Landespolitik:Diese Frau könnte die bayerische SPD aus der Krise holen

SPD Winterklausur Kloster Irsee

Natascha Kohnen ist bereits seit 2009 Generalsekretärin der SPD, aber dennoch nur wenigen Menschen in Bayern ein Begriff.

(Foto: Andreas Reimund/picture alliance)

Umfragetief und zwei Genossen in Untersuchungshaft: Natascha Kohnen gilt plötzlich als Hoffnung der SPD. Manche sehen in der Generalsekretärin den Martin Schulz Bayerns.

Von Lisa Schnell

Die Erste tippt Natascha Kohnen auf die Schulter. "Soll ich Ihnen die Daumen drücken? Damit für die SPD endlich wieder was nach vorne geht?" Schon sind die Daumen in der Luft, wie für einen Rennfahrer, der gleich durchstartet. Die Zweite reißt die Arme hoch, als sie Kohnen sieht, ruft: "Ein Neubeginn!"

Es ist der Neujahrsempfang von Unterhaching. Ein Sportzentrum, grüne Girlanden, Blasmusik. Die Freiwillige Feuerwehr macht die Bierbar. Der Bürgermeister hat seine silberne Festtagskette um. Ihm die Hand schütteln und dann ein Häppchen mit Griebenschmalz. Das sind so die Highlights eines Neujahrsempfangs. Dieses Jahr aber fallen sie Natascha Kohnen, 49, in die Arme. Da kommt schon die Nächste. "Alles Gute!"

Ist die SPD-Generalsekretärin Kohnen für die Bayern-SPD der Neuanfang, nach dem in letzter Zeit nicht wenige in der Partei rufen? Kann sie die SPD in Bayern aus ihrem 14-Prozent-Tief holen, die Wähler vergessen lassen, dass zwei Genossen gerade in Untersuchungshaft sitzen wegen Bestechung beziehungsweise sexuellen Missbrauchs? Ja! Ja! Ja! - jubelt es Kohnen in ihrem früheren Wohnort Unterhaching entgegen. Und sie? Traut sich so einiges zu, heißt es. Offiziell aber schweigt sie natürlich. Schließlich gibt es da noch Florian Pronold, den Landesvorsitzenden.

Mit ihm arbeitet Kohnen jetzt seit acht Jahren zusammen. Generalin und Vorsitzender, dagegen ist die Ehe eine distanzierte Angelegenheit. Eine Generalin, die gegen den eigenen Chef antritt, das ist vorsichtig ausgedrückt nicht die feine Art. "Königsmörderin" nennen manche so was sogar. Auch wenn gemeine Stimmen bemerken, Pronold sei doch eher ein 14-Prozent-Baron als ein König. Wird die Baronin bald Kohnen heißen? Und wie könnte sie das anstellen?

Kohnen macht ihre Runde beim Neujahrsempfang, vorbei am Schützenkönig und am Faschingsprinzenpaar. Hände, die ihr zur Begrüßung entgegengestreckt werden, ignoriert sie konsequent. Ein Kuss auf die Wange oder eine Umarmung, drunter macht es Kohnen nicht, auch wenn sie einen nicht so gut kennt. Es ist kein gefühlvolles Hippie-Umarmen, wie es Claudia Roth etabliert hat, sondern eins mit Ruhrpott-Charme. Ein festes, herzliches Kumpeldrücken. Dann Bier vom Feuerwehrmann und dazu noch dieses haudegenhafte Hochziehen der Oberlippe, wenn sie spricht. Kein Politsprech, sondern frei Schnauze, offen raus, nicht hintenrum. Das sei ihr Politikstil, sagt sie.

"Ich mach euch nicht den Söder"

Den wollte Pronold, als er Kohnen vor acht Jahren zur Generalsekretärin machte. Sie sind ein Duo, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Er, der Politprofi, mit 16 schon bei den Jusos. Sie Quereinsteigerin, SPD-Eintritt mit 34, davor Biologin und Lektorin für Schulbücher, die bei Kakteen ins Schwärmen kommt. Er der Steife, sie die Lockere. Er eher in gewohnten Bahnen unterwegs, sie offen für Experimente. Dazu gehört auch: eine untypische Generalsekretärin sein. "Ich mach euch nicht den Söder", kündigte Kohnen 2009 an.

Als wadlbeißende Kampftruppe des Vorstands hat sie sich nie gesehen. Besonnen, unaufgeregt sei Kohnen. Eine, die viel reist, eher im Hintergrund ihr Netzwerk spinnt, als die große Öffentlichkeit zu suchen. Die am Anfang kaum auffiel, aber sich etwa bei den Gewerkschaften einen Namen gemacht habe und immer perfekt vorbereitet sei. So sagen es die einen. Farblos, ohne Profil, nicht kantig genug, so reden die anderen. Fragt man dort, für was Kohnen steht, heißt es: "Da fällt mir auch nach langem Nachdenken nichts ein."

