KZ-Außenlager in Mühldorf:Glasscherben statt Gedenkstätte

KZ-Außenlager in Mühldorf: Die Betonhalle, die die Häftlinge für den Bau eines Düsenflugzeugs errichteten, sollte 400 Meter lang, 85 Meter breit und 32 Meter hoch werden.

Die Betonhalle, die die Häftlinge für den Bau eines Düsenflugzeugs errichteten, sollte 400 Meter lang, 85 Meter breit und 32 Meter hoch werden.

(Foto: oh)

In Mühldorf, einem Außenlager des KZ Dachau, schufteten sich fast 3000 Menschen zu Tode. Doch einen Erinnerungsort gibt es nicht, stattdessen feiern Jugendliche unter dem Bunkerbogen.

Von Heiner Effern

2909 Namen stehen auf der Totenliste der Amerikaner, die sie nach der Befreiung des KZ-Außenlagers im Mühldorfer Hart erstellt haben. Insgesamt mehr als 8000 Männer schleppten hier als Arbeitssklaven Zementsäcke für den Bau einer geheimen Rüstungsfabrik. Oder sie bogen mit der letzten verbliebenen Körperkraft Eisenstäbe. Viele der Häftlinge fielen ausgehungert und erschöpft tot um.

Sie sollten in den letzten neun Kriegsmonaten eine Halle für den Bau des Düsenflugzeugs Me 262 errichten. 400 Meter lang, 32 Meter hoch, Sohlenbreite 85 Meter. Sie wurde nie fertig: Sechs riesige Betonbögen des Daches sprengten die Amerikaner, doch der siebte steht noch heute in dem Wald bei Mühldorf. Ein beeindruckendes Zeugnis des lebensverachtenden Wahnsinns der Nazis bis zum Kriegsende. Trotzdem haben es Bund und Land nie geschafft, eine Gedenkstätte am zweitgrößten Außenlager des KZ Dachau zu errichten. Die Initiatoren aus der Region müssen nun einen neuen Rückschlag verkraften: Der Bund erklärte das eingereichte Konzept einer Gedenkstätte für nicht förderungswürdig.

Ein Grund seien die "unzureichenden authentischen Überreste des ehemaligen KZ-Außenlagers", erklärt ein Sprecher von Kulturstaatsminister Bernd Neumann. "Auch die herausgehobene Exemplarität des Ortes wurde in Frage gestellt." Zudem sei die Dreiteilung des Dokumentationsortes konzeptuell nicht ausreichend aufgefangen. Nun fehlen zum Bau einer Gedenkstätte erneut etwa 1,5 Millionen Euro. Max Mannheimer, einer der letzten Überlebenden des KZ-Außenlagers, sagte im März 2011, er rechne nicht mehr damit, den Bau einer Gedenkstätte noch zu erleben. Er darf sich wieder einmal bestätigt fühlen.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzen sich einheimische Initiatoren für eine würdige Gedenkstätte ein - und laufen gegen eine Wand. Zuerst galt es, überhaupt das Interesse für eine Gedenkstätte zu wecken. Mittlerweile sind Kommunalpolitiker und auch die Stiftung Bayerische Gedenkstätten von dem Ansinnen überzeugt. Doch die Umsetzung scheitert immer wieder am Geld, an unübersichtlichen Eigentumsverhältnissen und an der Bürokratie. In den 1980er Jahren favorisierte der Bund, der die Verantwortung für die NS-Bauten übernommen hatte, noch die Aufarbeitung "mit der Planierraupe", wie der frühere Kreisheimatpfleger Ernst Aicher einmal sagte.

Nun will er das Gelände und die Verkehrssicherungspflicht am liebsten ganz loswerden. Besonders da möglicherweise auch noch Munitionsreste unter den Betontrümmern liegen könnten. Dabei haben aber auch noch einige Landwirte mitzureden, denen der Grund gehört, auf denen der Rüstungsbunker steht. Übernehmen soll das ganze Areal und auch die Verkehrssicherungspflicht der Freistaat, er würde dafür möglicherweise bis zu eine Million Euro vom Bund heraushandeln können. Die Verhandlungen verlaufen aber immer wieder im Sand.

Das Siegerkonzept verbindet drei Orte

Trotzdem wähnten sich die Mitglieder des Vereins "Für das Erinnern - KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart" wieder einmal kurz vor dem Ziel, mit einer abgespeckten Variante. Mit den Mitteln der Gedenkstättenförderung von Bund und Land schien eine würdige Gedenkstätte möglich zu sein. Zusammen mit den Kommunalpolitikern aus der Region und der Stiftung Bayerische Gedenkstätten hatten sie einen Wettbewerb ausgerufen.

Das Siegerkonzept verbindet drei Orte: das frühere Massengrab, von dem nur noch tiefe Mulden zu sehen sind. Das Waldlager, in dem die Häftlinge unter widrigsten Bedingungen in Erdhütten hausen mussten: Zu sehen sind noch die Aushub-Konturen im Boden einschließlich der Schlafpritschen. Und einen kleinen Teil des Bunkergeländes. Dort ist ein Steg geplant, von dem aus die Ruine und das Areal zu überblicken sein würden.

Doch eine Expertengruppe des Bundes überzeugte die Idee nicht. "Enttäuschend" nennt Karl Freller dies, der Präsident der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Man müsse "noch mal nachbohren". Besonders verärgert ist man in der Stiftung über die "lapidare Begründung" der Experten. Die Gedenkstätte im KZ-Außenlager sei unabhängig davon aber "ein enorm wichtiges Anliegen", sagte Freller. Deshalb werde die Stiftung nun beginnen, am Massengrab und im Waldlager Gedenkorte einzurichten. Für das Bunkergelände habe "der Bund Sorge zu tragen".

Der Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer (CSU) wiederum sieht auch den Freistaat in der Pflicht. Dieser müsse das Gelände übernehmen und die Trägerfrage sauber lösen. "Da müssen sich alle bewegen." Sonst bleibe der gordische Knoten unlösbar.

Glasscherben und Feuerstellen zeugen davon, dass momentan auf dem Gelände der Bunkerruine feuchtfröhliche Partys steigen. Hinweisschilder auf den Bunker draußen an der Straße gibt es immer noch keine. Wer ihn besuchen will, muss ihn suchen. Am 28. April wird in Gedenken an die Befreiung unter dem Betonbogen eine Gedenkfeier stattfinden. Wieder einmal nur auf einer unbefestigten Kiesfläche. Vorher werden die Helfer des Vereins wohl noch Glasscherben einsammeln.

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