Kultur-Netzwerker:Date mit dem Bildungsbürger

Kultur-Netzwerker: Bildungsauftrag: Rosali Wiesheu, Anna von Kölln und Julia Kirn (von links) sind Geisteswissenschaftler und wollen Kultur auch für diejenigen öffnen, denen sie sich bisher verschlossen hat.

Bildungsauftrag: Rosali Wiesheu, Anna von Kölln und Julia Kirn (von links) sind Geisteswissenschaftler und wollen Kultur auch für diejenigen öffnen, denen sie sich bisher verschlossen hat.

(Foto: Lina Faller)

Rosali Wiesheu, Anna von Kölln und Julia Kirn nennen sich Kultur-Netzwerker und bringen Banausen und Kunstfreaks zusammen: Sie organisieren Verabredungen zwischen Fremden in der Oper oder in Ausstellungen.

Von Valentin Feneberg

Rosali Wiesheu fühlt sich verantwortlich. Verantwortlich dafür, Kultur auch für diejenigen zu öffnen, denen sie sich bisher verschlossen hat. Oder die sich der Kultur verschließen. Deshalb hat die 25-Jährige, gemeinsam mit Anna von Kölln und Julia Kirn, einen Verein gegründet, die "Kultur-Netzwerker". Ihr erklärtes Ziel ist es, Zugang zu kulturellen Veranstaltungen zu schaffen für all diejenigen, die diesen Zugang bisher nicht gefunden haben.

Die Idee entstand bereits im Sommer vergangenen Jahres. "Viele Leute sind gar nicht über das kulturelle Angebot in München informiert, und wenn, dann sind es letztlich immer die selben Leute, die hingehen", sagt Rosali. Außerdem gebe es eine gewisse Hemmschwelle, alleine ein Ticket fürs Museum oder das Theater zu kaufen. Nach längerer Planung machen die Kultur-Netzwerker daher seit September ernst: Sogenannte Scouts, die sich dem Verein angeschlossen haben, posten Veranstaltungen im Internet, bei denen sich wiederum "Newcomer" formlos anmelden können. Dann geht es in der kleinen Gruppe, also zu zweit oder zu dritt, hinein ins kulturelle Leben der Stadt.

Die Idee ist, dass junge Leute, die auf Grund ihres Studiums oder ihrer Ausbildung eine besondere Nähe zu einem kulturellen Genre haben, anderen jungen Menschen ihre Welt zeigen. Dadurch soll die von Rosali und ihren Kolleginnen beobachtete Hemmschwelle überwunden werden, denn so muss keiner mehr allein ins Theater oder zur Vernissage. Die Newcomer sollen von den Erfahrungen der Scouts profitieren, können Fragen stellen oder anschließend bei Bier und Wein noch über das Erlebte diskutieren.

Als Doktorandin der Kunstgeschichte empfindet Rosali den Anspruch an sich selbst, dafür zu sorgen, Kultur offener für andere junge Leute zu machen. "Wir Geisteswissenschaftler müssen es schaffen, aus unserem Elfenbeinturm herauszukommen und mehr Menschen für das zu begeistern, was wir tun." Daher komme außerdem ihr Gefühl der Verantwortung, über den eigenen sozialen Kreis hinaus Kultur in Gemeinschaft zu erleben.

Sie und ihre beiden Mitstreiterinnen (Anna promoviert in Theaterwissenschaft, Julia schreibt ihre Dissertation in Musikwissenschaft) seien durch dieses Gefühl motiviert worden, die Kultur-Netzwerker überhaupt erst ins Leben zu rufen. Dazu kommt die Begeisterung für ihre Fächer und der Drang, sie mit möglichst vielen anderen zu teilen. Diese Begeisterung ist Rosali anzumerken: In einem bunten, schnellen Gemisch aus Anglizismen und geisteswissenschaftlichem Slang spricht die junge Frau über den Verein und dessen Ziele, das abgeschlossene Philosophie-Studium ist noch deutlich hörbar.

Aber braucht denn ein junger Mensch wirklich einen Scout an der Seite, wenn er oder sie einfach einmal in die Oper oder zu einer Lesung gehen möchte? Die Gefahr, dass das Konzept der Kultur-Netzwerker zu bevormundend oder elitär ist, sieht Rosali nicht. "Das ist ein Ansatz, den wir definitiv nicht vertreten." Vielmehr sei es eine Art "Win-Win-Situation", da sowohl die Newcomer vom Wissen der Scouts, diese aber auch von den neuen Blickwinkeln der Teilnehmer profitieren.

Newcomer und alte Hasen

Dass die Teilnehmer an dem Programm "Newcomer" genannt werden, dürfe auch nicht falsch verstanden werden: "Potenziell ist ja erst einmal jeder ein Newcomer. Auch ich sehe mich so, wenn ich mich in einem kulturellen Feld bewege, das mir fremd ist", betont Rosali. Dass die Kultur-Netzwerker nicht als zu bildungsbürgerlich gesehen werden, ist der 25-Jährigen wichtig, immer wieder kommt sie etwaigem Zweifel entgegen. Es gehe darum, durch den Scout einen Rahmen zum Wohlfühlen zu schaffen, der die Teilnehmer ermutigt, Fragen zu stellen und zu diskutieren.

40 ehrenamtliche Scouts haben sich bisher bei den Kultur-Netzwerkern gemeldet, um Veranstaltungen anzubieten. Eine von ihnen ist Barbara Braun, eine junge Kulturmanagerin in München. Sie war in den vergangenen vier Wochen bereits zwei Mal für den Verein unterwegs und ist froh um die neue Erfahrung. Auch für sie ist das Konzept alles andere als bevormundend oder elitär, sondern das Gegenteil. "Ich bin keine Lehrerin, sondern Begleiterin", sagt Barbara über ihre Aufgabe als Scout.

Dieses Bild bestätigt auch eine Teilnehmerin: Michiko Wemmje hat einen anderen Scout zu einer Lesung begleitet und empfand das Erlebnis als Bereicherung, vor allem, weil sie erst seit Kurzem in München ist. "Ich wäre da sonst nie gelandet", sagt sie über ihren kulturellen Ausflug. Leuten, die neu in der Stadt sind, eine Orientierung in deren Kultur-Dschungel zu geben, ist eine weitere Motivation für Rosali und die Kultur-Netzwerker. "Integration" nennt sie das.

Die drei jungen Frauen haben derzeit allerhand zu tun mit ihrem Verein. Nach langer Vorarbeit, bei der sie sich von "startsocial" beraten und unterstützen ließen, einer Stiftung zur Förderung sozialer Projekte, liegt die Koordination des Programms nun an ihnen. Sie bringen Scouts und Newcomer zusammen, die Arbeit teilen sie sich im Wochenrhythmus. Langfristig wollen sie sich professionalisieren, die eigene Homepage endlich online bringen (bisher läuft die Organisation über ein soziales Netzwerk), das Angebot und die Zielgruppe ausweiten und weiter Scouts und Newcomer akquirieren.

Geld verdienen wollen die drei mit dem Verein nicht, allerdings ist es ihr Ziel, langfristig ein wenig Kapital über Spenden zu erwirtschaften, um eventuell einen Mitarbeiter für die Koordination einzustellen. "Das Projekt ist derzeit noch zu managen, aber wir stoßen alle drei an unsere Grenzen", sagt Rosali über die aktuelle Arbeitsbelastung.

Die Frage, ob die Kultur-Netzwerker nicht doch irgendwie eine Art Pärchenbörse für kulturaffine weibliche Scouts und natur- oder betriebswirtschaftlich geprägte männliche Newcomer sind, weist Rosali lachend, aber entschieden zurück. "Das hatten wir bisher noch nicht. Und ich glaube, dass es eher abschreckend für Leute mit Hintergedanken wirkt, dass bei uns die Inhalte so ein Schwerpunkt sind", sagt sie. Rosali fühlt sich verantwortlich. Aber anscheinend nicht auch noch dafür.

Der Text ist erschienen auf der Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung: www.sz-jugendseite.de.

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