An eines aber erinnern sich alle: Kohnens Wutrede im Landtag vor etwa einem Jahr. Spontan haute sie dort der CSU ihr "populistisches Rumgeplärre" um die Ohren und wurde über Nacht zum Facebook-Star und sogar Gast bei Maischberger. Auch für ihre Arbeit im Bundesvorstand seit Dezember 2015 finden manche lobende Worte. Kohnen traue sich, immer wieder ihre Hand zu heben, auch wenn Sigmar Gabriel schon dreimal die Augen verdreht hat. Zum ersten Mal seit langem würden durch sie im Bund endlich wieder bayerische Interessen vertreten.

Ihr Verhältnis zu Pronold sei "nicht herzlich, aber loyal". Kohnen hat ihre Unterstützer und das nicht nur in Unterhaching. Sie hat aber auch Gegner. Nur etwa fünf Prozent kennen Kohnen, und das unter SPD-Anhängern, zitiert einer die letzte Umfrage. "Da kann es doch gleich ein Unbekannter machen." Das wäre dann wirklich ein Neuanfang, denn wer acht Jahre lang Generalsekretärin ist, könne nicht für Aufbruch stehen.

Eine echte Abneigung gegen das Unehrliche und Intrigante

Und wer hintenrum gegen den eigenen Vorsitzenden mobil mache, mit dem wolle man ungern zusammenarbeiten. Sie sei es doch, die zur Jagd blase. Wenn Pronold die Heckenschützen in der Partei entlarven will, wie er angekündigt hat, dann solle er mal die eigene Generalsekretärin ins Visier nehmen. So wird gespottet. Es heißt, Kohnens "Illoyalität" würde man ihr hinter den Kulissen übel anrechnen. Es sind Sätze, die Kohnen so oder so ähnlich fast täglich in der Zeitung liest.

In acht Jahren habe sie so etwas noch nicht erlebt. Es ist Zeit für ihre zweite Wutrede. Diesmal in einem Café, natürlich ganz offen am Fenster und bestimmt nicht hinter vorgehaltener Hand, sondern laut und deutlich. "Fairness ist das Oberste", sagt sie. In einer Partei müsse man so offen reden können wie in der Familie. Offen, das heißt in den Parteigremien, nicht anonym über die Medien. Und in der Wortwahl nicht "entgleisend". "Macht man das so? Das geht nicht. Das gehört sich nicht."

Ihre Stimme wird trotz Erkältung immer lauter. Sich hintenrum mit Dreck beschmeißen, das sei doch ein Selbstmordkommando. Genau das bediene doch die Vorurteile von der Politik als dreckiges Geschäft. Sie will die Kritik hören, etwa beim Treffen des Landesvorstandes in einer Woche, aber bitte ins Gesicht.

Und sie selbst, kann sie denn offen sprechen über ihre Ambitionen? "Ich bin loyal", sagt sie. Zwischen ihr und Pronold herrsche hundertprozentiges Vertrauen. Also kein Landesvorsitz?" Die Frage stellt sich nicht, weil ich nicht gegen Florian Pronold antreten werde", sagt Kohnen. Eine Kampfkandidatur soll es also nicht geben. "Hinten rum, das mach ich nicht. So wurde ich nicht sozialisiert", sagt Kohnen.

Politisch sozialisiert wurde Kohnen von Johanna Rumschöttel, Alt-Landrätin von München-Land. Sie holte Kohnen in ihr Wahlkampfteam, legte ihr nahe, im Gemeinderat Neubiberg zu kandidieren. Wer wissen will, wie Kohnen tickt, muss mit ihr sprechen. Ja, Kohnen sei ehrgeizig, im positiven Sinne. Jemand, der glaubt, etwas bewegen zu können und auch Lust darauf hat, der seine Ziele mit einem starken Willen verfolgt und bereit ist, ja zu sagen, wenn sich die Chance bietet.

"Wenn sie weiß, was sie will, lässt sie sich nicht so leicht auf die Seite pusten", sagt Rumschöttel. Kohnens Abneigung gegen das Unehrliche und Intrigante sei echt. Rumschöttel hat dazu so manche Wutrede gehört. Nur: "Wenn sie sieht, dass es für die Partei besser wäre, ist die Loyalität gegenüber der Partei vielleicht ein höheres Gut als gegenüber einer Person", sagt Rumschöttel. So etwas würde Kohnen aber intern regeln, im Gespräch. Ein bisschen so wie Schulz und Gabriel.

Kohnen ist beim Neujahrsempfang in Unterhaching gleich dran zum Händeschütteln. Da kommt der nächste Unterstützer: "Hallo Frau Schulz", sagt er. "Jetzt wird angeschoben." Kohnen lacht. So ein Übergang à la Schulz in Bayern, wäre das was? Kohnen sagt natürlich nichts. Nur eins: "Haben Sie gut gemacht, die Jungs."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: