Erlangen:Wie sich Schauspieler gegen ihre Arbeitsbedingungen wehren

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Problematischer Protest: Zwar fühlt es sich an wie eine Kündigung, juristisch wurde Anika Herbsts Vertrag jedoch nur nicht verlängert. (Foto: Roman Moebus/oh)
  • Anika Herbst ist Schauspielerin am Theater Erlangen. Noch während sie in Elternzeit für ihr zweites Kind ist, bekommt sie vom Theater eine Nichtverlängerung.
  • Schauspieler in Deutschland sind meistens befristet angestellt. Nach Ansicht von Herbst kommt die Nichtverlängerung einer Kündigung gleich.
  • Herbst möchte um ihr Engagement kämpfen. Das Theater Erlangen fürchtet um sein Image, denn juristisch ist die Nichtverlängerung in Ordnung.

Von Christiane Lutz

Eine junge Mutter, geschminkt als trauriger Clown, auf jedem Arm ein Kind, in der Hand hält sie ein großes Plakat auf dem steht: "In Elternzeit gekündigt? Freiheit der künstlerischen Leitung". Dieses Foto ließ Schauspielerin Anika Herbst vergangenes Jahr von sich und ihren Kindern machen. Es war Teil einer Kampagne, mit der Schauspieler für bessere Arbeitsbedingungen eintreten wollten. Das Foto hat Anika Herbst dann noch mehr Ärger eingebracht, als sie ohnehin schon hatte. Denn juristisch betrachtet ist ihr nicht gekündigt, sondern ihr Vertrag nur nicht verlängert worden. Aber von vorn.

Anika Herbst, 29, studierte Schauspiel an der Otto-Falckenberg-Schule in München und ist seit 2013 am Theater Erlangen engagiert. Ihr erstes Kind bekommt sie 2014 und bleibt sechs Monate zu Hause. Das zweite Kind kommt im März 2016. Herbst will im Oktober 2016 zurück ans Theater, da flattert Anfang Oktober die Nichtverlängerung ins Haus, noch während der Elternzeit.

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Nichtverlängerung bedeutet, sie ist noch bis Ende dieser Spielzeit in Erlangen engagiert, muss sich für danach einen neuen Job suchen. "Ich war total fassungslos", sagt sie. Ihr kleines Kind ist gerade ein paar Monate alt, sie stillt noch. Eine Nichtverlängerung will sie nicht einfach so hinnehmen.

Nun muss man wissen, dass Schauspieler an deutschen Theatern in der Regel befristet beschäftigt sind. Der Vertrag gilt für ein Jahr, manchmal für zwei, sehr selten für länger. Jedes Jahr entscheidet der Intendant oder die Intendantin bis Ende Oktober, ob er den Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert. Will er das, muss er nichts tun. Will er das nicht, muss er die Nichtverlängerung schicken, den Schauspieler zum Gespräch laden und die "künstlerischen Gründe" nennen, die für eine rechtmäßige Nichtverlängerung nötig sind.

So ein Grund kann beispielsweise sein: "Wir machen ab jetzt viel mehr Musical und du bist kein guter Sänger." Kein guter Grund wäre: "Ich mag die Art nicht, wie du spielst." Das Prozedere beginnt so früh im Theaterjahr, damit die Künstler genug Zeit haben, sich um ein neues Engagement zu kümmern.

"Zwar wusste ich, dass es theoretisch möglich ist, eine Mutter in Elternzeit nicht zu verlängern", sagt Herbst, "aber dass es tatsächlich gemacht wird ...." Mit zwei kleinen Kindern und einem Partner, der ebenfalls Künstler ist, würde es schwer bis unmöglich sein, in anderen Städten vorzusprechen oder als Gast an einem anderen Haus anzufangen.

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Sie sprach mit der Lokalpresse und wandte sich an das Ensemble Netzwerk, ein Verein, der sich für bessere Arbeitsbedingungen von Theaterschaffenden einsetzt. Ein Bekannter startete eine Online-Petition, in der eine Verlängerung von Herbsts Vertrag um zwei Jahre gefordert wird. "Juristisch wasserdicht, aber moralisch verwerflich!" nennt der Initiator die Nichtverlängerung von Anika Herbst.

Anika Herbst ist nicht allein. Fotos wie das ihre gibt es viele auf der Website von Ensemble Netzwerk. Eines zeigt ein Schauspielerpaar mit einem kleinen Kind, auf ihrem Schild steht: "600 Euro Babysitterkosten - im Monat". Aber es geht ein Ruck durch die deutschen Theater. Besser gesagt, durch diejenigen, die auf ihren Bühnen stehen.

Der Schauspieler Shenja Lacher verkündete im Sommer in einem Interview seinen Abschied vom Residenztheater und beklagte "autokratische, beinahe feudalistische" Strukturen der Theater generell. Gruppen wie "Art but fair" setzen sich für die Rechte von Bühnenkünstlern ein, das Ensemble Netzwerk fordert unter anderem fairere Bezahlung der Schauspieler (die tariflich festgelegte Mindestgage bei einem Anfänger liegt bei 1850 Euro brutto im Monat), mehr Mitbestimmung, Dokumentation der Arbeitszeiten und fünf probenfreie Tage nach einer Premiere.

Im Alltag sieht es häufig so aus, dass Schauspieler, noch erschöpft von einer Premiere, am nächsten Vormittag bereits zur Leseprobe für die nächste Produktion antreten müssen. Besonders an mittelgroßen Stadttheatern ist die Belastung groß.

Nun kann man argumentieren, dass jeder, der Schauspieler wird, sich der Opfer bewusst sein sollte, die mit diesem Beruf verbunden sind. Budgetkürzungen und ein sich immer schneller drehendes Produktionskarussell, mit dem diese Budgetkürzungen aufgefangen werden sollen, aber fordern ihren Tribut. Die Schauspieler haben keine Lust mehr. Sie wollen kämpfen, damit sie weiterhin das tun können, was sie lieben. Von welchem Leben soll ein Schauspieler auf der Bühne erzählen, wenn er keine Zeit mehr hat, ein Leben außerhalb der Theaterblase zu führen?

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Das künstlerische Leitungsteam des Theaters Erlangen - Leiterinnen der Abteilungen Dramaturgie, Theaterpädagogik, Öffentlichkeitsarbeit und Künstlerisches Betriebsbüro - beklagte in einem Schreiben an den Stadtrat von Erlangen "Diskreditierung" und möglichen "Imageschaden" des Theaters durch den Fall Herbst. Bei einer Nichtverlängerung "kann und darf es keine Rolle spielen, ob Kolleg*innen Eltern sind oder nicht." Außerdem handle es sich nicht um eine Kündigung, wie es Anika Herbsts Protestfoto unterstelle, sondern um eine Nichtverlängerung.

Natürlich hat das Theater damit recht. Nur: Was Nichtverlängerung heißt, fühlt sich nicht anders an, als eine Kündigung. So sieht das auch Jörg Löwer, Präsident der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger. Er spricht sich grundsätzlich für einen Nichtverlängerungsschutz für Schwangere aus, überhaupt für bessere Arbeitsbedingungen am Theater: "Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Theater ist schwierig. Schauspieler sind abends, am Wochenende und an Feiertagen im Einsatz."

Es ist kein Zufall, dass viele Schauspieler überhaupt keine Kinder haben. Löwer kritisiert auch die "Tabula-Rasa-Mentalität", mit der manche Intendanten das Ensemble eines Hauses bei Arbeitsantritt komplett austauschten. Der Intendant bestimmt das künstlerische Gepräge eines Hauses, und das Publikum habe ein "Abwechslungsbedürfnis", heißt es dann oft als Begründung.

Einen Intendanten, der wie ein König allein über Kunst verfügen darf, halten inzwischen viele Künstler für unzeitgemäß. Und nur, weil etwas juristisch erlaubt ist, ist es noch lange nicht sozial verträglich. Das finden Anika Herbst und viele ihrer Kollegen deshalb besonders schmerzhaft, weil doch gerade das Theater stets ein besserer Ort zu sein versucht. In Spielzeitheften ist von Utopien die Rede, auf der Bühne werden gesellschaftliche Missstände kritisiert. Zynisch, nennt es Herbst.

Zu den "künstlerischen Gründen", aufgrund welcher der Vertrag nicht verlängert wurde, äußern sich Anika Herbst und Intendantin Katja Ott nicht. Zu klagen wäre zwar möglich, aber mühsam und wohl nur mäßig aussichtsreich. Momentan wird der Fall von Herbsts Anwältin geprüft. Die Schauspielerin denkt darüber nach, dem Theaterbetrieb im Sommer erst einmal komplett den Rücken zu kehren.

© SZ vom 13.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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