichen Partei dominiert (CDU), in Bildungsvergleichen wie den Pisa-Studien liegt Sachsen teilweise sogar vor Bayern.

Andererseits stimmt der Vergleich auch gewiss nicht: Bayern ist fast viermal so groß wie Sachsen, wo die Arbeitslosigkeit mehr als doppelt so hohe Werte erreicht. Das Bruttoinlandsprodukt Bayerns war 2015 fast fünfmal so groß wie jenes von Sachsen. Also, noch einmal, stimmt der Vergleich? Er stimmt ein ziemlich großes bisschen, wenn man ihm die leider begründete Annahme zugrunde legt, dass der Osten dauerhaft ärmer und buckliger bleiben wird als der Westen.

SG Dynamo Bayern

1973 gibt es nach 17 Jahren das erste deutsch-deutsche Duell-Duell im Landesmeisterpokal: Im Achtelfinale werden der FC Bayern und Dynamo Dresden einander zugelost, West gegen Ost, BRD-Meister gegen DDR-Meister, Spiel der Spiele. Zum Hinspiel in München dürfen aus Dresden 1000 sorgfältig ausgewählte Dresden-Fans mitfahren, im Stadion erhalten sie Unterstützung von Freunden des TSV 1860, die sich mit den Dresdnern gegen den gemeinsamen Klassenfeind verbünden (FCB).

Dynamo hat in der ersten Runde Juventus Turin erledigt, der "Dresdner Kreisel" ist für seine virtuose Offensivkraft bekannt, aber in München empfängt man den Ost-Meister nach dem Prinzip hohe Nase: Schon die Namen auf der Aufstellung sind falsch geschrieben. Bayern liegt zur Pause hinten, gewinnt am Ende 4:3 und wurschtelt sich durchs Rückspiel knapp ins Viertelfinale.

Entscheidend ist aber auch neben dem Platz: Erich Fritz Emil Mielke, DDR-Minister für Staatssicherheit, kümmert sich vor dem Rückspiel persönlich um die "Aktion Vorstoß". Bei Dynamo quillt der Posteingang über, bis zu 300 000 Karten hätte der Verein für das Spiel verkaufen können. Praktisch passen nur 36 000 ins Stadion, mehr als drei Viertel der Karten gehen an Staatsgünstlinge und bananenessende Wächter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Laut Akten kommt angeblich auf fünf Zuschauer eine MfS-Kraft und schon vor dem Stadiontor regiert das MfS mit harter Hand: Drei Lehrlinge "brachten offen ihre Sympathie für die BRD-Mannschaft zum Ausdruck. Eintrittskarten wurden eingezogen".

Eine eigene Sachsen-CSU

Zu Beginn des Jahres 1990 erhielt Herbert Sorger endlich seinen Mitgliedsausweis mit der Nummer 00002. "Christlich-Soziale Union", stand darauf - und klein darunter: "Landesverband Sachsen e.V." Es handelte sich dabei nicht um ein Dokument der Fantasie, der Ausweis war vielmehr Ausdruck eines realen Vorhabens. Sorger und andere Aufbruchsmenschen gründeten im Jahr der Deutschen Einheit einen CSU-Landesverband im Schützenhaus in Aue.

Bei einem Treffen vor ein paar Jahren sagte Sorger über den sächsischen Südwesten: "Drei Viertel der Leute" seien nach dem Mauerfall "ganz heiß auf Bayern" gewesen, denn "es war ja alles heilig, was aus dem Westen kam". Es habe in diesen Monaten des Umbruchs elf geheime Treffen zwischen ihm und dem damaligen CSU-Generalsekretär Erwin Huber gegeben, in einer Berghütte im vogtländischen Klingenthal. Huber und er hätten lange verhandelt über einen eigenständigen Auftritt der CSU in Sachsen.

Aber irgendwann sei dann nicht mehr Huber selbst zu Besuch gekommen, "es kamen Funktionäre aus Bayern und haben uns bearbeitet, mit der DSU zusammenzugehen", erinnerte sich Sorger. Er und seine Leute stimmten dieser Forderung schließlich missmutig zu, bei den Landtagswahlen ging die Listenverbindung DSU-CSU (Ost) dennoch unter. Im Spiegel sagte Erwin Huber bald darauf, er halte "eher wenig" von der Idee einer Sachsen-CSU. In der neuen CDU-Hochburg im Osten wolle man den Eindruck vermeiden, "dass wir Bayern auf Beutefang gehen".

Fatale Magistrale

Das bayerische Kabinett wird per Charterflug nach Leipzig reisen. Wer sich ohne Ministerurkunde in den Dienst der Völkerverständigung stellen möchte, dem bleiben im Grunde drei Möglichkeiten. Besser- und Bestverdiener sowie weitsichtige Vorausbucher in komischfarbigen Außendienstlerhemden nutzen die CityLine der Lufthansa, ohne allerdings darauf zu schwören. Die Busfahrt zum Parkplatz der Maschine auf dem Münchner Flughafen dauert gefühlt oft länger als der eigentliche Flug, auf dem das Warsteiner-Wägelchen erst kurz vor Beginn des Landesanflugs die hinteren Reihen erreicht.

Möglichkeit 2: Auto. Hier gilt es den Staumelder für die A 9 zu beachten, wegen der immer noch zahlreich pendelnden Arbeitsmigranten aus dem Osten - und den Blitzermelder für die A 72, wegen der Standardfalle zwischen Pirk und Plauen-Süd, wo selbst umsichtige Normalfahrer über die Jahre schon ganze Monatsgehälter verloren haben. Dritte und wahnsinnigste Möglichkeit: eine Zugfahrt auf der Sachsen-Franken-Magistrale.

Dieses Großdrama ist an dieser Stelle nicht hinreichend zu erläutern, nicht einmal das Teildrama der nun wieder abgeschafften Neigetechnik. Zwischen Nürnberg und Dresden dauert es jedenfalls so lange, dass man auch die Draisine nehmen könnte, aber der Zug ist trotz überschminkter Landmädchen und stoppelköpfiger Armeebuben die beste Alternative - schönere Bahnstrecken als jene durchs bayerische und sächsische Vogtland gibt es kaum.

Für ein neues Gestern

Die Geschichte ist überreich von sächsisch-bayerischen Verbindungen. Politisch näherten beide Länder sich bereits kurz nach dem Mauerfall wieder an. Neben Bayern entschied sich zwar auch Baden-Württemberg, beim Aufbau der Verwaltung in Sachsen zu helfen, der Einfluss der Bayern aber erwies sich auf Dauer als gewaltiger.

Sachsens ehemaliger Regierungssprecher Michael Sagurna erinnerte sich vor ein paar Jahren in der Zeit an die "Bayern-Connection" in Sachsen und dessen königsgleicher Ministerpräsident Kurt Biedenkopf versuchte auf unterschiedlichste Weise, ein bisschen Bayern an die Elbe zu kopieren. Schon die Idee von Strotz-Stolz und "Freistaat" schien Biedenkopf übertragenswert auf Volk und Land, mit Edmund Stoiber verstand er sich bestens.

Biedenkopf und Stoiber planten gar eine bayerisch-sächsische "Zukunftskommission", sie sollte eine Reform des Sozialstaats diskutieren und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk neu ordnen. Es wurde kommissionsgerecht sehr viel Papier bedruckt und fast nichts umgesetzt.

In dieser Tradition fanden vor Jahren die Ministerpräsidenten Horst Seehofer und Stanislaw Tillich zusammen. Ihre "Zukunftsdialoge" behandelten bislang die Themen "Moderner Staat", "Aktive Gesellschaft" und "Neue Formen der Bürgerbeteiligung". Mit weiteren Zukunftsforen ist zukünftig gewiss zu rechnen.

Aktuelles Lexikon: Freistaat

Wenn sich das bayerische Kabinett am Dienstag mit dem sächsischen trifft, werden die Regierungen zweier Freistaaten zusammensitzen. Erfunden haben es aber wohl wieder die Schweizer: Der älteste Beleg für einen "Freistaat" stammt von 1731, das Wort meinte die Unabhängigkeit der Eidgenossen vom Heiligen Römischen Reich. Später deutschten sich die Sprachpuristen des 19. Jahrhunderts die lateinischstämmige Republik als Freistaat ein. Die Weimarer Republik bestand laut den einzelnen Landesverfassungen fast nur aus Freistaaten, doch das Wort wurde kaum irgendwo wirklich benutzt - außer in Bayern, das damit auch den Anfang gemacht hatte: "Bayern ist fortan ein Freistaat!", hatte es in einem revolutionären Aufruf des Sozialisten und ersten Ministerpräsidenten Kurt Eisner in den Münchner Neuesten Nachrichten vom 8. November 1918 geheißen. Nach der Nazizeit nahmen auch nur die Bayern die Bezeichnung wieder in die Verfassung auf. Seither gilt "der Freistaat" oft als Synonym für Bayern, in dem auch das meiste mitschwingt, was der eine oder der andere mit dem Land verbindet. Für viele Bayern und ihre aktuelle Staatsregierung sind das föderalistische Eigenstaatlichkeit und ein Bekenntnis zur Heimat. Das mag 1990 die Sachsen und 1993 die Thüringer inspiriert haben, ihre Länder fortan ebenso zu nennen. Im einzig wahren Freistaat wurde und wird das weithin als Anmaßung registriert. Matthias Köpf

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